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MELDUNG/1695: Aufs falsche Pferd gesetzt (SB)



Carl Froch steht mit leeren Händen da

Die Niederlage des Mexikaners Julio Cesar Chavez jun. gegen Andrzej Fonfara durchkreuzt auch die Zukunftspläne Carl Frochs. Der Brite hat seit fast einem Jahr nicht mehr im Ring gestanden und sich noch immer nicht dazu durchgerungen, entweder einen in angemessener Frist realisierbaren Kampf auszutragen oder seine Karriere zu beenden. Niemand hätte es ihm ernsthaft verübelt, wenn er nach dem zweiten Sieg gegen seinen Landsmann George Groves vor über 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion aufs sportliche Altenteil gegangen wäre. Froch träumte jedoch von einem grandiosen Ausklang seiner Laufbahn unter den Lichtern von Las Vegas und versteifte sich auf Chavez als Wunschgegner für dieses Finale.

Wenngleich es anfangs einige plausible Argumente gab, die für dieses Duell sprachen, nahm es im Laufe der Monate, die der Brite untätig verstreichen ließ, zunehmend den Charakter eines Phantoms an, das um so substanzloser anmutete, je hartnäckiger der Brite darauf beharrte. Chavez war schon vor der Niederlage gegen Fonfara keineswegs der Boxer von Weltklasse, den Froch in Verkennung der Verhältnisse in ihm sehen wollte. Nachdem der ehemalige WBC-Weltmeister im Mittelgewicht 2012 von dem Argentinier Sergio Martinez entthront worden war, bestritt er in den beiden folgenden Jahren jeweils nur einen Kampf gegen den körperlich klar unterlegenen Brian Vera und machte selbst dabei keine sonderlich gute Figur.

Wäre es nach Frochs Promoter Eddie Hearn gegangen, hätte der WBA-Weltmeister im Supermittelgewicht machbare und einträgliche Kämpfe gegen seinen Landsmann James DeGale oder den Dänen Mikkel Kessler bestritten und höchstwahrscheinlich auch gewonnen. Hearn fügte sich jedoch wohl oder übel den verstiegenen Plänen seines Boxers und verhandelte mit Julio Cesar Chavez, was nicht einfach war. Als endlich Land in Sicht zu sein schien, zog sich Froch einen Rückenverletzung zu und mußte den Mexikaner verschieben, der noch gar nicht definitiv eingewilligt hatte.

Nachdem der als vermeintlich handhabbarer Gegner in einem Aufbaukampf vorgesehene Fonfara die Oberhand behalten hat, sieht Froch keinen Grund mehr, sich mit Chavez zu messen. Der Mexikaner sei im Halbschwergewicht offensichtlich überfordert gewesen und könnte sich künftig vielleicht noch gegen schwächere Akteure im Supermittelgewicht durchsetzen. Er gehöre jedoch nicht mehr der Weltklasse an, so daß ein Sieg über ihn bedeutungslos wäre, lautet Frochs späte Einsicht. [1]

Wie der Brite nun erklärt, sei er daran interessiert, gegen den Sieger des Kampfs um den vakanten IBF-Titel zwischen Andre Dirrell und James DeGale anzutreten, die am 23. Mai in Boston aufeinandertreffen. Da Froch in der Vergangenheit eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer DeGale mit der Begründung abgelehnt hatte, dieser müsse sich seine Sporen erst noch verdienen, entbehrt sein Sinneswandel nicht einer gewissen Erklärungsnot. [2]

Ob Froch allen Ernstes auf diese Option setzt, ist so wenig konsistent wie seine gesamte Motivlage. Er hat die günstige Ausgangsposition des umworbenen Weltmeisters, der unter diversen Kandidaten wählen kann, durch sein langes Zögern längst abgewirtschaftet und scheint nun den Eindruck erwecken zu wollen, alles unter Kontrolle zu haben, obgleich ihm diese längst entglitten ist. Sollte es jedoch zu einem Kampf gegen den neuen IBF-Champion kommen, stünde der Brite aller Voraussicht nach Andre Dirrell gegenüber.

Die beiden trafen vor sechs Jahren im Super-Six-Turnier in Frochs Heimatstadt Nottingham aufeinander, wo der US-Amerikaner eine überzeugende Vorstellung gab. Wie es heißt, habe der Brite damals höchst überrascht gewirkt, als er zum Punktsieger erklärt wurde. Seither hat Dirrell des öfteren eine Revanche gefordert, die aber keinesfalls in Nottingham stattfinden dürfe, da man ihn dort um den Sieg betrogen habe. Andre Dirrell scheint heute noch besser zu boxen als damals, was man von Froch kaum sagen kann.

Dieser hat zuletzt 2013 mit Mikkel Kessler einen Gegner der Spitzenklasse besiegt, wobei der Däne zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem absteigenden Ast zu sein schien. Mit George Groves gab er zuletzt einem nahezu ebenbürtigen Kontrahenten das Nachsehen, der sich bis dahin nur im nationalen Rahmen einen Namen gemacht hatte. Inzwischen ist Froch 37 Jahre alt und hat sich selbst in ein Niemandsland zwischen verblassendem Ruhm früherer Taten und zunehmend vagen Zukunftsperspektiven manövriert.

Man kann wohl davon ausgehen, daß Eddie Hearn dringend von einem zweiten Kampf gegen Andre Dirrell abraten würde, sollte sich der Amerikaner in Boston durchsetzen. Behält jedoch James DeGale wider Erwarten die Oberhand, ließe sich dessen Duell mit Froch in England ausgezeichnet vermarkten. Da es frühestens Ende des Jahres zu diesem Kampf kommen könnte, hätte der WBA-Weltmeister dann rund 18 Monate nicht mehr im Ring gestanden. Vernünftigerweise sollte Froch in der Zwischenzeit einen Aufgalopp einlegen, was freilich eine konkrete Karriereplanung voraussetzen würde, an der es ihm offenbar gebricht.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/04/froch-i-would-prove-nothing-in-beating-chavez-jr/#more-191688

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/04/froch-interested-in-fighting-degale-dirrell-winner/#more-191589

28. April 2015


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