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SCHACH-SPHINX/06323: Kleinliche Geister (SB)


Wegen nichts sich in die Haare kriegen, ist so alt wie die Menschheitsgeschichte, und die Versuche, ob nun religiöser oder sozialpolitischer Art, diesem Urkonflikt der Gegenseitigkeit aus der Welt zu schaffen, scheiterten stets an der Uneinsicht beider Seiten. Auch in den Spielen, die der Mensch zur Annäherung an den anderen ersann, und den Künsten, die den Hauch des Göttlichen ins Menschengeschlecht tragen wollten, fand sich kein Mittel zur Remedur. Es bleibt dabei, der Mensch ist zanksüchtig, verlogen, immer nur auf seinen Vorteil bedacht. Oder schlimmer noch: Er besteht auf seiner Rechthaberei. Bei der französischen Meisterschaft von 1989 ereignete sich eine neue Variante dieser Kleingeisterei. Daß der Verlierer einer Partie in Zorn außer sich gerät und dem Sieger einen Fausthieb versetzt oder Beleidigungen an den Kopf wirft, das hat es alles schon gegeben. Daß jedoch der Sieger einer Partie die Beherrschung verlor und handgreiflich wurde, das war bis dahin noch nicht vorgekommen. Was war geschehen? Gilles Andruet hatte in seiner Partie gegen seinen Landsmann Jean-Luc Seret miserabel gespielt, so daß er rasch in Verluststellung kam. Andruet behauptete nun, beim 25. Zug aufgegeben zu haben, während Seret darauf drang, den Mattzug noch ausgeführt zu haben. Gilles strich auf dem Partieformular den letzten Mattzug durch und schrieb darunter 'abondonné' - aufgegeben. Seret fühlte sich nun um sein Recht betrogen, und als Andruet nicht einlenken wollte, stand er auf und schmetterte ihm seine Faust gegen die Stirn, dorthin also, wo ein Denker am empfindlichsten ist. Folge dieses Zusammenstoßes kleinlicher Geister war, daß Andruets Stirn genäht werden mußte und Seret für drei Monate gesperrt wurde. Übrigens bezog Andruet nicht zum ersten Mal Prügel. Bereits fünf Jahre vorher mußte er einen Faustschlag, der ihm die Sinne raubte, von Bachar Kouatly einstecken. Das heutige Rätsel der Sphinx hat diese Streitpartie zum Thema. Andruet hatte zuletzt 1...Dg8-f8? gezogen. Also, Wanderer, war dieser Zug faustschlagwürdig, oder nicht?



SCHACH-SPHINX/06323: Kleinliche Geister (SB)

Seret - Andruet
Epinal 1989

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Mit 1.Lf4-d2! drohte Wladimir Petrow, den schwarzen König in ein Mattnetz einzuwickeln. Die Drohung Ld2-c3+ ließ sich auf vernünftige Weise nicht außer Kraft setzen. So spielte Tartakower, auf die Qualität verzichtend, 1...Tg6-f6 2.Ld2-c3 Kg7-f7 3.Lc3xf6 Kf7xf6, mußte sich jedoch nach 4.Dc8-h8+ Kf6-f5 5.Kg1-f2 Kf5-e4 6.Dh8-e8+ Ke4xd5 7.De8-h5+ Kd5-c6 8.Dh5xh3 d6-d5 9.Dh3-e6+ Kc6-c7 10.Kf2-e3 a7- a5 11.a2-a4 d5-d4+ 12.Ke3-d3 Td7-d6 13.De6-f7+ Td6-d7 14.Df7-f4+ Kc7- c6 15.h2-h4 Td7-d6 16.Df4-e4+ der größeren Mobilität der weißen Dame geschlagen geben.


Erstveröffentlichung am 20. September 2004

14. September 2017


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