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MELDUNG/2117: Manchmal macht's die Masse (SB)



Curtis Stevens chancenlos gegen David Lemieux

Der frühere IBF-Weltmeister im Mittelgewicht David Lemieux aus Kanada hat sich in Verona im Bundesstaat New York in der dritten Runde gegen den namhaften US-Amerikaner Curtis Stevens durchgesetzt. Der 28jährige Kanadier verbesserte dank dieses erfolgreichen Auftritts im Turning Stone Resort & Casino seine Bilanz auf 37 Siege und drei Niederlagen. Für den bislang in der WBC-Rangliste an Nummer zwei geführten Stevens, der vier Jahre älter ist, stehen nun 29 gewonnene und sechs verlorene Kämpfe zu Buche.

Von Beginn an deckte Lemieux seinen Gegner mit Rechten zum Kopf und linken Haken zum Körper ein, worauf Stevens an die Seile zurückwich. Dort sah es zwangsläufig noch schlimmer für ihn aus, da er den Schlägen des Kanadiers weit weniger entgehen konnte, der ihn fortgesetzt mit schweren Treffern traktierte. Wenngleich der US-Amerikaner taumelte und beinahe umfiel, erreichte er wie durch ein Wunder die rettende Pause. Erst gegen Ende der zweiten Runde machte Stevens eine etwas bessere Figur, da der Favorit längst nicht mehr so häufig schlug wie zuvor. [1]

Das frühe Ende folgte dann im nächsten Durchgang, als die Kontrahenten fast gleichzeitig einen linken Haken schlugen, aber Lemieux um den Bruchteil einer Sekunde früher zum Zuge kam. Schwer getroffen fiel Stevens rücklings zu Boden, wo er bewußtlos liegenblieb. Ringrichter Charlie Fitch erklärte den Kampf nach 1:59 Minuten der dritten Runde für beendet, während sich die herbeigeeilten Betreuer und der Ringarzt um Curtis Stevens kümmerten, der erst Minuten später wieder zu Bewußtsein kam. Der US-Amerikaner wurde schließlich aus dem Ring getragen und zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht, wie das in solchen Fällen obligatorisch ist. [2]

Ein wesentlicher Grund, warum Lemieux so eindeutig die Oberhand behalten hatte, waren seine ins Auge stechenden körperlichen Vorteile. Er ist nicht nur deutlich größer als Stevens, sondern wirkte an diesem Abend auch so viel schwerer, als träten Boxer unterschiedlicher Gewichtsklassen gegeneinander an, die irrtümlich in denselben Ring geschickt worden waren. Der Kanadier schlug nicht nur häufiger, sondern auch erheblich wirksamer als sein Gegner, den er durch seine höhere Frequenz nicht zur Entfaltung kommen ließ. Auch Stevens kann erfahrungsgemäß kräftig zuschlagen, doch bot sich ihm zunächst kaum die Gelegenheit dazu, den Kontrahenten seinerseits zu prüfen. Wenn er aber doch einmal durchkam, schien Lemieux mit Hilfe seiner schieren Masse alles problemlos wegzustecken, was bei ihm einschlug.

Lemieux hatte zwar beim offiziellen Wiegen am Vortag die Obergrenze des Mittelgewichts eingehalten, danach aber jede Menge zugelegt. Seine Schlagwirkung schien sich dadurch gegenüber den vorangegangenen Kämpfen kaum verbessert zu haben, doch konnte er die Angriffe des Gegners relativ problemlos absorbieren. Vermutlich konnte er von Glück reden, daß es Stevens nicht gelang, länger durchzuhalten und die Kondition des wuchtigen Kanadiers auf die Probe zu stellen, dem wahrscheinlich früher oder später die Luft ausgegangen wäre.

Der Sieger zog hinterher mit den Worten Bilanz, er habe seine Ankündigung perfekt in die Tat umgesetzt. Nach einem rundum gelungenen Trainingslager sei er in bester Verfassung angetreten. Stevens sei stark, habe ihn aber nicht im mindesten beeindrucken und bremsen können. Jetzt wolle er die besten Gegner vor die Fäuste bekommen und Billy Joe Saunders den Titel abnehmen, Saul "Canelo" Alvarez in die Schranken weisen und insbesondere an dem "Kingpin Golowkin" Revanche nehmen.

Was seine formalen Voraussetzungen betrifft, kann Lemieux, der beim Verband WBC bislang an dritter Stelle der Rangliste geführt wird, nach dem leichten Sieg über Stevens durchaus Ansprüche stellen. Daß ihn seine Promoter Eye of the Tiger und Golden Boy ein zweites Mal dem Kasachen zuführen, macht jedoch überhaupt keinen Sinn und ist so gut wie ausgeschlossen. Golowkin hatte bei ihrer Begegnung im Oktober 2015 sieben Runden lang mit ihm gespielt, um ihn dann in der achten geschlagen auf die Bretter zu schicken. Man kann wohl davon ausgehen, daß der Kanadier Verstand genug hat, eine zweite Bestrafung nicht ernsthaft einzufordern.

Naheliegender wären da schon "Canelo", der ebenfalls bei den Golden Boy Promotions unter Vertrag steht, oder der nicht allzu gefährlich eingeschätzte Billy Joe Saunders. Der Brite hat mit dem Gürtel der WBO die einzig verbliebene Trophäe in seinem Besitz, die Gennadi Golowkin noch zur Komplettierung seiner Titelsammlung im Mittelgewicht fehlt. Das allein macht Saunders zu einem recht begehrten Kontrahenten nicht nur für den Kasachen, sondern natürlich auch andere Kandidaten wie Lemieux. Dieser könnte sich andererseits auch für Daniel Jacobs interessieren, sofern der New Yorker am 18. März gegen Golowkin verliert, was als recht wahrscheinlich gilt. Für den Kanadier wäre Jacobs eine anspruchsvolle Prüfung, doch könnte er davon profitieren, daß der New Yorker womöglich im Kampf gegen Golowkin kräftig Federn gelassen hat.

Curtis Stevens, der einst zu den vielversprechendsten Akteuren der Branche zählte, hat den Zenit seines Könnens inzwischen weit überschritten und dürfte endgültig aus dem Rennen um eine erneute Titelchance sein. Schon bei seinem vorangegangenen Kampf gegen James de la Rosa ließ er eklatante Schwächen erkennen, was ein maßgeblicher Grund dafür gewesen sein dürfte, daß er als Gegner des Kanadiers verpflichtet wurde. Was David Lemieux betrifft, sollte er keinesfalls auf extremen Gewichtszuwachs nach dem Wiegen setzen, da ihm das gegen stärkere Kontrahenten zum Verhängnis würde. Als der HBO-Experte Max Kellerman den Kanadier auf sein Gewicht ansprach, zog sich Lemieux auf die oben zitierte Aussage zurück, er sei in Bestform angetreten. Sollte er dazu neigen, das sogar selber zu glauben, würde ihn ein Blick in die Aufzeichnungen seiner früheren Kämpfe sicher eines Besseren belehren. Damals boxte er nicht nur erheblich schneller, sondern auch genauso wirkungsvoll wie bei seinem aktuellen Kräftemessen mit Curtis Stevens, der nur noch ein Schatten besserer Tage ist.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18888194/david-lemieux-ko-curtis-stevens-third-round-middleweight-bout

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/03/david-lemieux-vs-curtis-stevens-results/#more-22980

12. März 2017


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