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MELDUNG/2147: Titel sind nicht das höchste der Gefühle (SB)



Eddie Hearn denkt laut über Anthony Joshuas Karriere nach

Der bei weitem einflußreichste britische Promoter, Eddie Hearn von Matchroom Sport, will nicht ausschließen, daß sein Weltmeister Anthony Joshua einen der beiden Titel (WBA/IBF) im Schwergewicht niederlegt, sofern ihm der jeweilige Verband einen unattraktiven Kampf abverlangt. Die IBF hat bereits angeordnet, daß der 27jährige Brite bis spätestens 2. Dezember die Revanche mit Wladimir Klitschko absolvieren und danach gegen Kubrat Pulew antreten soll. Der 36 Jahre alte Bulgare hat 25 Auftritte gewonnen, einen verloren und steht bei Sauerland Event unter Vertrag. Dies würde darauf hinauslaufen, daß der Sieger des Kampfs zwischen Joshua und Klitschko im Frühjahr 2018 auf Pulew trifft, mit dem sich allerdings in England nicht viel Geld verdienen ließe. Der Bulgare hat 2014 einen Titelkampf gegen Wladimir Klitschko in der fünften Runde verloren und seither fünf Auftritte gegen wenig namhafte Kontrahenten gewonnen, wenn man einmal von Dereck Chisora im vergangenen Jahr absieht.

Joshuas Pläne sehen bislang vor, alle Titel zusammenzuführen und zum unangefochtenen Champion im Schwergewicht aufzusteigen. Um dieses Vorhaben zu verwirklichen, müßte er zunächst Wladimir Klitschko und Kubrat Pulew besiegen, worauf der WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland und der WBC-Champion Deontay Wilder aus den USA an die Reihe kämen. Unterdessen könnte er nur hoffen, daß ihm die WBA nicht ihrerseits einen Pflichtherausforderer vor die Nase setzt, gegen den er antreten muß. Sollte das der Fall sein, käme der Brite mit seiner Planung in Verzug, sich mit den populärsten Rivalen zu messen.

In diesem Zusammenhang hob Eddie Hearn noch einmal hervor, daß die Verbandspolitik dem Aufstieg Anthony Joshuas nicht in die Quere kommen dürfe. Wenngleich man natürlich die Regeln der Verbände akzeptiere und befolge, gelte es kluge Entscheidungen zu treffen, die der Karriere des Boxers förderlich seien. Der Promoter könnte Joshua eine Menge Ärger und Zeitverschwendung ersparen, würden die beiden übereinkommen, den IBF-Titel sofort niederzulegen. Dann wäre Pulew kein Thema mehr, und es stünde dem Briten frei, Parker, Wilder oder aber seine Landsleute Tyson Fury und Dillian Whyte aufs Korn zu nehmen, mit denen sich große Arenen füllen und gute Quoten im britischen Pay-TV erzielen ließen.

Ob Joshua Weltmeister ist oder nicht, interessiert heutzutage ohnehin nur noch Experten, während das breite Boxpublikum attraktive Kämpfe gegen prominente Gegner favorisiert, die gerade in aller Munde sind. Der Brite war schon beliebt, bevor er sich durch den Sieg über Charles Martin den IBF-Gürtel gesichert hat, und würde auch ohne solche Trophäen nichts von seiner Popularität einbüßen, solange er nicht verliert. Überdies ist die Politik mancher Verbände wie insbesondere der WBA, die in jeder Gewichtsklasse neben dem Superchampion noch einen regulären Weltmeister führt, für Außenstehende längst nicht mehr nachvollziehbar. Wenngleich Kubrat Pulew also ohne Frage ein ausgezeichneter Schwergewichtler ist, würden ihm mit Blick auf den derzeit absolut florierenden britischen Markt einheimische Akteure wie Tyson und Hughie Fury, David Haye, Dillian Whyte, Tony Bellew oder Dereck Chisora, die allesamt keine Titel im Schwergewicht innehaben, hinsichtlich der Vermarktung den Rang ablaufen. Zu nennen wären ferner auch der US-Amerikaner Jarrell Miller, der Kubaner Luis Ortiz oder der Russe Alexander Powetkin, mit denen sich Joshua recht einträglich messen könnte.

Wie Eddie Hearn es ausdrückt, komme für einen aufstrebenden Boxer irgendwann der Zeitpunkt, an dem er über die Titel hinauswächst. Anthony Joshua sei gerade dabei, in diese Phase seiner Karriere einzutreten. In diesem Sinne ist die Revanche gegen Wladimir Klitschko auch unabhängig davon, daß sie vertraglich als Option vereinbart worden war, die plausibelste Wahl. Die beiden haben einander einen unerwartet attraktiven Kampf geliefert, in dem beide auf dem Boden gelandet, aber wieder aufgestanden sind. Joshua wäre wohl am Ende gewesen, hätte der Ukrainer entschieden nachgesetzt. Doch als sich ein Drama für die britischen Fans abzeichnete, erholte sich ihr Favorit wieder und gab dem Herausforderer das Nachsehen. Beide Akteure gewannen an Reputation und haben damit den Grundstein für eine Fortsetzung ihres Prestigeduells gelegt.

