Siegbert Tarrasch war nicht nur ein außergewöhnlicher Schachmeister, er besaß auch einen ganz speziellen Spleen. So ließ er sich die Pferdchen vor Beginn einer Partie stets so aufbauen, daß deren Köpfe zu ihm gewandt waren. Saß er dann vor dem Brett, stolz wie ein Schulmeister, so war es ihm ein heiliges Ritual, die Springer wieder in die andere Richtung zu stellen. Wehe, wenn man ihm diese Lust und Angewohnheit nahm. Sogleich verzerrte sich sein Gesicht zu einer Maske der Mißbilligung, dann blickte er, als hätte man ihm um sein Liebstes beraubt, finster-strafend in die Runde auf der Suche nach dem schuldigen Zeremonienfeind. Daher sah das Turnierpersonal pflichtschuldigst zu, Tarraschs Springer immer verkehrt herum aufzustellen. Mit tiefer Genugtuung, selig bis in den kleinen Zeh, griff Tarrasch dann wie zum letzten abrundenden Schliff korrigierend in die unschuldige Grundstellung ein. Derart zufriedengestellt konnte er im heutigen Rätsel der Sphinx seinen Kontrahenten Schlechter, den zu besiegen, eine echte Meisterleistung war, mit einem Springermanöver und drei weiteren Zügen zur Kapitulation zwingen. Also, Wanderer, jedem Meister sein Steckenpferd!
Tarrasch - Schlechter
Leipzig 1894
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Réti legte mit 1...Kg4-g5!? eine listige Falle. Natürlich hätte nun
2.Tb4-b5+ Kg5-f6 3.Tb5-b3 oder 2...Kg5-h4 3.Tb5-b4 das Remis
sichergestellt. Doch Meister Kostisch ließ sich zu 2.b6-b7? verführen,
weil er das drohende Mattnetz nach 2...f4-f3! 3.Tb4-b1 Td2-g2+ 4.Kg1-
f1 Tg2-d2 5.Tb1-b5+ Kg5-g4 6.Kf1-e1 Td2-e2+! 7.Ke1-d1 g3-g2 übersehen
hatte.
Erstveröffentlichung am 14. Januar 2004
05. Januar 2017
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