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MELDUNG/2174: Gallionsfigur in schwerer See (SB)



Saul "Canelo" Alvarez stellt sich endlich Gennadi Golowkin

Der Hype um Floyd Mayweather und Conor McGregor ist Geschichte, der bedeutendste reguläre Boxkampf des Jahres wirft seinen Schatten voraus. Am 16. September trifft Gennadi Golowkin in der T-Mobile Arena in Las Vegas auf Saul "Canelo" Alvarez. Der 35jährige Kasache ist in 37 Kämpfen ungeschlagen und Weltmeister der Verbände WBA, WBC, IBF sowie IBO im Mittelgewicht. Für den acht Jahre jüngeren Mexikaner stehen 49 Siege, eine Niederlage und ein Unentschieden zu Buche. Wer von beiden in diesem Duell die Oberhand behält, ist nicht nur der herausragende Akteur der Gewichtsklasse, sondern zugleich erster Anwärter auf die Führungsposition der gesamten Branche. Tom Loeffler von den GGG Promotions und Oscar de la Hoya mit seinen Golden Boy Promotions bleiben nun drei Wochen Zeit, der Werbetrommeln unter Vollast zu rühren.

Zwar ist die Befürchtung noch längst nicht vom Tisch, daß ihnen Mayweather und McGregor mit ihrem Spektakel das Wasser abgegraben haben. Die durchaus unterhaltsame Inszenierung am vergangenen Wochenende dürfte jedoch zumindest dafür gesorgt haben, daß sich die Enttäuschung des Publikums in Grenzen hielt und nicht über Gebühr negativ auf die Verkaufszahlen des Septemberkampfs in der Spielerstadt auswirkt. "Canelo" hat sich zuletzt mühelos gegen seinen Landsmann Julio Cesar Chavez durchgesetzt, der nur noch ein Schatten besserer Tage war. Hingegen hatte Golowkin mit Daniel Jacobs einen der gefährlichsten Rivalen vor den Fäusten. Wenngleich seine Serie vorzeitiger Siege endete, behielt der Kasache doch nach Punkten die Oberhand. Sollte er auch gegen Alvarez gewinnen, wäre dies seine 19. erfolgreiche Titelverteidigung im Mittelgewicht. Damit würde ihm nur noch ein weiterer Erfolg fehlen, um mit dem Rekordhalter Bernard Hopkins gleichzuziehen. [1]

Darauf angesprochen, daß sein kommender Gegner augenscheinlich Gewicht zugelegt hat, erwiderte Golowkin lachend, daß nicht die Statur einen guten Boxer ausmache, sondern seine Kampfesweise und das, was in ihm steckt. Obgleich jeder sehen kann, daß der Mexikaner massiver geworden ist, bestreitet er das. Alles deutet darauf hin, daß Alvarez auch diesmal versuchen wird, sich nach dem offiziellen Wiegen durch eine nächtliche Rehydrierung per Infusion einen deutlichen Gewichtsvorteil zu verschaffen. Der Kasache bereitet sich mit seinem Trainer Abel Sanchez wie üblich auf den Kampf vor, wobei sie diesmal auf Supermittelgewichtler wie zuletzt David Benavidez als Sparringspartner verzichten können. Da Daniel Jacobs größer als Golowkin ist, hatte man vor dem Kampf am 18. März gegen den New Yorker auf den ungeschlagenen Benavidez zurückgegriffen.

Golowkin hatte sich damals beim Sparring wohl etwas zuviel zugemutet, sah er doch in den letzten Tagen des Trainingslagers überstrapaziert aus. Hingegen wirkte er jüngst bei einem öffentlichen Workout in Los Angeles ausgesprochen frisch, was darauf schließen läßt, daß es Sanchez diesmal wohlweislich etwas ruhiger angehen läßt. Das ist eine schlechte Nachricht für "Canelo", der unter diesen Umständen um so mehr Gefahr läuft, die zweite Niederlage seiner Karriere nach der Pleite im Kampf mit Floyd Mayweather zu kassieren, der ihn 2013 besiegte. Daß ein Gewichtszuwachs dem Mexikaner zum Vorteil gereicht, ist keineswegs sicher. Im Kampf gegen seinen Landsmann Chavez schien er keine größere Schlagwirkung aufbieten zu können als zuvor im Halbmittelgewicht. Überdies wirkte er sogar langsamer, so daß der Gegner seine Aktionen recht gut antizipieren konnte. Offenbar haben Alvarez und sein Trainer Eddie Reynoso aus dem Manko, daß "Canelo" ein derart leicht zu treffendes Ziel wie den ausgelaugten Chavez nicht vorzeitig besiegen konnte, keine plausiblen Schlüsse gezogen. [2]

