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MELDUNG/1568: Pyrrhussieg im Brand verheizter Talente? (SB)




Billy Joe Saunders setzt sich hauchdünn gegen Chris Eubank durch

Im Vorprogramm der insgesamt deprimierenden Deklassierung Dereck Chisoras durch seinen britischen Landsmann Tyson Fury im Schwergewicht ging in der Londoner ExCel Arena ein wesentlich spannenderes Duell über die Bühne. In einem ebenfalls mit hochgespielten Erwartungen befrachteten Kampf des Mittelgewichts setzte sich Billy Joe Saunders hauchdünn mit 2:1-Punktrichterwertungen gegen Chris Eubank jun. durch (115:114, 115:113, 113:116). So kontrovers wie die Einschätzungen der Offiziellen waren auch die Stellungnahmen der Kommentatoren. Während die einen das Ergebnis mit der Begründung rechtfertigten, Eubank habe gegen den technisch überlegenen Saunders zu spät die Initiative ergriffen, monierten die andern, der favorisierte Europameister habe die letzten sieben Runden lang ungestraft geklammert und so den Schlagabtausch weitgehend verhindert.

Die Austragung dieses Kampfs mutete als solche ungewöhnlich an, da die beiden 25jährigen Boxer ungeschlagen und in der mittleren Aufbauphase ihrer Karriere waren. Um eines attraktiven innerbritischen Duells willen ließ man gewissermaßen eines der beiden Talente über die Klinge springen. Während Billy Joe Saunders seinen Titel erfolgreich verteidigte und nun in 21 Auftritten unbesiegt ist, mußte Eubank in seinem 19. Profikampf die erste Niederlage hinnehmen. [1]

Zum Auftakt spielte der in Rechtsauslage boxende Saunders seine technischen Qualitäten aus und dominierte mit seinem Jab das Geschehen, während Eubank Mühe hatte, sich auf die ungewöhnliche Distanz einzustellen. Auch die folgenden Runden gingen an den Olympiateilnehmer, der fleißiger boxte und dem Gegner kaum Gelegenheit gab, mit seiner gefährlicheren Schlagwirkung zum Zuge zu kommen. Bis zur Mitte des Kampfs änderte sich nichts an diesem Bild, das einen klaren Punktsieg des Europameisters und Commonwealth-Champions erwarten ließ.

In der sechsten Runde begann sich das Blatt jedoch zu wenden, als Eubank den Kontrahenten erstmals in den offenen Kampf verwickeln und ihm etliche Treffer verpassen konnte. Saunders geriet zusehends in die Defensive, bekam immer mehr Schläge ab und schien konditionell nachzulassen. Um seinen etwas kleineren Gegner zu neutralisieren, lehnte er sich des öfteren auf ihn und klammerte ein ums andere Mal. Eubank, der noch nie länger als acht Runden geboxt hatte, nahm zusehends Fahrt auf, stellte Saunders im neunten Durchgang an den Seilen und bearbeitete ihn mit wuchtigen Haken. Am Ende der zehnten Runde rettete sich der deutlich gezeichnete Favorit gerade noch in die Pause, in der elften und zwölften schien Saunders nur noch damit beschäftigt zu sein, den Gegner mit allen Mitteln am Schlagen zu hindern und keinesfalls zu Boden zu gehen.

Da jede Runde für sich gewertet und der Punktzettel sofort abgegeben wird, ist natürlich nicht auszuschließen, daß Saunders rein rechnerisch gesehen dank seiner fleißig geboxten ersten Hälfte zu Recht die Oberhand behalten hat. Berücksichtigt man jedoch, daß er in der zweiten Hälfte des Kampfs kaum noch mit dessen Gestaltung, sondern nur noch dem eigenen Überleben beschäftigt war und zu diesem Zweck fast nach Belieben klammern durfte, drängt sich die Frage auf, ob tatsächlich der bessere Boxer gewonnen hat. Die Prognose, daß Eubank diesen Kampf nur durch K.o. gewinnen könne, weil Saunders dank seiner Olympiateilnahme und der gewonnenen Titel wesentlich populärer ist, wurde jedenfalls nicht widerlegt.

Chris Eubank sprach von einem knappen Ergebnis, wobei Saunders zunächst seinen Plan durchgezogen habe, wie es zu erwarten gewesen sei. Seiner Meinung nach habe er jedoch in der zweiten Hälfte des Kampfs die meisten Runden gewonnen und hoffe daher, daß es bald zu einer Revanche kommen werde. Billy Joe Saunders attestierte seinem Gegner eine ansehnliche Schlagfrequenz, doch habe dieser anfangs etwas zu langsam geboxt. Er selbst sei nun bereit für einen Kampf um die Weltmeisterschaft, und sobald er den Titel gewonnen habe, werde Eubank sein erster Herausforderer sein. [2]

Am 13. Dezember treffen Andy Lee aus Irland und der Russe Matt Korobow zum Kampf um den vakanten Titel der WBO im Mittelgewicht aufeinander. Der in 24 Auftritten unbesiegte Korobow dürfte in Anbetracht seiner enormen Schlagwirkung den Ring in Las Vegas als Sieger verlassen, wenngleich auch der Ire als beherzter Kämpfer gilt, der seinerseits ordentlich zuschlagen kann. Billy Joe Saunders wird aller Voraussicht nach den Sieger herausfordern und mit Sicherheit verlieren, sollte er sich nicht gegenüber seinem Duell in London gehörig steigern.

Der vergleichsweise unerfahrene Chris Eubank ließ Saunders zu lange gewähren und fand später kein Mittel, sich gegen dessen ständiges Halten und Drücken durchzusetzen, das vom Ringrichter geduldet wurde. Wer immer den Titelkampf in Las Vegas gewinnt, wird Billy Joe Saunders auseinandernehmen, sobald dieser nicht mehr vor einem ihm gewogenen Kampfgericht antreten kann. Das gilt um so mehr für die Weltmeister Gennadi Golowkin und Miguel Cotto, in deren Nähe der Brite jedoch ohnehin nicht kommen dürfte.

Saunders und Eubank hätten noch ein oder zwei Jahre sorgsamen Aufbaus gutgetan, doch ist das heutzutage kaum noch eine Option für populäre Boxer und deren Umfeld. Das Kräftemessen der beiden noch relativ jungen Briten ließ sich gewinnbringend vermarkten und hat Saunders einen Erfolg beschert, der sich als Pyrrhussieg erweisen könnte. So ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß Chris Eubank trotz seiner Niederlage auf längere Sicht die bessere Karte gezogen hat. Billy Joe Saunders wird von den britischen Medien überhöht, die ihn vermutlich gnadenlos fallenlassen, sollte er als Herausforderer des WBO-Weltmeisters aussichtslos scheitern. Demgegenüber könnte Eubank sogar davon profitieren, vorerst ins zweite Glied verwiesen zu sein, wo er Schritt für Schritt dazulernen und die nötigen Erfahrungen sammeln kann.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/11/chisora-fury-2-early-results/#more-185010

[2] http://www.bbc.com/sport/0/boxing/30265602

2. Dezember 2014