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BERICHT/049: Die Frankfurter Schule in China (idw)


Goethe-Universität Frankfurt am Main - 28.08.2008

Kritik - Theorie - Kritische Theorie: Die Frankfurter Schule in China


FRANKFURT. Mit der Rezeption der Kritischen Theorie in China beschäftigen sich 50 Wissenschaftler bei einem internationalen und interdisziplinären Symposium vom 25. bis 27. September. Das Interdisziplinäre Zentrum für Ostasienstudien der Goethe-Universität veranstaltet die Tagung "Kritik - Theorie - Kritische Theorie: Die Frankfurter Schule in China" in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialforschung Frankfurt und der chinesischen Partneruniversität, der Sun Yatsen-Universität Guangzhou.

Bereits seit Beginn der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik Anfang der 1980er Jahre werden die Theorien der Frankfurter Schule in China rezipiert. Intellektuelle und Wissenschaftler verwendeten sie als Instrument, um die Missstände der Reformpolitik und des gesellschaftlichen Wandels zu analysieren und zu kritisieren. In der Phase der staatlichen Repression, die auf die Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 folgte, stellte die Frankfurter Schule eines der wenigen westlichen Theoriegebäude dar, das von der staatlichen Zensur verschont wurde. Die der Frankfurter Schule zu Grunde legenden marxistischen Grundgedanken wurden als Bindeglied zum chinesischen Marxismus angesehen. Es ist gerade die doppelte Identität der Frankfurter Schule - gleichzeitig regimekonform und dezidiert gesellschaftskritisch - die einerseits die Instrumentalisierung der kritischen Theorie ermöglicht, andererseits aber auch für das anhaltende Interesse an der Frankfurter Schule in China verantwortlich ist. Dass die Popularität der Frankfurter Schule im chinesischen Kulturraum ungebrochen ist, zeigt die in den vergangenen Jahren immens gestiegene Nachfrage nach den Schriften von Jürgen Habermas und Walter Benjamin.

Von westlicher Seite kaum beachtet, ist die chinesische Rezeption, Verwendung und gar Aneignung ein bisher weitestgehend unbekanntes Terrain, das viele neue Entdeckungen verspricht. Die Frankfurter Konferenz will zum ersten Mal im westlichen Kulturkreis eine Bestandsaufnahme vornehmen und sich mit grundlegenden Fragen der Rezeption der Frankfurter Schule in China auseinandersetzen, um auf diese Art und Weise dieses unbekannte Terrain auf der Landkarte des globalen Wissensaustausches neu zu skizzieren.

Fragen, die auf der Konferenz "Kritik - Theorie - Kritische Theorie" thematisiert werden sollen, erstrecken sich auf Bereiche wie den Hintergrund der Rezeption der Schriften Adornos, Horkheimers, Fromms, Marcuses, Habermas' und Benjamins in Ostasien; die Einpassung der importierten westlichen Ideen in die chinesische geistige Landschaft und das Problem des Entstehens von hybriden theoretischen Gebilden; die Veränderungen der Form der Rezeption im Zeitverlauf, sowie natürlich das Problem, welche kritischen und innovativen Ansätze bezüglich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Öffentlichkeit und kritische Meinungsäußerung die Schriften der Frankfurter Schule dem China der Gegenwart geben kann.

Um das breite Spektrum des Forschungs- und Tätigkeitsbereiches der Frankfurter Schule - von der "klassischen" Kritischen Theorie über Ästhetik, Massenkultur, negative Dialektik bis hin zu Öffentlichkeitsdiskursen, Kommunikationstheorie und Ansätzen der Zivilgesellschaft -abzudecken, ist ein interdisziplinärer und internationaler Austausch notwendig. Der Teilnehmerkreis der Konferenz umfasst Sinologen, Soziologen, Politologen, Philosophen und Kultur- und Medienwissenschaftler aus Deutschland, China, Japan, Korea und den USA, dazu gehören Rainer Forst, Günther Frankenberg, Axel Honneth, Alfred Schmidt, Alex Demirovic, Stefan Müller-Doohm, Karl-Heinz Pohl, Michael Lackner, Wang Hui, Cao Weidong, Zhang Xudong, Liu Kang, Kenichi Mishima und Tong Shijun. Gemeinsam werden sie den Stand der Debatte über die Kritische Theorie im Fernen Osten aus einer Vielzahl von Perspektiven beleuchten und so nicht nur Chinaspezialisten sondern einem breit interessierten Fachpublikum Einblicke in einen wichtigen Bereich der intellektuellen Debatte im China der Gegenwart vermitteln.

Finanziert wird das interdisziplinäre Symposium von der Volkswagen Stiftung und von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität. Bereits jetzt ist eine Folgekonferenz im Jahr 2010 geplant, die dann die chinesische Partneruniversität in Guangzhou ausrichtet.

Weitere Informationen unter:
http://www.sinologie.uni-frankfurt.de/kritischetheorie

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution131


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ulrike Jaspers, 28.08.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2008