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MELDUNG/1942: Berliner Luft im Reisegepäck (SB)



Arthur Abraham muß in Las Vegas Akzente setzen

Mike Tyson gibt Arthur Abraham den Rat, es am kommenden Samstag bei seinem Kampf gegen Gilberto Ramirez in Las Vegas nicht auf das Urteil der Punktrichter ankommen zu lassen. "Mach es wie ich, gewinn durch Knockout - du kannst es", so der frühere Schwergewichtsweltmeister. Wenn Mike das sage, werde er ihm und den Fans selbstverständlich diesen Gefallen tun, erwidert der Berliner vor seinem ersten Auftritt im Scheinwerferlicht der Spielerstadt. Der 36jährige Champion, für den 44 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen, verteidigt den Titel der WBO im Supermittelgewicht gegen den zwölf Jahre jüngeren und in 33 Auftritten ungeschlagenen Pflichtherausforderer aus Mexiko. Der Kampf im MGM Grand findet im Vorprogramm des spektakulären Duells zwischen Manny Pacquiao und Timothy Bradley statt.

Der Weltmeister geht ein beträchtliches Risiko ein, auf seinen Heimvorteil zu verzichten und sich dem Ranglistenersten der WBO an einem Ort zu stellen, wo das Publikum seinen Gegner anfeuern wird. Promoter Bob Arum, unter dessen Regie die gesamte Veranstaltung über die Bühne geht, hat zweifellos ein finanzielles Angebot gemacht, das kaum auszuschlagen war. Ramirez gehört zum Kreis jener Talente, mit denen Arum nach dem Rücktritt Pacquiaos, der vermutlich gegen Bradley seine Abschiedsvorstellung gibt, für die Zukunft plant. Zudem ist der Mexikaner in den letzten vier Jahren siebenmal in den USA aufgetreten, so daß er der dortigen Zuschauerschaft recht gut bekannt ist.

Der Berliner hat in seiner nun schon dreizehn Jahre währenden Profilaufbahn dreimal in den USA gekämpft. Mit einem der besten Auftritte seiner Karriere setzte er sich 2008 bei der Revanche gegen Edison Miranda in Hollywood, Florida, durch. Bei den beiden anderen Kämpfen mußte er sich hingegen im Super-Six-Turnier geschlagen geben. Er unterlag Andre Dirrell 2010 in Detroit durch Disqualifikation und war im folgenden Jahr in Carson, Kalifornien, chancenlos gegen Andre Ward. Da das US-Publikum besonders schnell vergißt, kann Abraham nicht davon ausgehen, daß man sich noch an ihn erinnert.

Neben dem erheblichen Altersunterschied schlägt auch die Reichweite für den Herausforderer zu Buche, der mit einer Größe von 1,89 m den 1,75 m messenden Champion weit überragt. Dieser kann jedoch seine Erfahrung in Kämpfen gegen hochklassige Kontrahenten und nicht zuletzt eine überlegene Schlagwirkung ins Feld führen. Für den Berliner wird es also ganz wesentlich darauf ankommen, auf Schlagdistanz an den Mexikaner heranzurücken.

Ramirez hat den überwiegenden Teil seiner Laufbahn versucht, die Kampfesweise seines legendären Landsmanns Julio Cesar Chavez nachzuahmen, der als berühmtester Vertreter des mexikanischen Stils gilt. Chavez kämpfte vorzugsweise dicht am Gegner, machte Druck und schlug häufig zum Körper, womit er sich als kleiner und leichter Boxer meisterhaft gegen physisch überlegene Widersacher durchzusetzen verstand. Für einen so hochgewachsenen Akteur wie Ramirez macht es jedoch keinen Sinn, diesen Vorteil preiszugeben.

