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MELDUNG/2338: Schwergewicht - wilde Schwinger reichen nicht ... (SB)



Hughie Fury stößt an seine Grenzen

Der britische Schwergewichtler Hughie Fury, Cousin des ehemaligen Weltmeisters Tyson Fury, hat sich in Manchester gegen seinen Landsmann Chris Norrad bereits in der zweiten Runde durchgesetzt. In dem kurzen Kampf, der von regelwidrigen Aktionen Furys geprägt war, konnte allenfalls das Ergebnis den Eindruck vortäuschen, es habe sich um einen überzeugenden Auftritt des Favoriten gehandelt. Dieser wurde bereits in der ersten Runde wegen Schlagens unter die Gürtellinie und zum Hinterkopf verwarnt, was ihn jedoch nicht daran hinderte, weiterhin wilde Schwinger zu schleudern. Im zweiten Durchgang traf er den Gegner abermals am Hinterkopf, worauf Norrad zu Boden gehen mußte. Ringrichter Mark Lyson wertete diese Aktion als regulären Niederschlag und zählte den 35jährigen Außenseiter nach 1:51 Minuten der zweiten Runde aus, obgleich dieser gerade noch rechtzeitig wieder auf die Beine gekommen war. Während Fury damit seine Bilanz auf 22 Siege und zwei Niederlagen ausbauen konnte, steht für Chris Norrad nach 17 Erfolgen nunmehr der erste verlorene Auftritt zu Buche.

Nach seiner durchwachsenen Darbietung im Victoria Warehouse gegen den relativ unbekannten und sichtlich überforderten Kontrahenten warf sich Fury in die Brust, als habe er gerade einen Kampf der Spitzenklasse für sich entschieden. Das sei doch ziemlich leicht gewesen, da er keinerlei Probleme gehabt habe, den Gegner zu treffen, der ihm nicht lange standhalten konnte, würdigte er den Kontrahenten mit keinem Wort. Der entscheidende Treffer habe Norrad seitlich am Kopf getroffen und sei eine saubere Aktion gewesen, behauptete Fury. Er habe jedenfalls diesen Auftritt genossen, fühle sich körperlich in guter Verfassung, sei stärker als in der Vergangenheit und schlage härter zu. Auch habe er inzwischen reichlich Erfahrungen gesammelt, die ihm künftig gute Dienste leisten würden. Er fürchte keinen Gegner und hoffe, in diesem Jahr insgesamt drei Kämpfe zu bestreiten. Selbstverständlich werde er auch um die Weltmeisterschaft kämpfen, sollte sich die Gelegenheit bieten. [1]

Um seine diesbezüglichen Aussichten ist es allerdings nicht zum besten bestellt, da er Ende Oktober 2018 in einem Ausscheidungskampf des Verbands IBF in Bulgarien von Kubrat Pulew einstimmig nach Punkten geschlagen wurde. Pulew erteilte ihm dabei eine Lektion und wurde dank dieses verdienten Erfolgs wieder Pflichtherausforderer des Briten Anthony Joshua bei der IBF. Der 37jährige Lokalmatador präsentierte sich damals in Sofia rundum in weit besserer Verfassung als sein dreizehn Jahre jüngerer Gegner. Schon beim offiziellen Wiegen zeichnete sich ab, daß der Bulgare dem äußeren Erscheinungsbild nach zu urteilen bestens vorbereitet war, zumal er wesentlich frischer als der Brite wirkte. Dieser Eindruck bestätigte sich dann im Ring, da Fury lediglich in der ersten und achten Runde klare Akzente setzen konnte, während ansonsten Pulew das Geschehen kontrollierte.

Zunächst versuchte der Brite, sich Respekt zu verschaffen, indem er beherzt zu Werke ging, aggressiv angriff und seine Rechte mehrfach ins Ziel brachte, bis sich Pulew schließlich kurz vor der Pause mit einer gelungenen Kombination revanchieren konnte. In der zweiten Runde gewann der Bulgare zusehends die Oberhand und traf mehrfach mit seinem wuchtigen Jab, der eine offenbar schlecht ausgeheilte Rißwunde über dem linken Auge des Briten aufplatzen ließ. Da die Verletzung stark blutete, zog Ringrichter Albert Earl Brown den Arzt zu Rate, der den Cut am Augenlid begutachtete. Nachdem Fury offenbar in der Pause von seinen Betreuern auf den Ernst der Lage eingestimmt worden war, ging er im folgenden Durchgang energisch zu Werke und hinterließ noch einmal einen recht guten Eindruck, wenngleich er keinen nennenswerten Treffer erzielen konnte.

