Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/06235: Mär von der sowjetischen Überlegenheit (SB)


Propaganda kommt ohne Halbwahrheiten nicht einen Millimeter weit. Eine gewisse Schattierung und Ausblendung anderer Gesichtspunkte, das Überbetonen seines Sachverhalts gegenüber den übrigen Argumenten, und schon kocht die Suppe, ist der Brei fertig. Als die Sowjets nacheinander und über viele Jahre den Weltmeister stellten, tauchte plötzlich das Gespenst von der Überlegenheit der sogenannten sowjetischen Schachschule auf. Da es eine solche bei nüchterner Betrachtung und angesichts der Vielzahl an Charakteren und Spieltypen nie gegeben hatte, eine Kontur also nicht zu zeichnen war, besannen sich die Propagandisten auf einen Trick, der so alt ist wie das Menschengeschlecht selbst. Man fing an, Heldengesänge zu schreiben, hob den Kampfwillen der sowjetischen Spieler vor denen der anderen hervor. Selbst Max Euwe, der zwischen 1935 und 1937 den Weltmeistertitel hielt, ließ sich, wie ahnungslos auch immer, in diese Strategie einbinden. "Ein kennzeichnender Zug der 'sowjetischen Schachschule'", so Euwe, "ist volle Einsatzkraft bei jedem Wettbewerb und kompromißloser Kampf am Brett, damit ein Remis zu einem Ausnahmefall wird". Er kam, sah und flunkerte, nichts davon ist wahr. Statistiken haben unlängst bewiesen, daß die Anzahl der Remispartien von sowjetischen Schachspielern sich mit denen anderer im ganzen die Waage hält. National oder ideologisch hat sich noch nie ein besonders eifriger Typus des Schachspielers bestimmen lassen. Das individuelle Profil gibt stets den Ausschlag in der Häufigkeit von Remispartien. Es wäre ansonsten auch nicht zu erklären, wie beispielsweise Tigran Petrosjan in dieses Bild vom sowjetischen Übermenschen hineinpassen sollte, der, obzwar Ex-Weltmeister und Mitglied der sowjetischen Avantgarde, soviele Remispartien gespielt hat wie kaum ein anderer Schachmeister auf der Welt. Im heutigen Rätsel der Sphinx kommen zwei ehemalige Ex-Weltmeister, beides Sowjets, zu Wort. Boris Spasski hatte sich mit den weißen Steinen gegen die Kombinationslust von Michael Tal zu erwehren. Es sollte ihm indes nicht glücken, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06235: Mär von der sowjetischen Überlegenheit (SB)

Spasski - Tal
Tallin 1973

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ei, Tal einmal verblüfft zu sehen, hatte Seltenheitswert, doch nach 1...e6-e5 2.f4xe5!! kam sichtbar Unruhe in sein Gesicht. Fischer ließ sich indes den Vorteil nicht mehr aus den Händen nehmen: 2...Tb6xf6 3.e5xf6 Dc7-c5 4.Ld3xh7 Dc5-g5 5.Lh7xg8 Dg5xf6 6.Th1-f1 Df6xg7 7.Lg8xf7+ Ke8-d8 und die Phase der kombinatorischen Abwicklung war abgeschlossen, der Rest war handwerkliches Können: 8.Lf7-e6 Dg7-h6 9.Le6xd7 Lc8xd7 10.Tf1-f7 Dh6xh2 11.Td1xd7+ Kd8-e8 12.Td7-e7+ Ke8-d8 13.Te7-d7+ Kd8-c8 14.Td7-c7+ Kc8-d8 15.Tf7-d7+ Kd8-e8 16.Td7-d1 b7-b5 17.Tc7-b7 Dh2-h5 18.g3-g4 Dh5-h3 19.g4-g5 Dh3-f3 20.Td1-e1+ Ke8-f8 21.Tb7xb5 Kf8-g7 22.Tb5-b6 Df3-g3 23.Te1-d1 Dg3-c7 24.Td1-d6 Dc7-c8 25.b2-b3 Kg7-h7 26.Tb6-a6 und Tal gab auf.


Erstveröffentlichung am 24. Juni 2004

18. Juni 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang