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MELDUNG/1011: Jürgen Brähmer neuer Europameister im Halbschwergewicht (SB)




Eduard Gutknecht unterliegt im internen Duell nach Punkten

Jürgen Brähmer ist neuer Europameister im Halbschwergewicht. Der frühere WBO-Weltmeister besiegte vor 4500 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle den Titelverteidiger Eduard Gutknecht einstimmig nach Punkten (114:113, 116:111, 117:110) und sicherte sich damit die Möglichkeit, den amtierenden WBO-Champion Nathan Cleverly aus Wales noch in diesem Jahr herauszufordern. Während der 34jährige Schweriner nach längerer Pause seiner Karriere noch einmal einen kräftigen Schub gegeben hat, muß sein Gegner aus Gifhorn, der ebenfalls bei Sauerland Event unter Vertrag steht, einen langen Umweg in Kauf nehmen, will er sich erneut an die Weltspitze heranarbeiten.

Wieviel in diesem Duell für beide Boxer auf dem Spiel stand, zeigte sich von Beginn des Kampfes an. Ohne sich zunächst an den Gegner heranzutasten, stürzte sich Gutknecht ins Getümmel, bis Brähmer einen ersten Uppercut plazierte, der richtungsweisend für die Rollenverteilung in dieser Auseinandersetzung war. Während der Gifhorner über weite Strecken aktiver zu Werke ging, schlug sein Gegner nicht nur präziser, sondern auch wirkungsvoller zu. Der Rechtsausleger Brähmer traf in der zweiten Runde mit der linken Geraden, und nachdem Gutknecht im folgenden Durchgang zunächst aus der Distanz punkten konnte, sorgte der Schweriner wiederum für die gefährlicheren Aktionen. Noch verlief der Kampf ausgeglichen, und da auch der Titelverteidiger immer wieder den Schlagabtausch suchte, kamen die Zuschauer voll auf ihre Kosten.

Erst in der siebten Runde mußten die Kontrahenten dem hohen Tempo Tribut zollen, wovon Brähmer profitierte, der insbesondere in der Halbdistanz Vorteile hatte. Wenngleich auch er zahlreiche Treffer einstecken mußte, brachte er seinen Gegner zunehmend in Bedrängnis, der schließlich mit einem Punktabzug bestraft wurde, weil er den Herausforderer wiederholt heruntergedrückt hatte. Unterdessen brachte Trainer Ulli Wegner in Erfahrung, daß Gutknecht nach Punkten zurücklag, weshalb er seinen Schützling anspornte, noch einmal alles in die Waagschale zu werfen. Der Gifhorner zeigte sich bemüht, dieser Anweisung Folge zu leisten, konnte es aber an Schlagwirkung nicht mit Brähmer aufnehmen. Fast wäre Gutknecht noch ein weiteres Mal ein Punkt abgezogen worden, da er den Schweriner mit regelkonformen Mitteln nicht einschränken konnte. So blieb das Duell bis zur letzten Sekunde hitzig und turbulent.

Aus Perspektive der drei Punktrichter hatte sich Jürgen Brähmer besser aus der Affäre gezogen, wobei ein nicht allzu großer Vorsprung des Schweriners dem Kampfverlauf wohl am ehesten gerecht würde. Wie der Sieger im anschließenden ARD-Interview zutreffend anmerkte, habe man hierzulande schon lange keinen derart interessanten und engen Kampf mehr erlebt, den man mit Fug und Recht als Werbung für den Boxsport bezeichnen könne. Um so mehr freue er sich, bei seinem ersten Auftritt über die volle Distanz seit vielen Monaten gewonnen zu haben. Er sei in seiner Trainingsgruppe gut aufgenommen worden und habe seit Mitte September hart gearbeitet, um sich wieder in Form zu bringen.

Gegen Nathan Cleverly, der sich auf dem Höhepunkt seines Könnens befindet, muß sich Jürgen Brähmer noch einmal deutlich steigern. Das schätzt auch Trainer Karsten Röwer so ein, der jede Menge Arbeit auf sich und seinen Schützling zukommen sieht. Noch fehle es an der Konzentration über die volle Distanz, und Jürgen habe sich zu häufig auf den Nahkampf eingelassen, statt konsequent aus der langen Distanz zu boxen. Bereite man sich intensiv vor, stünden die Chancen gut, Cleverly zu besiegen und den Titel wieder nach Deutschland zu holen, so Röwer.

Enttäuscht zog Eduard Gutknecht Bilanz, daß er den Verlauf enger als die Punktrichter gesehen habe. Leider sei es ihm nicht gelungen, Brähmer vorzeitig auszuschalten und damit für klare Verhältnisse zu sorgen. Sein Trainer Ulli Wegner reagierte zunächst erbost auf das Urteil der Punktrichter und vertrat die Auffassung, der Kampf sei weitgehend ausgeglichen mit leichten Vorteilen für seinen Schützling verlaufen. Diese in der ersten Erregung angedeutete Einschätzung, da sei etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen, relativierte der 70jährige später bei der Pressekonferenz. Das Urteil gehe in Ordnung, nur mit der Punktwertung in der Anfangsphase sei er nach wie vor nicht einverstanden, schränkte Wegner seine anfängliche Kritik ein.

Promoter Wilfried Sauerland, der den Kampf in Südafrika im Fernsehen verfolgt hatte, versuchte die Wogen zu glätten. Er sei bekanntlich nie ein Freund interner Duelle gewesen. Aus seiner Sicht habe man einen spannenden und hochklassigen Kampf miterlebt, in dem Jürgen Brähmer letzten Endes verdient gewonnen habe. Vielleicht wäre eine knapperer Vorsprung des Schweriners angemessener gewesen als die teilweise sehr deutliche Wertung der Punktrichter. Ulli Wegner sei als Trainer stets mit vollem Herzen dabei, weshalb man seine Äußerungen nicht auf die Goldwaage legen sollte. Die Punktrichter seien jedenfalls neutral gewesen und hätten Brähmer den Sieg völlig zu Recht zugesprochen. Seines Erachtens werde Ulli Wegner einsehen, daß er mit seinen Äußerungen etwas zu weit gegangen sei, verwahrte sich Sauerland gegen die Mutmaßung, man habe Jürgen Brähmer von vornherein favorisiert und seinem Sieg nachgeholfen.

Offenbar räumt auch Wegner inzwischen ein, sich im Eifer des Gefechts im Ton vergriffen zu haben. Für ihn gebe es nun einmal nichts Schlimmeres als Niederlagen, und er müsse einräumen, daß die Emotionen mit ihm durchgegangen seien. Er entschuldige sich dafür und wolle das Thema damit abhaken, da er sich unverzüglich mit Arthur Abraham auf dessen nächsten Kampf vorbereiten müsse.

4. Februar 2013