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MELDUNG/2333: Schwergewicht - Stolperstein Dopingverdacht ... (SB)



Jarrell Miller als Gegner Anthony Joshuas aus dem Rennen

Anthony Joshua sollte die Titel der WBA, WBO und IBF im Schwergewicht ursprünglich am 1. Juni im Madison Square Garden gegen Jarrell Miller verteidigen, doch dazu wird es nicht kommen. Die Sportkommission des Bundesstaats New York hat dem Herausforderer die Lizenz verweigert, da dieser positiv auf eine verbotene Substanz getestet worden ist. Dem 30 Jahre alten Lokalmatador, der 30 Siege und ein Unentschieden vorzuweisen hat, entgeht damit der bislang bedeutendste und bei weitem einträglichste Auftritt seiner Karriere, die schwer in Mitleidenschaft gezogen zu werden droht. Die Titelverteidigung des britischen Weltmeisters, der erstmals in den USA antritt, um sich auch dort einen Namen zu machen, wird sowohl vom Streamingdienst DAZN als auch Sky Sports Box Office übertragen. Dem US-Amerikaner, dessen bislang höchste Gage 500.000 Dollar betragen hat, standen dem Vernehmen nach eine Garantiebörse von 3,5 Millionen Dollar sowie Einkünfte in unbekannter, aber zweifellos beträchtlicher Höhe aus den Fernsehgeldern in Aussicht, auf die er nun absehbar verzichten muß.

Wenngleich Jarrell Miller Einspruch gegen den Lizenzentzug einlegen und die B-Probe öffnen lassen will, sind seine Aussichten gering, das Blatt zu wenden. Nur wenn der zweite Test negativ ausfiele, was jedoch nur selten der Fall ist, stiege seine Chance wieder, doch noch zum Zuge zu kommen. Wäre die B-Probe hingegen ebenfalls positiv, würde sich der New Yorker dadurch eine zusätzliche Rufschädigung einhandeln. Die Proben waren am 20. März von der Antidopingagentur VADA im Zuge einer unangekündigten Kontrolle gezogen worden, der monierten Substanz GW1516 wird die Eigenschaft zugesprochen, den Fettabbau zu beschleunigen und das Leistungsvermögen zu verbessern.

Miller wandte sich per Instagram an seine Fangemeinde, der er für ihre Unterstützung seit Beginn seiner Karriere und nun auch in dieser besonders schwierigen Zeit dankte. Er habe sich während der Vorbereitung auf den Kampf aller Aktivitäten in den sozialen Medien enthalten, um sich voll und ganz auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Jetzt sei er regelrecht am Boden zerstört und werde nichts unversucht lassen, um doch noch eine Lizenz zu bekommen. Er habe niemals wissentlich zu verbotenen Substanzen gegriffen und stehe mit seinem gesamten Team für Integrität, Anstand und Aufrichtigkeit. Er habe sich dem freiwilligen Test gern gestellt, zumal er erst eine Woche vorher negativ getestet worden sei. Er wolle nicht zulassen, daß ihm sein großer Traum genommen werde, da er sich keiner Schuld bewußt sei. Daher bitte er seine Fans, nicht alles zu glauben, was derzeit über ihn gesagt und geschrieben wird. Er habe nichts zu verbergen, die Wahrheit werde ans Licht kommen.

Miller bleibt indessen wenig Zeit, einen Gegenbeweis anzutreten, da Joshuas Promoter Eddie Hearn längst händeringend nach einem Ersatzmann sucht, dessen Namen er bereits in wenigen Tagen bekanntgeben möchte. Er hat auch kaum eine andere Wahl, da die verbliebene Frist bis zum Kampftermin eine angemessene Vorbereitung fast schon nicht mehr zuläßt. Hearns unverhofftes Problem besteht nun darin, einen Kandidaten zu präsentieren, der bekannt genug ist, um DAZN, Sky Sports und den Madison Square Garden zufriedenzustellen, deren Einkünfte maßgeblich von einer attraktiven Konstellation abhängen, die viele Zuschauer mobilisiert. Der britische Promoter hatte im ersten Zug Manuel Charr, Luis Ortiz, Agit Kabayel, Adam Kownacki, Michael Hunter, Oscar Rivas und Joseph Parker als mögliche Herausforderer genannt, die jedoch bis auf wenige Ausnahmen eher nicht in Frage kommen dürften.

Jarrel Miller schien aus Sicht Hearns und Joshuas insofern die bestmögliche Wahl zu sein, da er in den USA recht bekannt ist, dank seines losen Mundwerks viel zur Bewerbung eines Kampfs beitragen kann und durchaus gefährlich ist, aber dennoch kein Stolperstein für den 29jährigen Weltmeister sein sollte. Diese Kriterien erfüllt keiner der genannten Ersatzkandidaten in voller Gänze. Wie Hearn versichert, wäre ihm und Joshua natürlich Luiz Ortiz am liebsten, was man jedoch nicht für bare Münze nehmen muß. Der mutmaßlich 40 Jahre alte Kubaner ist den US-amerikanischen Boxfans wohlbekannt, talentiert und gefährlich, was er im Kampf gegen Deontay Wilder im März 2018 eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Damals stand der WBC-Champion am Rande einer Niederlage und mußte sein ganzes Können aufbieten, um Ortiz dennoch vorzeitig zu bezwingen.

