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SCHACH-SPHINX/05879: Zum Teufel mit den Spielregeln! (SB)


Meister Fedor Iwanowitsch Dus-Chotimirski war ein sonderbarer Mensch. Nicht, daß Allüren oder Launen sein Erscheinungsbild trübten. Was ihn ein wenig von den anderen Meistern abhob, war seine unbezähmbare Aufrichtigkeit. Wenn er etwas zu sagen hatte, dann sagte er es ohne Vorbehalte und Zwischentöne. Stets war sein Visier offen, seine Sympathien waren ebenso echt wie seine Ablehnungen. Als Spieler gehörte er zwar nur den mittleren Chargen an, konnte jedoch ohne weiteres auch die dicksten Bäume im Großmeisterwald fällen. Erstaunen erregte er beispielsweise beim Petersburger Turnier von 1909, wo er auf elegante Weise die Axt an den damaligen Weltmeister Emanuel Lasker und den Weltklassespieler Akiba Rubinstein legte. Eine kleine Anekdote soll seine ehrbaren Charakterzüge erhellen helfen. In einer 1954er Turnierpartie spielte der schon 75jährige gegen den taktisch überaus gewandten David Bronstein das Königsgambit. Nach den Zügen 1.e2-e4 e7- e5 2.f2-f4 stieß Dus-Chotimirski gereizt aus: "Hoffentlich nehmen Sie das Gambit an! Wenn Sie den Bauern nicht nehmen, spiele ich nicht weiter." Bronstein, ein wenig zerknirscht ob der offenen Worte, gab klein bei. Die Partie entwickelte sich scharf, doch plötzlich tat Dus- Chotimirski wieder etwas schier Unglaubliches: Er nahm einfach seinen letzten Zug zurück und korrigierte ihn durch einen anderen. Kaum hatte der Schiedsrichter dies mit Argusaugen erblickt, da wollte er auch schon eingreifen, kam jedoch nicht dazu, denn Dus-Chotimirski keifte ihn an: "Was soll schon los sein? Ich habe einen schlechten Zug gemacht, und nun habe ich ihn gegen einen besseren ausgetauscht. Zum Teufel mit den Spielregeln - hier wird Schach gespielt!" Brüsk wandte er sich ab und fragte Bronstein geradeheraus: "Sie haben doch bestimmt nichts dagegen?" Nie im Leben hätte Bronstein Einwände geltend gemacht, und auch der Schiedsrichter sah keine weitere Veranlassung zum Einschreiten. Natürlich verlor Dus-Chotimirski gegen den Schachgiganten. Im heutigen Rätsel der Sphinx kam der 48jährige Dus- Chotimirski mit den schwarzen Steinen freilich zu einem Sturmwinde reitenden Sieg gegen Meister Romanowski, der durchaus eine scharfe Klinge zu führen verstand. Trotzdem mußte er sich hier den schwarzen Stahl ins Herz bohren lassen, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05879: Zum Teufel mit den Spielregeln! (SB)

Romanowski - Dus-Chotimirski
Moskau 1927

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nach 1.b5-b6! vertraute Bronstein auf die Erwiderung 1...Ld7xa4, wurde jedoch durch den tollkühnen Vorwärtsdrang des weißen Bauern aus allen Wolken gerissen: 2.b6-b7! La4xb3 3.b7xa8D La7-b6 4.a2xb3 und Botwinnik hatte einen Turm mehr.


Erstveröffentlichung am 09. Juli 2003

26. Juni 2016


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