Bei seinem Sieg über den Russen Maxim Wlasow im Januar 2015 mußte Ramirez viele Schläge einstecken und behielt nur knapp nach Punkten die Oberhand. Daraufhin stellte er endlich seine Kampfesweise um und boxte mehr aus der Distanz, worauf er sich gegen Derek Edwards und Gevorg Chatschikian deutlich verbessert zeigte. Zieht man in Betracht, wie gefährlich Wlasow mit seinen Treffern zum Zuge am, obgleich er nicht gerade für eine ausgeprägte Schlagwirkung bekannt ist, sollte Abraham noch bessere Karten gegen den Mexikaner haben. Um die Nehmerqualitäten des Herausforderers scheint es nicht zum Besten bestellt zu sein, was in der Vergangenheit jedoch selten zutage trat, weil ihn sein Promoter Bob Arum seit dem Profidebüt im Jahr 2009 mit relativ schwachen Gegnern fütterte.

Abraham wäre sicher gut beraten, Ramirez energisch anzugreifen, zumal dieser unter Druck vermutlich auf seine langjährige Gewohnheit zurückgreifen würde, die Reichweitenvorteile zu vernachlässigen. Die Halbdistanz böte dem Weltmeister Gelegenheit, seine wuchtigen Schläge ins Ziel zu bringen, denen der Herausforderer auf die Dauer kaum gewachsen sein dürfte. Abzuwarten und dem Gegner die Arbeit zu überlassen, wie er es in der Vergangenheit zum Leidwesen seines Trainers Ulli Wegner allzu oft getan hat, kann sich der Berliner keinesfalls leisten.

Wie Abraham berichtet, sei das Höhentraining in Bulgarien sehr hilfreich gewesen, da er konditionell nie in besserer Verfassung gewesen sei als derzeit. Er fühle sich an seinen zweiten Kampf gegen Edison Miranda erinnert und müsse auf überzeugende Weise gewinnen. Das gelte besonders für seinen Auftritt in Las Vegas, wo die Punktrichter bekanntermaßen die Aktivität hoch bewerteten. Ihn erwarte eine enorme Anforderung, die er nur bewältigen könne, indem er sein Bestes gebe. Verglichen mit seiner Revanche gegen Miranda fällt der Medienrummel nun erheblich moderater aus. Das Vorprogramm der Veranstaltung steht im Schatten des Hauptkampfs, der seit Monaten in allen einschlägigen Webseiten in den USA heiß diskutiert wird.

Dessen ungeachtet steht für den Berliner sehr viel auf dem Spiel, da er sich keine Niederlage erlauben kann. Verliert er den Titel, bekommt er mit Sicherheit in absehbarer Zeit keine Gelegenheit, sich den Gürtel zurückzuholen. Bob Arum hat bereits angekündigt, daß er Ramirez im Falle eines Sieges gegen namhafte einheimische Akteure kämpfen lassen will. Den Anfang würde wohl Jesse Hart machen, der ebenfalls bei Top Rank unter Vertrag steht. Das entspräche der Gepflogenheit Arums, wenn irgend möglich die Regie in den eigenen Händen zu behalten.

Danach sollen große Namen wie Gennadi Golowkin, Saul "Canelo" Alvarez oder Miguel Cotto folgen, träumt Arum davon, Ramirez fast über Nacht zu einem neuen Star der Szene aufzuwerten. Um das zu schaffen, müßte der Mexikaner tatsächlich gegen Mittelgewichtler antreten, da es in seinem Limit an vergleichbar populären Kontrahenten mangelt. Wenngleich schon die Vorstellung, Ramirez könnte sich gegen einen dieser drei Akteure durchsetzen, recht abenteuerlich anmutet, macht zumindest der Plan Sinn, in niedrigeren Gewichtsklassen zu wildern. Der US-Promoter ist nicht so verrückt, an Halbschwergewichtler wie Sergej Kowaljow, Adonis Stevenson oder Artur Beterbijew zu denken. Ramirez wäre dafür zwar groß genug, aber gemessen an seinen technischen Fertigkeiten und seiner Schlagwirkung chancenlos in einem solchen Kampf. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/04/mike-tyson-wants-abraham-ko-gilberto-ramirez/#more-207644

7. April 2016


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