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MELDUNG/2318: Schwergewicht - massive Argumente ... (SB)



Jarrell Miller hält die Tür zum Kampf gegen Joshua offen

Jarrell Miller kann massive Argumente ins Feld führen. Der 30jährige Schwergewichtler aus Brooklyn bringt bei einer Größe von 1,93 m rund 143 kg auf die Waage, die er vorzüglich einzusetzen versteht. Dieser geballten Übermacht hatte der als krasser Außenseiter angetretene Bogdan Dinu wenig entgegenzusetzen, so daß er beim Auftritt in Mulvane, Kansas, bereits in der vierten Runde die Segel streichen mußte. Während der Favorit seine Bilanz auf 23 Siege und ein Unentschieden ausbaute, bezog sein weithin unbekannter Gegner nach 18 Erfolgen die erste Niederlage. [1]

In den ersten beiden Runden machte der zwei Jahre ältere Dinu noch eine akzeptable Figur, da er sich unablässig im Ring umherbewegte und aus der Distanz fleißig mit dem Jab zu Werke ging. Miller ließ es zunächst ruhig angehen, bis er dem Kontrahenten schließlich im dritten Durchgang dichter zu Leibe rückte und ihm beidhändig wuchtige Körpertreffer versetzte. Wenngleich von solider Statur, wurde der Außenseiter von dem körperlich weit überlegenen New Yorker nun förmlich erdrückt, dessen Schläge ihm die Luft raubten. Das frühe Ende folgte dann in der vierten Runde, als Miller zunächst eine präzise Dreierkombination mit einem linken Haken abschloß, der den Gegner zu Boden schickte. Sichtlich benommen kam Dinu gerade noch rechtzeitig wieder auf die Beine, worauf ihn Miller mit einer Rechten abermals niederzwang. Diesmal wurde er vom Ringrichter Bill Clancy ausgezählt, worauf der Kampf nach 2:45 Minuten des Durchgangs beendet war. [2]

Nach seinem dritten vorzeitigen Sieg in diesem Jahr zog Miller zufrieden Bilanz. Ihm sei von Anfang an klar gewesen, daß er diesen Gegner stellen würde, sobald er in seiner Beinarbeit einen Gang zulegte. Dann habe er ihn mit den Schlägen zum Körper umgehend zermürbt. Wenn die Leute glaubten, er sei nur ein Riesenbaby, das dummes Zeug rede, täuschten sie sich. Seit jungen Jahren auf sich gestellt, sei ihm nichts geschenkt worden. Er sei zum Kämpfer geworden und dabei doch ein liebenswerter Bursche, der gerne Cheeseburger vertilge, nahm er Anleihen bei George Foreman. Wenngleich Jarrell Miller nicht der beste Schwergewichtler der Welt ist, widerlegt er doch im Ring alle Kritiker, die seine Form am äußeren Erscheinungsbild messen.

Tatsächlich wirkte Miller längst nicht so überzeugend, als er sein Gewicht vor einiger Zeit reduziert hatte. Zu seinem bequemsten Kampfgewicht zurückgekehrt, bewegt er sich doch für einen Boxer seiner Körpermaße erstaunlich behende und läßt zumindest in jüngerer Zeit keine Konditionsprobleme erkennen. Offensichtlich kommt ihm zugute, daß er früher als Kickboxer aktiv war. Ob das für die Weltmeister Anthony Joshua (WBA, WBO, IBF) oder Deontay Wilder (WBC) reichen würde, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Beide sind zwar erheblich leichter, aber größer und schneller als er, wie sie ihm auch an Schlagwirkung überlegen sein dürften. Zudem ist Miller vor allem auf die Nahdistanz ausgerichtet, wofür er einen Kontrahenten braucht, der vor ihm stehenbleibt.

Jedenfalls hält ihm der erneute vorzeitige Sieg die Tür zu einem Kampf gegen Anthony Joshua offen, der am 13. April 2019 seine Titelsammlung im Londoner Wembley-Stadion verteidigt, das dann bis zu 90.000 Zuschauer fassen dürfte. Der britische Promoter Eddie Hearn, bei dem beide Akteure unter Vertrag stehen, hatte gehofft, daß der Verband WBA bei Millers Kampf gegen Dinu den Titel des regulären Weltmeisters neu vergeben würde. Die WBA wies dieses Ansinnen jedoch zurück, was eine weise Entscheidung war, da Bogdan Dinu erst drei Wochen vor dem Auftritt aus dem Hut gezaubert worden war und im Ring auch keine Leistung bot, die eine Aufwertung zum Kampf um den sekundären Titel gerechtfertigt hätte.

