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MELDUNG/1596: Mit den Dirrells ist nicht gut Kirschen essen (SB)




Eine Nummer zu groß für den Briten George Groves

Anthony Dirrell, WBC-Weltmeister im Supermittelgewicht, hätte eigenen Angaben zufolge nichts dagegen einzuwenden, anstellte der ihm zustehenden freiwilligen Titelverteidigung im ersten Halbjahr 2015 gleich gegen seinen Pflichtherausforderer George Groves anzutreten - sofern die Kasse stimmt. Der ungeschlagene Champion, für den 27 Siege sowie ein Unentschieden zu Buche stehen, ist nicht nur auf dem Papier erheblich stärker als der Brite mit seinen 21 gewonnenen und zwei verlorenen Auftritten. Das erklärt, warum der US-Amerikaner kein Problem darin sieht, sich auf diesem Wege der lästigen Pflicht zu entledigen.

Groves ist der Vorzugsstatus, den Weltmeister herausfordern zu dürfen, mehr oder weniger in den Schoß gefallen. Obgleich er zweimal nacheinander vorzeitig gegen seinen Landsmann Carl Froch verloren hatte, verfügte der Verband WBC, ihn in einem Ausscheidungskampf gegen Christopher Rebrasse antreten zu lassen. Im September setzte sich der Brite mühsam nach Punkten gegen den wenig bekannten Franzosen durch, womit er gefährlicheren Konkurrenten wie etwa den Mexikanern Julio Cesar Chavez jun. oder Gilberto Ramirez aus dem Weg gehen konnte.

Dirrell ließ allerdings keinen Zweifel daran, daß er viel Geld verdienen wolle, da es schließlich in diesem Geschäft um nichts anderes gehe. Er habe sich den Gürtel geholt und wolle nun die Ernte einfahren. Und da er so lange darauf gewartet habe, sollte nun alles zügig vonstatten gehen. Eingedenk der schlechten Erfahrungen seines älteren Bruders Andre, der 2009 in Nottingham umstritten gegen den Lokalmatador Carl Froch verloren hatte, hält Anthony Dirrell wenig davon, in England anzutreten. Als Titelverteidiger könnte er darauf bestehen, den Kampf in den USA auszutragen, während der Berliner Promoter Sauerland Event, bei dem Groves unter Vertrag steht, einen Auftritt in London vorziehen würde. [1]

Was den erhofften Umsatz betrifft, ist mit Groves in den USA kein Staat zu machen. Will Dirrell ordentlich verdienen, muß er sich den Herausforderer wohl oder übel vor dessen Heimpublikum vornehmen. Noch ist ungewiß, welchem Aspekt er letzten Endes den Zuschlag gibt. Möglicherweise zieht er es vor, den Pflichtherausforderer schnellstmöglich aus dem Verkehr zu ziehen, um sich danach ungehindert lukrativen Kämpfen widmen zu können.

Anthony Dirrell geht davon aus, daß sein Bruder noch vor Ablauf des Jahres ebenfalls Weltmeister wird und die beiden anschließend das gesamte Supermittelgewicht unter Kontrolle bringen. Von der Hand zu weisen ist diese Perspektive nicht, da Andre seit seinem Comeback im Sommer drei Auftritte gewonnen und dabei am 19. Dezember auch Derek Edwards in einem Ausscheidungskampf um Platz 2 der IBF-Rangliste besiegt hat. Weltmeister bei diesem Verband ist Carl Froch, der es bereits abgelehnt hat, gegen den Pflichtherausforderer James DeGale anzutreten. Froch wird folglich den Titel abgeben müssen, worauf Andre Dirrell gegen James DeGale antreten, ihn besiegen und nächster IBF-Champion werden könnte.

Andererseits wäre George Groves gut beraten, sich den Kampf gegen Anthony Dirrell aus dem Kopf zu schlagen und statt dessen gegen DeGale anzutreten. Dirrell kann er nicht besiegen, zumal ihn Froch zweimal auf die Bretter geschickt hat, der langsamer und längst nicht so präzise schlägt wie der US-Amerikaner. Wenngleich alle Fernvergleiche letzten Endes hinken, spricht doch nichts dafür, daß Groves diesen Kampf gewinnen könnte, gleich an welchem Ort er über die Bühne geht.

James DeGale hingegen hat er 2011 schon einmal besiegt, wenngleich viele Fans der Meinung waren, daß Groves die Gunst der Punktrichter zu Hilfe kam. Während Dirrell ein sehr beweglicher Boxer ist, den der Brite schwerlich stellen könnte, pflegt sein Landsmann DeGale recht plattfüßig auf der Stelle zu stehen, so daß er ihn ein zweites Mal in die Schranken weisen könnte. Sollte es ihm gelingen, das Publikum auf seine Seite zu ziehen, hätte er auch bei einem engen Kampfverlauf wenig zu befürchten.

Ein zweites nicht zu unterschätzendes Argument sind die zu erwartenden Einkünfte bei einem weiteren beliebten innerbritischen Duell. Obwohl man in diesem Fall nicht das Wembley-Stadion füllen könnte wie beim Kampf vor 80.000 Zuschauern gegen Carl Froch, wäre die kleinere Wembley Arena doch immer noch groß genug, um eine spektakuläre Kulisse zu bieten. Groves könnte in diesem Fall womöglich noch mehr verdienen als bei einem Titelkampf gegen Dirrell und den Ring wahrscheinlich als Sieger verlassen. [2]

Verliert er gegen Anthony Dirrell, kann er seine internationale Karriere auf lange Zeit abschreiben. Gelänge es ihm hingegen, Andre Dirrell zuvorzukommen und gegen James DeGale um den IBF-Titel zu kämpfen, wäre dies die weit aussichtsreichere Option. Das wiederum hängt davon ab, wie schnell der Verband darauf besteht, daß Carl Froch seiner Pflicht nachkommt oder den Gürtel zurückgibt. Da George Groves in der Vergangenheit nicht gerade für eine nüchterne Einschätzung der eigenen Fähigkeiten bekannt war, steht zu befürchten, daß er auf einen Titelkampf gegen Anthony Dirrell besteht. Andererseits neigt Sauerland dazu, seine Trümpfe zu pflegen und vorsichtig auszuspielen, indem keine allzu gefährlichen Gegner ausgewählt werden. Viel dürfte davon abhängen, inwieweit der Berliner Promoter die Pläne der beteiligten Verbände sondieren und womöglich sogar eigene Interessen geltend machen kann.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/12/dirrell-ready-for-groves-if-the-money-is-right/#more-186104

[2] http://www.boxingnews24.com/2014/12/groves-better-off-skipping-dirrell-fight-for-degale/#more-186069

3. Januar 2015


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