Daher kann man davon ausgehen, daß Daniel Jacobs ein gefährlicherer Gegner für Golowkin war als es Alvarez sein wird. Der New Yorker war größer, schwerer und fast noch schneller als der Kasache, wobei er nicht ganz an dessen Schlagwirkung heranreichte. Überdies war Jacobs sehr beweglich auf den Füßen, was man für "Canelo" nicht gerade sagen kann. Außerdem pflegt der Mexikaner in seinen Kämpfen kurze Zwischenspurts einzulegen, worauf er eine Pause braucht, um Luft zu schöpfen. Im Unterschied dazu setzt der Kasache seinen Gegnern unablässig nach, bis sie zu Boden gehen oder vom Ringrichter aus dem Rennen genommen werden. Sollte sich Alvarez also wie üblich an den Seilen ausruhen, dürfte ihm das schlecht bekommen.

Für "Canelo" spricht die Jugend und seine Popularität in Kreisen der riesigen mexikanischen Fangemeinde, die in Las Vegas den Ton angeben dürfte. Ob die Punktrichter diesem Druck standhalten werden, ist zwangsläufig ungewiß. Golowkin wäre daher gut beraten, im Ring für klare Verhältnisse zu sorgen. Die Frage, warum er im Kampf gegen Daniel Jacobs anders vorgegangen ist, sorgt noch immer für kontroversen Gesprächsstoff. Der Kasache arbeitete damals vorzugsweise mit dem Jab und boxte einen Punktsieg heraus. Wenngleich er den New Yorker mehrfach gefährlich traf, setzte er nie entschieden nach, um ihn zu Fall zu bringen. Das Resultat war Golowkins erster Gang über die volle Distanz seit 2008, was viele Kommentatoren zu der Einschätzung veranlaßte, er sei in die Jahre gekommen und lasse allmählich nach. Jacobs verkündete gar seither, er sei im Grunde der wahre Sieger gewesen.

Wenngleich kein Außenstehender weiß, aus welchen Gründen Golowkin und sein Trainer Abel Sanchez auf diese taktische Vorgehensweise verfallen waren, mutmaßten manche Experten, "GGG" habe Saul Alvarez und dessen Promoter Oscar de la Hoya damit in die Falle gelockt. Diese waren dem Kasachen zuvor unter ständig wechselnden Ausflüchten aus dem Weg gegangen, erklärten sich aber Anfang Mai überraschend bereit, im Herbst gegen Golowkin anzutreten. Die meisten Zuschauer dürften kaum Anstoß daran genommen haben, daß "Canelo" geraume Zeit mit Alfredo Angulo, James Kirkland, Amir Khan und Liam Smith stets körperlich unterlegene oder gealterte Gegner vorgezogen hatte, nicht aber die besten seiner Ära. Wer näher mit dem Boxgeschäft vertraut war, erkannte die eindeutige Strategie der Golden Boy Promotions, ihr Aushängeschild von den gefährlichsten Rivalen und insbesondere Gennadi Golowkin fernzuhalten. Der Tiefpunkt dieser Vorgehensweise war schließlich das spektakulär angekündigte mexikanische Duell gegen Julio Cesar Chavez, der durch den vorangegangenen Gewichtsverlust dramatisch geschwächt war. Möglicherweise reifte bei Oscar de la Hoya daraufhin die Einsicht, daß man das Publikum nicht länger mit handverlesenen Kontrahenten für Saul "Canelo" Alvarez hinters Licht führen könne, ohne einen massiven Ansehensverlust zu riskieren. [3]

Der Sender HBO wird den Kampf aus der bereits restlos ausverkauften T-Mobile Arena im Pay-TV übertragen. Jedenfalls läßt der reißende Absatz der Eintrittskarten auf ein enormes Interesse an diesem seit Jahren geforderten Gipfeltreffen schließen, das dieser Beachtung zweifellos würdig ist. Am 16. September wird sich erweisen, ob "Canelo" tatsächlich zum nächsten großen Star der Branche nach Floyd Mayweather taugt, zu den ihn Oscar de la Hoya unermüdlich hochstilisiert. Sollte der Mexikaner jedoch eine herbe Niederlage einstecken, die ihm viele Experten vorhersagen, müssen sich die Golden Boy Promotions wohl eine andere Gallionsfigur suchen.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/20491866/canelo-alvarez-gennady-golovkin-hype-distinction-their-title-fight-mayweather-mcgregor

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/08/golovkin-not-intimidated-canelos-new-muscle-mass/#more-241696

[3] http://www.boxingnews24.com/2017/08/gennady-golovkin-vs-saul-canelo-alvarez-next-huge-fight/#more-241595

31. August 2017


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