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SCHACH-SPHINX/05913: Rußlands Kronenhäupter (SB)


Im Vielvölkerbund der alten, von der Geschichte ausrangierten Sowjetunion schlug das Schachspiel die wohl solidesten Wurzeln. Und es war insbesondere die Intelligenz in diesem aufgeblähten Kolonialreich, das das Schachspiel als Spiegel zur Reflexion ihrer sozialen Ansprüche in Besitz nahm. Doch viel ältere Kulturvölker als die Russen - ein im Grunde in der Geschichte junges Volk - waren es, die die Kronenhäupter stellten. So stammte Alexander Aljechin zwar aus altem russischen Adelsblut, doch seine Flucht aus dem sowjetischen Staat ließ ihn als Galionsfigur nicht unbedingt schicklich erscheinen. Michail Botwinnik, Wassilij Smyslow und Michail Tal dagegen waren jüdischer Abstammung, während Tigran Petrosjan ein Vollblut-Armenier war. Mit Boris Spasski trat zwar ein Russe in die königlichen Fußstapfen, doch nach seiner Niederlage gegen den Amerikaner Bobby Fischer und nachdem er 1976 mit seiner französischen Frau nach Paris auswanderte, wurde er mehr oder weniger zur Unperson erklärt. Erst mit Anatoli Karpow tauchte am russischen Schachhimmel ein Vorzeige-Weltmeister ohne Makel auf. Bei den Moskauer Schachfunktionären stand er hoch im Ansehen. Als KP- Mitglied brachte er alle Voraussetzungen mit, auf denen sich der Anspruch, die Russen seien die führende Schachnation, wundervoll tragen ließ. Garry Kasparow schlug wiederum aus der Bahn. Als Sohn eines früh verstorbenen Juden und einer Armenierin paßte er nicht so recht ins glorifizierende Bild der Staaträson. Erst der Fall der kommunistischen Elite sorgte für einen Wandel im Werteempfinden der russischen Funktionärswelt. Heute hat Karpow nicht nur spielerisch an Einfluß verloren, auch seiner politischen Rückendeckung ging er verlustig. Zwei, die ihr russisches Heimatland verließen und sich andere Staatsbürgerschaften zulegten, waren Alejchin und Efim Bogoljubow. Im heutigen Rätsel der Sphinx trafen beide aufeinander. Aljechin mit Weiß gewann nicht nur die Partie, sondern auch den Wettkampf. Die Macht der Bauern, ideologisches Kernstück des Sozialismus, machte sich auch Aljechin zunutze, wenn auch nur auf dem Brett. Genug der Vorrede, Wanderer, auf ins Getümmel!



SCHACH-SPHINX/05913: Rußlands Kronenhäupter (SB)

Aljechin - Bogoljubow
Wettkampf 1934

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
1...De7-e6? war ein würdeloser Fehler, der nach 2.Kg3xg4 De6xf5+ 3.Kg4xf5 Lg8-d5 4.b2-b4 a7-a6 5.Kf5-g4 Ld5-c4 6.f4-f5 in eine glatte Verluststellung mündete. Bedauerlich, denn mit 1...Lg8-f7! konnte Lasker das Remis sicherstellen. Capablanca hätte kaum etwas Besseres zur Hand gehabt, als mit 2.Df5-c8 De7-e6 3.Dc8-b7 De6-c4 zur Punkteteilung einzuwilligen, weil 2.b2-b4 an 2...De7-e6 3.Kg3xg4? Lf7- h5+ scheiterte.


Erstveröffentlichung am 12. August 2003

30. Juli 2016


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