Weil der Kubaner hoch einzuschätzen ist, hat Eddie Hearn seine wichtigsten Schwergewichtler Anthony Joshua und Dillian Whyte in der Vergangenheit stets von ihm ferngehalten, obgleich sich mehrfach die Gelegenheit bot, gegen Ortiz anzutreten. Daher dürfte der Promoter nicht gerade begeistert sein, daß sich nach Jarrell Millers Ausfall ausgerechnet diese bislang tunlichst gemiedene Option aufzudrängen scheint. Nachdem die Meldung die Runde gemacht hatte, Ortiz habe sich bereits positiv zu der Möglichkeit geäußert, gegen Joshua anzutreten, winkte das Management des Kubaners in einer ersten Reaktion ab, da die Vorbereitungszeit zu kurz sei. Möglicherweise könnte Hearn mit einem substantiellen finanziellen Angebot einen Sinneswandel herbeiführen, doch ist nicht bekannt, ob Joshuas Promoter dazu bereit wäre. Schließlich verteidigt sein Champion die Titel freiwillig, was die finanziellen Ansprüche des Gegners begrenzt. Vor allem aber ist nicht ganz auszuschließen, daß Hearn im Grunde froh über eine Absage des Kubaners wäre, da er dann die größte Gefahr abgewendet hätte und dennoch argumentieren könnte, er habe sein Bestes versucht, aber leider keinen Erfolg gehabt.

Wie Eddie Hearn ohnehin geltend macht, sei dies in erster Linie Anthony Joshuas Show, zu der mindestens 10.000 britische Fans anreisen würden. Daß Joshua ganz allein die Arena füllt und für satte Quoten sorgt, mag zwar im Vereinigten Königreich zutreffen, gilt aber nicht in den USA, wo der Brite nur eingefleischten Boxfans ein Begriff sein dürfte. Er ist daher auf einen Gegner angewiesen, den das Publikum wenigstens halbwegs kennt und schätzt. Pulew ist derzeit suspendiert, Kownacki hat offenbar abgesagt, und Kabayel wäre nur dann eine gute Wahl, wenn der Kampf in Deutschland stattfände. Dasselbe gilt für Manuel Charr, der gerne einspringen würde, aber ebenfalls noch nie in den USA aufgetreten ist und überdies seit 2017 keinen Kampf mehr bestritten hat. Auch der Brite Dillian Whyte kommt als Notnagel nicht in Frage, da er zwar zusammen mit Joshua die 90.000 Plätze das Wembley-Stadions füllen könnte, aber nicht zwangsläufig die knapp 21.000 des Madison Square Gardens, da er dort schlichtweg keinen Namen hat.

Daher deutet vieles darauf hin, daß sich Eddie Hearn insgeheim längst auf Michael Hunter eingeschossen hat, zumal er ihn kürzlich für Matchroom Boxing USA unter Vertrag nehmen konnte. Hunter gehörte 2012 der US-amerikanischen Olympiastaffel an und hat eine Profibilanz von 16 Siegen und einer Niederlage, die ihm Oleksandr Ussyk 2017 beibrachte. Als Cruisergewichtler machte er körperlich und boxerisch eine gute Figur, doch seit er im Juni 2018 ins Schwergewicht aufgestiegen ist, wirkt er für dortige Verhältnisse im Grunde zu klein, zu langsam und überdies wie ein Boxer, der sich das zusätzliche Gewicht eher angegessen als antrainiert hat. In der Königsklasse hat er bislang drei Siege eingefahren und dabei auch Alexander Ustinow bezwungen.

Ginge es ausschließlich darum, Anthony Joshua gut aussehen zu lassen, wäre Michael Hunter der ideale Kontrahent. Körperlich unterlegen, nicht allzu beweglich und mit keiner besonders ausgeprägten Schlagwirkung gesegnet, fiele er dem Weltmeister wahrscheinlich binnen weniger Runden zum Opfer. Da er jedoch aus Sicht des breiteren Publikums nur einer von vielen mehr oder minder obskuren Schwergewichtler in einem riesengroßen Land ist, trüge er wenig dazu bei, Joshuas Debüt in den USA in den Glanz der Vorfreude zu hüllen, Eintrittskarten zu verkaufen und Abonnenten für DAZN zu gewinnen. Man darf gespannt sein, auf welche Weise Eddie Hearn sich und seinen einträglichsten Boxer diesmal aus der Affäre zieht.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/04/miller-denies-knowingly-taking-banned-substances-for-joshua-fight/

[2] www.boxingnews24.com/2019/04/hearn-joshua-will-receive-confirmation-of-challenger-next-week/

19. April 2019


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