Schachmeister mit kompromißlosem Sinn fürs Künstlerische hat es nicht viele gegeben. Das Turnierleben verdarb mitunter den Charakter. Wer an der Spitze bleiben wollte, mußte Konzessionen machen und sich mit schlauem Kalkül mal hier, mal dort mit einem Remis anfreunden, obwohl die Stellung vielleicht mehr versprach. Ein buchhalterisches Gewerbe entstand so, und die Spieler folgten dieser Direktive. Nicht so Rudolf Spielmann, Wiener Meister und Akrobat auf dem 64feldrigen Sprungbrett. Eine Partie, die nicht auf Messers Schneide gespielt wurde, galt ihm wie Verrat an der hohen Kunst. Langweilige Remispartien wird man bei ihm daher auch nicht finden. Trotz seiner Bescheidenheit im Alltag war er am Schachbrett mutig wie ein Löwe, und nicht als Anmaßung dürfen seine folgenden Worte mißverstanden werden: "Alle Kombinationen, die Aljechin ausgeführt hat, könnte ich auch. Aber es gelingt mir nicht so oft, solche Stellungen zu erreichen." Und gewitzt antwortete Aljechin darauf: "Als Künstler läßt er sich von einer ungestümen Leidenschaft hinreißen, die ihm zwar eine Anzahl von Schönheitspreisen eingebracht, ihn aber viele für die Placierung wichtige Punkte gekostet hat." Das heutige Rätsel der Sphinx ist einer der schönsten Gewinnpartien Spielmanns gewidmet. Mit den weißen Steinen hatte er längst eine siegessichere Stellung erreicht. Doch statt prosaisch und nüchtern zu Werke zu gehen, entschied sich Spielmann für eine Sturm-und-Drang- Kombination. Also, Wanderer, entfache das Brett im Spielmannschen Sinn!
Spielmann - L'Hermet
Magdeburg 1927
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Spielmann durchschnitt der schwarzen Stellung mit 1.Sd5-f6+ Kg8-h8
2.Lh6-g7+! Kh8xg7 3.Sf6xe8+ Kg7-h6 4.Df3xf7 einfach den Lebensnerv.
Erstveröffentlichung am 30. April 2003
15. April 2016
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