Der FIDE-Weltmeister Anatoli Karpow ist nicht nur immer adrett angezogen, auch seine Partien pflegt er nach solidem Zuschnitt zu spielen. Sein bescheidenes Eröffnungsrepertoire und die Wahl zumeist ruhiger Varianten läßt opferreiche Partien zwar nicht häufig zu. Dafür leistet er sich freilich auch weniger Patzer als seine Großmeisterkollegen. Hin und wieder allerdings, wie beispielsweise im heutigen Rätsel der Sphinx vom 9. Januar 1988 aus dem traditionellen Hoogoven-Turnier in Wijk aan Zee, fällt er die Treppe dann doch bis zur letzten Stufe herunter. Sein Kontrahent, der jugoslawische Meister Nikolic, war wahrscheinlich genauso verdutzt wie die Kommentatoren und Zuschauer. Von einem weltmeisterlichen Auftreten Karpows in Wijk aan Zee war nicht viel zu sehen gewesen. Neben einigen dubiosen Zügen griff Karpow zweimal grob daneben. Sein Verteidigungstalent schlief, sein schier unverwüstliches Gespür für verborgene Rettungswege war abwesend, und das ausgerechnet bei einem Weltklasseturnier. Die Herren Dichter und Philosophen zogen in solch unpäßlichen Augenblicken gern eine Ausrede aus dem Ärmel hervor: Das Essen wäre ihnen auf den Magen und ebendarum auch auf den Kopf geschlagen. Vielleicht war es bei Karpow nicht das Essen, das er genoß, sondern eben nicht genießen konnte, das sein Spiel fahl und ideenlos war. Seine Lieblingsspeise Kaviar war ihm nämlich in Holland ausgegangen. Also, Wanderer, Karpow hatte zuletzt aus Mangel an guter leiblicher Versorgung 1.Se2-f4? gespielt und damit alles verpatzt, was man verpatzen konnte.
Karpow - Nikolic
Wijk aan Zee 1988
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Metz war sprachlos, entsetzt, konnte es nicht fassen, als ihm
gezeigt wurde, daß der elementare Endspielzug 1.c2-c4! die Partie
glatt gewonnen hätte. Der schwarze Freibauer wäre auch dann noch durch
den weißen König zu stoppen gewesen.
Erstveröffentlichung am 07. Juli 2004
01. Juli 2017
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