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MELDUNG/2158: Der Champion scheut die lästige Pflicht (SB)



Deontay Wilder zieht Kampf gegen Luis Ortiz in Erwägung

Informationen aus Fachkreisen zufolge zieht Deontay Wilder in Erwägung, sich im Herbst mit Luis Ortiz zu messen. Dies würde allerdings voraussetzen, daß der 31 Jahre alte WBC-Weltmeister im Schwergewicht den aktuellen Pflichtherausforderer Bermane Stiverne auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten kann. Erforderlich wäre dafür zum einen die Zustimmung des World Boxing Council, zum anderen eine beträchtliche Summe, die dem Kanadier die Wartezeit versüßt. Daß der Champion aus Tuscaloosa in Alabama den Kubaner vorziehen möchte, ist aus zwei Gründen nachvollziehbar.

Zum einen hat Wilder schon einmal gegen Stiverne gekämpft und ihm dabei im Januar 2015 den Titel abgenommen. Dies war nebenbei bemerkt der einzige Gegner, den der in 38 Auftritten ungeschlagene Champion nicht vorzeitig besiegen konnte. Seither hat der entthronte Kanadier nur einen Kampf bestritten: Am 14. November 2015 tat er sich bei seinem Punktsieg gegen Derric Rossy recht schwer, worauf bis heute kein weiterer Auftritt mehr folgte. Warum der Verband WBC Stiverne trotz dieser langen Abwesenheit an der Spitze seiner Rangliste führt. ist schleierhaft. Plausibler wäre hingegen, andere Akteure aufrücken zu lassen oder Stiverne einen Qualifikationskampf abzuverlangen. Der Kanadier ist jedenfalls längst kein besonders attraktiver Kandidat mehr, für den sich das Publikum begeistern würde.

Zum anderen gilt der in 27 Auftritten ungeschlagene Luis Ortiz seit geraumer Zeit als ein Kandidat, dem die Titelträger angesichts seiner Gefährlichkeit tunlichst aus dem Weg gehen. Wilder könnte folglich damit werben, daß er sich durchaus dem Kubaner stellt, vor dem alle anderen Angst hätten. Hinzu kommt, daß Ortiz in jüngerer Zeit nicht mehr restlos überzeugen konnte und mit seinen fast 39 Jahren den Zenit seines Könnens überschritten zu haben scheint. Für Deontay Wilder böte sich daher die Gelegenheit, genau im passenden Augenblick zuzuschlagen und Ortiz die erste Niederlage zu bereiten.

Ob sich der inzwischen 38jährige Stiverne darauf einläßt, sein Vorrecht für eine lukrative Abfindung zurückzustellen, wird sich zeigen. Der Sieger eines Kampfs zwischen Wilder und Ortiz würde zweifellos versuchen, im nächsten Schritt Anthony Joshua oder Wladimir Klitschko vor die Fäuste zu bekommen, je nachdem, wie deren Revanche ausgeht. Folglich müßte sich der Kanadier bis spät ins Jahr 2018 hinein gedulden, ehe er um den WBC-Titel kämpfen könnte. Gelänge es Joshua, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen und alle Titel im Schwergewicht zusammenzuführen, stünde Stiverne ein großer Zahltag vor britischem Publikum in Aussicht, der wesentlich einträglicher als ein zweiter Kampf gegen Wilder in den USA wäre.

Das ist allerdings eine Rechnung mit vielen Unbekannten, die zu einem ganz anderen Ergebnis führen könnte. Der Kanadier hat die Position des Pflichtherausforderers gewissermaßen von Alexander Powetkin geerbt, nachdem der Russe über einen Dopingtest gestolpert war. Seither besetzt Stiverne diesen Platz, doch kann ihm das WBC natürlich früher oder später die Gunst entziehen und ihm einen Ausscheidungskampf abverlangen. Auf ein Duell mit Anthony Joshua zu hoffen und solange weiter abzuwarten könnte also auch nach hinten losgehen.

Was Luis Ortiz betrifft, mutet schon erstaunlich an, daß dieser überaus talentierte Kubaner inzwischen seit sieben Jahren im Profigeschäft seine Kreise zieht, ohne jemals einen Titelkampf bekommen zu haben. Der Rechtsausleger ist ein rundum gut ausgebildeter Boxer, der auf eine erfolgreiche Amateurlaufbahn zurückblicken kann und sich im Profilager keinem Gegner geschlagen geben mußte. Sein größter Erfolg war ein vorzeitiger Sieg über Bryant Jennings im Jahr 2015, bei dem er das gesamte Repertoire seines Könnens präsentierte. Nachdem er mit diesem überzeugenden Auftritt seinen Anspruch unterstrichen hatte, in Kürze gegen einen Champion anzutreten, machte er in den folgenden Kämpfen gegen Tony Thompson, Malik Scott und David Allen eine deutlich schlechtere Figur, wenngleich er auch diese Auftritte für sich entscheiden konnte.

Als er Scott am 12. November 2016 gegenübertrat, stand sein Auftritt im Fokus der Branche. Eine weitere glänzende Vorstellung hätte seine Forderung unterfüttert, endlich einen Titelkampf zu bekommen. Er hatte jedoch große Mühe, nach Punkten die Oberhand zu behalten, und verspielte damit im Grunde das gewachsene Interesse des Publikums wieder. Noch schlechter sah Ortiz am 10. Dezember gegen den wenig bekannten Briten David Allen aus, den er zwar in der siebten Runde besiegte, dabei aber wahrlich keine Bäume ausriß. Zwangsläufig machten daraufhin Spekulationen die Runde, Ortiz baue körperlich ab, wobei sogar unbestätigte Mutmaßungen kursieren, der Kubaner sei in Wirklichkeit erheblich älter als offiziell angegeben. [1]

Sollte Luis Ortiz auf Deontay Wilder treffen, müßte er schon erheblich mehr auf die Beine stellen als in seinen letzten Kämpfen. Der 2,01 m große Weltmeister hat nicht nur Reichweitenvorteile, sondern schlägt auch sehr schnell und gewaltig zu. Als sich Malik Scott fleißig bewegte, sah Ortiz ziemlich schlecht aus. Da Wilder noch wesentlich beweglicher als Scott agiert, würde es dem Kubaner vermutlich sehr schwer fallen, mit dem WBC-Champion Schritt zu halten und Treffer zu landen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/07/deontay-wilder-vs-luis-ortiz-works/#more-239001

20. Juli 2017


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