Von allen Groß- und Weltmeistern war Michail Tal wohl derjenige, der seine Gegner in die teuflischsten Schwierigkeiten bringen konnte. Mitten hinein in eine komplexe Stellung opferte er eine Figur und im Nu brannte das gesamte Brett. Schwindelerregende Zugfolgen mußten seine Kontrahenten plötzlich berechnen, was oftmals ihre Fähigkeiten überstieg. Nicht immer waren Tals Wendungen korrekt, doch die Widerlegung war von solcher Subtilität, daß sich hinterher ein Heer von Analytikern erst die Köpfe wund reiben mußte, ehe sie entdeckt werden konnte. Am Brett, mit der tickenden Uhr im Nacken, war dies selten zu bewerkstelligen. Im heutigen Rätsel der Sphinx aus dem WM- Kampf mit Michail Botwinnik spielte Tal nun 1...Sh5-f4!!? und entfachte damit den Streit zwischen Möglichem und Unmöglichem. Botwinnik erwiderte 2.g3xf4 e5xf4 3.Le3-d2? und verlor später die Partie und zuletzt den Titel. Also, Wanderer, der du keine Mühe scheuchst, um hinter das Geheimnis des Fragwürdigen zu kommen, mit welcher Zugfolge hätte Botwinnik den schwarzen Angriff lahmlegen können?
Botwinnik - Tal
Moskau 1960
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Angriffsstraßen mußten geöffnet werden. Also spielte Smyslow 1.f4-f5!
e6xf5 2.g4xf5 Db3-a3 3.Ke3-f4 g6xf5 4.Th1xh7+! Sf8xh7 5.Dd2-h2 Sh7xg5
6.Dh2-g3 Kg7-f8 7.Dg3xg5 Da3xc3 8.e5-e6!, worauf Schwarz aufgab, zu
Recht, denn nach 8...f7xg6 gewinnt 9.Dg5-g8+ Kf8-e7 10.Dg8-g7#
Unzureichend wäre auch der hübsche Einfall mit 7...Tb8-b2 gewesen
wegen 8.Sf6-e4!! Kf8-e8 9.e5-e6 f7xe6 10.Td1-h1 Ke8-d7 11.Th1-h7+ Kd7-
c8 12.Dg5-e7 Tb2-f2+ 13.Kf4-e5 und der weiße König steht mitten im
Zentrum sicherer als sonstwo auf dem Brett, während sein Rivale
rettungslos verloren ist.
Erstveröffentlichung am 14. Dezember 2005
13. Dezember 2018
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