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SCHACH-SPHINX/05944: Seneca auf dem Nachtschränkchen (SB)


Welche Bettlektüre bevorzugen wohl Schachmeister? Einen Schachthriller etwa oder eher Leseschauer beim Betreten der 64 Etagen des Grauens? Garry Kasparow jedenfalls bleibt auch vorm Einschlafen seinem Tiefgang treu und versetzt sich am liebsten in die Gedankenwelt des römischen Philosophen Seneca, der seiner Nachwelt das Erbe der großen Gelassenheit hinterließ. Warum diese Trostsuche? Hat Kasparow etwa Probleme mit dem Erfolg? Seneca predigte jedenfalls das Wort vom Gleichmut gegenüber allen eitlen Weltgenüssen und der Schnödheit hoher Ämter und Würden. Frei zu sein für das Betrachten des Wesentlichen, war sein Credo. Der ungetrübte Blick, nun das könnte schon eher Kasparows Gefallen finden. Auf dem Brett, im Durcheinander der Möglichkeiten ist Nüchternheit Trumpf, und daß der PCA-Weltmeister kein Freund der Schnörkel und barocken Romantik ist, das bewies er hinlänglich in seinen Partien, wo Logik sich an Klarheit knüpft und der Sieg immer nur eine Frage gangbarer, zufallsfreier Wege ist. Doch einer Prise Metaphysik entbehren wohl auch seine Gedanken nicht. Denn suchte Seneca hinter allem Trug nicht auch den unbefleckten Sinn allen Daseins? Dieser entschlüpfte Kasparow allerdings im heutigen Rätsel der Sphinx, als er nunmmehr 1.Tb1xf1? zog und sich mit einem Remis begnügen mußte. Jedenfalls war Gelassenheit angesagt, als er später den verborgenen Gewinnweg entdeckte. Also, Wanderer, mit Seneca in der Jackentasche hätte er diesen vielleicht auch während der Partie gefunden!



SCHACH-SPHINX/05944: Seneca auf dem Nachtschränkchen (SB)

Kasparow - Kramnik
New York 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Erst marschierte ein Bauer mit vollem Seelendrang vor: 1.g5-g6! h7-h6, dann gab die Dame mit 2.Dh5xh6+! ihr Herzblut hin und zuletzt schmunzelte der selige Philidor: 2...g7xh6 3.g6-g7+ Kh8-g8 4.g7xf8D+ Kg8xf8 5.Td7xd8+ und Schwarz gab wegen seiner Figureneinbuße auf.


Erstveröffentlichung am 12. September 2003

31. August 2016


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