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SCHACH-SPHINX/05439: Pfad der Regeltreue (SB)


Das Schachspiel zählt unstrittig zu den Bildungsidealen erster Güte, weil es den Charakter festigt, sagen die einen, weil es die Konzentration schärft, erwidern die anderen, und die dritten behaupten gar, Schach sei etwas besonderes, weil es dazu verhelfe, die Persönlichkeit auszubilden. Fehlt im Grunde nur noch, daß ein vierter Befürworter die These wagt, man könne durch das Schachspiel lernen, ein Buch rückwärts zu lesen. Die bürgerliche Lesart ist ein Kapitel für sich, um den Tugendkatalog mit brauchbaren Fertigkeiten auszufüllen. Es schmeichelt, wenn man sich sagen läßt, das eigene Hobby diene einem höheren Zweck. Die Wirklichkeit indes ist rauher und weniger wohlklingend. Doch nur wenige Schachmeister besaßen Herz genug, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Was verbirgt sich hinter dem Schach? Der dänische Großmeister Bent Larsen, dem das Schachspiel durchaus über alles ging, stand mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Künstelei lag ihm fern und so antwortete er: "Beim Schachspielen lernt man, bestimmten Regeln zu folgen, so wie es besonders den Engländern in ihrem Erziehungsideal vorschwebt. Auch andere Spiele wie Fußball oder Rugby versuchen diese Erziehung, aber wenn der Schiedsrichter nicht zuschaut, tut man doch einmal verbotene Dinge. Das ist im Schachspiel nicht möglich." Soll Disziplin das ganze Ausmaß schachlicher Tugend sein? Seltsam nur, daß Larsen, der die Regeltreue zum Lehrsatz erhebt, selbst alles andere als ein geregeltes Leben geführt hat. Zuletzt wird man wohl doch den Philosophen beipflichten müssen, die in der goldenen Mitte zwischen den Extremen den menschlichen Pfad ansiedelten. Im heutigen Rätsel der Sphinx jedenfalls konnte Bent Larsen mit den weißen Steinen, die Gefahr für seinen bedrohten Turm nach zuletzt 1...Lf8-a3 ignorierend, einen glänzenden Sieg über Meister Geller erzielen. Also, Wanderer, lege Lineal und Zirkel an, um das Winkelmaß für die Mattkombination zu bestimmen!



SCHACH-SPHINX/05439: Pfad der Regeltreue (SB)

Larsen - Geller
Kopenhagen 1960

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ohne Risse der Irritation besiegte der russische Großmeister Isaak Boleslawski seinen Kontrahenten Ragosin mit 1.Lg3-f4! c4-c3 2.Tf5-g5 Ta8-d8 3.Lh3-e6+ Kg8-h8 4.Lf4-e5! Der Schlußstrich, und keinen Zug zu früh gab Ragosin auf, denn die Drohung 5.Tf6-f8+ Td8xf8 6.Le5xg7# war einfach zu übermächtig.


Erstveröffentlichung am 30. April 2002

09. April 2015


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