Sollte Joshua dabei abermals die Oberhand behalten, wäre er gut beraten, sich nicht allzu viel Zeit für Joseph Parker und Deontay Wilder zu lassen. Der Neuseeländer hat bei seinem jüngsten Sieg über Razvan Cojanu nicht den allerbesten Eindruck hinterlassen, und der US-Amerikaner aus Tuscaloosa in Alabama wurde wiederholt von Verletzungen an seiner Schlaghand beeinträchtigt. Gelänge es anderen Kandidaten, ihnen den Titel abzujagen, wäre die neue Konstellation höchstwahrscheinlich weit weniger attraktiv für Joshua.

Hearn denkt bekanntlich auch über eine Revanche gegen Dillian Whyte nach, der Joshua bedenklich in Schwierigkeiten gebracht hatte, dann aber von einer Schulterverletzung aus der Bahn geworfen wurde. Das wäre sicher eine Option, die bei Sky Box Office die Kasse klingeln ließe. Und da sich Joshua einer großen Fangemeinde sicher sein kann, muß er nicht erst alle Titel einsammeln, um sich einen Namen beim Publikum zu machen. Für ihn kommt es nun darauf an, mit jedem weiteren Kampf seinen Anspruch zu unterstreichen, der absoluten Elite der Branche anzugehören. [1]

Wladimir Klitschko dominierte ein Jahrzehnt lang das Schwergewicht, bis er nach einer desolaten Vorstellung von Tyson Fury entthront und weithin abgeschrieben wurde. Danach verschwendete er ein Jahr, da sich der Brite nicht zur vereinbarten Revanche stellte und schließlich alle Titel zurückgab, um zunächst mit seinen persönlichen Problemen ins reine zu kommen. Ohne einen zwischenzeitlichen Aufbaukampf zu bestreiten, ging der inzwischen 41jährige Ukrainer das Risiko ein, Anthony Joshua herauszufordern. Obgleich er sich bei ihrem Aufeinandertreffen am 29. April im Londoner Wembley-Stadion in der elften Runde geschlagen geben mußte, polierte er mit dieser Vorstellung seinen Ruf gehörig auf.

Noch hat er sich nicht definitiv dazu geäußert, ob er tatsächlich von der Rückkampfklausel Gebrauch machen will. Würde er seine Karriere jetzt beenden, könnte er insofern erhobenen Hauptes von dannen ziehen, als man seinen letzten Auftritt in guter Erinnerung behalten würde. Unterliegt er Joshua jedoch ein zweites Mal, hätte er drei Kämpfe in Folge verloren und stünde gewissermaßen mit leeren Händen und als ein Boxer da, der sich endlich verabschieden müsse, bevor er noch mehr Prügel bezieht. Da sich jedoch deutlich abgezeichnet hat, daß Joshua aufgrund seiner muskelüberfrachteten Physis mit hoher Wahrscheinlichkeit die Luft ausgeht, sobald einige Runden geboxt sind, weiß der Ukrainer im Grunde, auf welche Weise er den Briten besiegen kann. Er müßte allerdings über den Schatten seiner tiefsitzenden Fluchtreflexe springen und rückhaltlos in die Offensive gehen, sobald Joshua geschwächt und angreifbar ist, um eine vorzeitige Entscheidung zu erzwingen.

Man kann wohl davon ausgehen, daß es noch in diesem Jahr zur Revanche kommen wird, für die Eddie Hearn bereits mögliche Austragungsorte sondiert. Wie der Promoter berichtet, lägen ihm Angebote aus Nigeria, Dubai, den USA und Cardiff vor. In finanzieller Hinsicht sei Wales zwar nicht die beste Wahl, doch komme es nun in erster Linie darauf an, was der Karriere Joshuas nütze. Die Revanche vor britischem Publikum auszutragen, drängt sich geradezu auf, da der Weltmeister nirgendwo anders so populär wie zu Hause ist. Wenngleich die englischen Schlachtenbummler für ihre massenhafte Reisefreudigkeit bekannt und berüchtigt sind, nähme mit wachsender Entfernung doch ihre Präsenz und damit auch die erfolgreiche Präsentation Joshuas ab. Hearn verliert zwar nicht aus dem Blick, seinen Schwergewichtschampion auch in den USA aufzubauen, doch wird er sich nicht darauf einlassen, dies vor relativ kleiner Kulisse zu tun, wenn er Joshua wie in London vor 90.000 Zuschauern boxen lassen kann. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/06/hearn-hints-anthony-joshua-vacate-one-titles/#more-236438

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/06/ibf-green-lights-anthony-joshua-rematch-wladimir-klitschko/#more-236384

9. Juni 2017


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