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SCHACH-SPHINX/05670: Dschingis Khans Erben (SB)


Die Kinder Caissas sind doch ein buntes Völkchen. Eine Welt, aber hundert Regeln. Vom Ursprungsland Indien ging das Schach zwei Wege, nach Westen und nach Osten, und entwickelte sich überall nach den landesüblichen Gesetzen. So wird in Japan beispielsweise das Schach ganz anders gespielt, und auch die wilden Bergvölker Afghanistans besaßen ihre eigene Auslegung. Ihre Schachbräuche kannten beispielsweise keinen Doppelzug des Bauern. Natürlich waren ihnen auch die europäischen Erfindungen der Rochade und des En-passant-Schlagens fremd. Dschingis Khans Erben spielten noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein nach einem nicht minder "hausbackenen" Regelwerk. Als in dem kargen Steppenland 1956 der erste internationale Schachwettkampf stattfand, versäumte es die Turnierleitung, die Unebenheiten auszubügeln, und so kam es, daß ein einheimischer Spieler merklich verwirrt zum Schiedsrichter eilte und im Ton äußersten Befremdens nachfragte, ob es denn legitim sei, mit einem Springer mattzusetzen. Unter seinen Brüdern kannte man diese Form des Mattsetzens nämlich nicht. Und so, wie die eigentümliche Sprache vieler Landstriche dem Walzwerk der Vereinheitlichung weitgehend zum Opfer fiel, wird heutzutage weltweit nach einem geeichten Reglement gespielt. Vieles von der spezifisch kulturellen Schönheit blieb dabei auf der Strecke, wurde erst Folklore, dann unwiederbringliche Erinnerung. Oder wie sagte es Theodor Fontane zutreffend: "Es kann die Ehre dieser Welt dir keine Ehre geben, was dich in Wahrheit hebt und hält, muß in dir selber leben." Vom selben Zuschnitt waren im heutigen Rätsel der Sphinx jedenfalls der Lette Schirow und der Engländer Nunn, und weil alles sich in schönster Harmonie die Hände reichte, schloß Schirow die Partie als Weißer mit einer sehenswerten Remiskombination ab. Also, Wanderer, die Bräuche dieser Welt sind ein kleiner Schatz - hebe ihn!



SCHACH-SPHINX/05670: Dschingis Khans Erben (SB)

Schirow - Nunn
Bundesliga 1993

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der isländische Meister Fridik Olafsson konnte in Las Palmas selbst dem Rigaer Zaubermeister Michail Tal den Schneid abkaufen mit 1...Dd6- f4!! Die Mattdrohung auf d1 im Rücken machte die schwarze Dame zu einer unschlagbaren Figur. Tal konterte noch kraftlos mit 2.Tc7-e7, mußte sich freilich nach 2...Te8-f8 3.Dd2-a5 - 3.Dd2-c1 Lg4xf3 4.g2xf3 Df4xf3 5.Tc2-d2 Df3-g4+ 6.Kg1-h1 Dg4-g5 oder 3.Dd2-e2 Lg4xf3 4.De2xf3 Df4-d6 ist ebenso hoffnungslos - 3...Td8-d1+ 4.Sf3-e1 Df4-g5! geschlagen geben.


Erstveröffentlichung am 14. Dezember 2002

1. Dezember 2015


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