Wie Eddie Hearn anschließend erklärte, seien Dillian Whyte und Jarrell Miller im Rennen um den Kampf gegen Joshua. Der New Yorker habe mit seinem unangefochtenen Sieg unter Beweis gestellt, daß er reif für einen Titelkampf sei. Kein anderer Schwergewichtler der Spitzenklasse steige gegenwärtig so häufig in den Ring wie Miller, der inzwischen kaum noch zu besiegen sei. Jarrell Miller selbst, der in der WBA-Rangliste an Nummer zwei geführt wird, ließ keinen Zweifel an seinem Wunsch, sich mit Anthony Joshua zu messen. Zugleich schätzte er die Lage aber realistisch genug ein, um keinen Druck zu machen und sich offen für eine Alternative zu zeigen. Wohl wissend, daß Hearn schon seit langem Dillian Whyte für diesen Auftritt vorgesehen hat, erklärte Miller, daß Joshua offenbar eingebunden sei. Deshalb werde er sich mit seinem Team und dem Promoter zusammensetzen, um die nächsten Schritte zu planen. So könne er beispielsweise gegen Trevor Bryan antreten, der die WBA-Rangliste anführt, zumal es an der Zeit sei, endlich auch einen Briten ins Reich der Träume zu schicken. Das war gewissermaßen ein Wink mit dem Zaunpfahl, sich dem britischen Publikum bekannt zu machen, um später im Jahr einen Kampf gegen Joshua zu bekommen. [3]

Jarrell Miller hatte zuvor Gerald Washington, Mariusz Wach, Johann Duhaupas und Thomas Adamek besiegt, die alle bereits um die Weltmeisterschaft gekämpft hatten. Das heißt jedoch nicht, daß er sich mit den allerbesten Rivalen gemessen hätte, da die genannten Akteure längst nicht mehr zur ersten Garnitur der Schwergewichtsszene gehören. Hearn hat es wohlweislich vermieden, den New Yorker mit dem Kubaner Luis Ortiz oder dem Briten Joe Joyce, dem Russen Alexander Powetkin oder dem Bulgaren Kubrat Pulew in den Ring zu schicken. Jeder der vier Kandidaten wäre sicher Feuer und Flamme gewesen, gegen Miller anzutreten, der ungeachtet seiner körperlichen Voraussetzungen und der genannten Qualitäten einem mobilen und versierten Boxer ein statisches Ziel bietet, das leicht zu treffen ist.

Vermutlich hätte Miller auch keine Einwände, auf Dillian Whyte oder gar Deontay Wilder zu treffen. Der WBC-Weltmeister verteidigt jedoch seinen Titel am 1. Dezember gegen den Briten Tyson Fury. Sollte er die Oberhand behalten, wird ihm der Verband wohl auferlegen, im nächsten Schritt gegen den Pflichtherausforderer Dominic Breazele anzutreten, der schon geraume Zeit auf diese Chance wartet. Whyte, der ebenfalls bei Eddie Hearn unter Vertrag steht, kommt deswegen nicht in Frage, weil der Promoter sie beide als mögliche Gegner Anthony Joshuas in Position halten möchte. Hearn würde Miller vermutlich auch nicht mit Wilder in den Ring schicken, der ihm in zu vielen Belangen überlegen sein dürfte.

Daß sich Jarrel Miller sogar gewisse Hoffnungen machen kann, bereits im April auf Joshua zu treffen, hat einen handfesten Grund. Obgleich Hearn immer wieder Dillian Whyte ins Gespräch gebracht hat, hält sich das Interesse des britischen Publikums an dieser Option in Grenzen. Als Anthony Joshua die Fangemeinde dazu aufrief, sich an einer Abstimmung in den sozialen Medien zu beteiligen, wer sein nächster Gegner sein solle, votierte die Mehrheit für Deontay Wilder, dicht gefolgt von Tyson Fury. Whyte landete weit abgeschlagen am Ende des zur Auswahl stehenden Trios. Er hat seit seiner vorzeitigen Niederlage gegen Joshua im Jahr 2015 keine Bäume mehr ausgerissen, zumal Joseph Parker sein einziger wirklich anspruchvoller Gegner war. Überdies setzte sich der Brite vor allem deswegen gegen den Neuseeländer durch, weil ihn der Ringrichter maßgeblich begünstigte.

Deshalb ist nicht auszuschließen, daß sich Eddie Hearn doch dazu durchringt, auf Dillian Whyte zu verzichten, weil dieser die Einkünfte bei einem Kampf gegen die Goldgrube Anthony Joshua erheblich schmälern könnte. Daß sich der führende britische Promoter noch längst nicht entschieden hat, unterstrich jüngst seine ominöse Ankündigung, er habe drei Überraschungskandidaten in der Hinterhand. Da er keine Namen nannte, schossen die Spekulationen ins Kraut, um welche Akteure es sich dabei handeln könnte. Ob es lediglich ein Versuchsballon war, mit dem Hearn die Stimmung testen und die Fangemeinde bei der Stange halten wollte, ist nicht bekannt. Jarrell Miller ist zumindest solange mit von der Partie, bis sein Promoter konkretere Signale in Umlauf setzt.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/11/jarrell-big-baby-miller-brandon-rios-victorious-results/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/25308885/jarrell-miller-defeats-bogdan-dinu-fourth-round-ko

[3] www.boxingnews24.com/2018/11/hearn-says-jarrell-big-baby-miller-is-ready-for-world-title-shot/

20. November 2018


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