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SCHACH-SPHINX/05358: Schmeicheleien für den Geist (SB)


In jedem Jahrhundert fiel einem Schachmeister ein kluger Ausspruch ein. Mal betraf es die unerhörte Leichtigkeit des Lebens, mal dessen unerträgliche Widersprüchlichkeit. Nun sind Schachkünstler bestenfalls in zweiter Linie Lebenskünstler, und so bereicherten sie die Bibliotheken nur ihrer eigenen Zunft mit bücherfüllenden Sentenzen und Schulweisheiten. Gerne lehnt sich der Spieler im Sessel zurück, den Blick in das Erbe seiner geschichtlichen Adoptivväter gesenkt, und streicht sich nachdenklich um das bartlose Kinn, ganz, wie es ein andererer Schlachtenlenker, nämlich Alexander aus Mazedonien, getan hatte. Die Worte des antiken Helden treiben Grüblerfalten auf die Stirn des Schachspielers, so betört ist er von der Tiefe dieser Gedanken. Auch das Schach besitzt eine erhaben philosophische Seite, denkt er und grunzt zufrieden. Mal sehen, sagt er sich und schon erwacht ein zarter Gedanke aufkeimend aus dem Winterschlaf seines Kopfes auf, vielleicht greife ich selbst einmal zur Feder, und dann, wer weiß ... Bis dahin werden wir uns mit den alten Weisheitsschätzen begnügen müssen. Einer dieser Sprüche paßt so herrlich auf die Partie zwischen dem Green-Card-Amerikaner Gata Kamsky und dem holländischen Großmeister Paul van der Sterren. Der Tatarensproß Kamsky spielte mit den schwarzen Steinen und erinnerte sich womöglich an die alte Weisheit: "Wenn sich die Dame in Gefahr begibt, kommt - der König darin um!" Ja, die weiße Dame hatte sich in der Tat auf dem Damenflügel verlaufen, und der Anschein trügte, nicht der auf h6 nackt und verlassen aufs Brett schauende schwarze König stand gefährdet, nein, sein hinter dichtem Schutzwall ausharrender Kollege sollte, die Zeche seiner Dame zahlend, den bitteren Geschmack der Niederlage zu schmecken bekommen. Errätst du, Wanderer, wie der weiße König im heutigen Rätsel der Sphinx der unverschuldeten Gefahr zum Opfer fiel?



SCHACH-SPHINX/05358: Schmeicheleien für den Geist (SB)

van der Sterren - Kamsky
Amsterdam 1993

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Smyslow blieb glatt die Spucke weg, als sein Kollege Taimanow mit 1.Lg4-f3! den Stachel der Niederlage in die schwarze Stellung trieb. Auf 1...Le4xf3 hätte 2.h6-h7 die Entscheidung herbeigeführt und nach 1...Le4-b1 wäre seinem König der Garaus gemacht worden: 2.Lf3-c6# Also setzte Smyslow seine Hoffnungen in 1...b6-b5+, aber Taimanow erwiderte einfach 2.Kc4-c3!, den König auf ein schwarzes Feld stellend, und kassierte nach 2...Se6-g5 3.h6-h7 den vollen Punkt. Der schwarze Läufer durfte wegen des Matts nicht ziehen und nach 3...Sg5xh7 4.Lf3xe4 stünde die Lage hoffnungslos für Smyslow.


Erstveröffentlichung am 13. Februar 2002

18. Januar 2015





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