Danach dominierte Pulew, während Fury, dessen Sicht möglicherweise beeinträchtigt war, häufig klammerte, um den Gegner am Schlagen zu hindern. In der fünften Runde ließ sich der Brite mehrmals in die Ecke treiben, wo er dem Kontrahenten eine Falle zu stellen hoffte, was ihm jedoch nicht gelang. Während Fury sein Pulver verschossen zu haben schien, rückte ihm der Bulgare immer wieder zu Leibe, um ihn aus der Nähe mit Schlägen einzudecken. Wenngleich es dem Cutman des Briten gelang, die Blutung zu stoppen, blieb dieser weiter in der Defensive und überließ dem Lokalmatador die Initiative. In der achten Runde gelang es Fury endlich, Pulew mit der Rechten einen harten Treffer zu versetzen, der den Bulgaren erschütterte und zur Vorsicht gemahnte. Im nächsten Durchgang mußte der Brite jedoch mehrere Haken aus nächster Nähe einstecken und schien müde zu werden, worauf Pulew seinen Vorsprung sicher nach Hause boxen konnte.

Der Bulgare arbeitete systematisch mit seinem ausgezeichneten Jab, kombinierte flüssig und schlug gefährliche Haken. Wenngleich es keiner Glanzleistung bedurfte, um Fury in die Schranken zu weisen, konnte man Pulew einen souveränen Auftritt attestieren. An seinem Sieg gab es jedenfalls nichts zu rütteln, was den Briten jedoch nicht daran hinderte, bei Verkündung der Wertung verärgert und enttäuscht zu reagieren, als habe er allen Ernstes mit einem Erfolg gerechnet. Im Grunde genommen hatte er bereits in der zweiten Runde seine anfängliche Linie verloren, den Jab kaum noch eingesetzt und sich auf wilde Schwinger verlegt, die Pulew im Ansatz erkannte, so daß er selten getroffen wurde.

Wenngleich nicht auszuschließen ist, daß die frühzeitige Verletzung den Briten aus dem Konzept gebracht hatte, fällt es doch schwer, den Kampfverlauf vor allem darauf zurückzuführen, wie dies sein Vater und Trainer Peter Fury in einer ersten Stellungnahme tat. Der Cut habe ihn sehr beeinträchtigt, schloß sich auch Hughie Fury dieser Rechtfertigungslinie an. Dennoch habe er sein Bestes gegeben, zwölf Runden durchgehalten und dem Gegner alles abverlangt. Immerhin konnte man dem Briten zugute halten, daß er sich nicht wie bei früheren Kämpfen ausschließlich durch Weglaufen oder Klammern aus der Affäre zu ziehen versucht hatte. Andererseits zeichneten sich die Grenzen seiner boxerischen Möglichkeiten deutlich ab, die schlichtweg nicht ausreichen, um an der Weltspitze mitzuhalten.

Er bezog in Sofia bereits die zweite Niederlage binnen eines Jahres, nachdem er im September 2017 gegen den damaligen WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland nach Punkten verloren hatte. Im Mai 2018 schickte Fury seinen britischen Landsmann Sam Sexton mit einem jener Schwinger auf die Bretter, die er bei Kubrat Pulew nur selten landen konnte. Was bei schwächeren Kontrahenten auf nationaler Ebene funktionieren mag, bringt hochklassige Kandidaten kaum in Verlegenheit. Und selbst Chris Norrad, dessen Verfassung und Auftritt die naheliegende Mutmaßung bestätigten, daß er als Kanonenfutter ausgesucht worden war, um Fury einen sicheren Sieg zu garantieren, schien den Favoriten zu lesen wie ein offenes Buch. Zwar schlug der Außenseiter nicht allzu häufig, doch hatte er dabei keine Probleme, sein Ziel zu treffen. Fury bewegt zwar den Kopf fleißig umher und pendelt im Oberkörper weiträumig aus, telegraphiert aber seine rechten Schwinger so deutlich, daß selbst ein mittelmäßiger Gegner wie Norrad sein Bewegungsmuster erkennt und entsprechend dazwischenfahren kann.

Wie Hughie Fury mit seinen unkontrollierten Schwingern hochklassige Gegner besiegen will, ist schleierhaft. Zum einen wird er auf Ringrichter treffen, die seine regelwidrigen Schläge zum Hinterkopf konsequent ahnden. Zum anderen entbehren seine Angriffe jeglichen Überraschungseffekts, so daß ihn ein boxerisch versierter Kontrahent regelrecht lektionieren kann, wie dies Kubrat Pulew eindrucksvoll demonstriert hat. Daß Fury auf regulärem Wege Pflichtherausforderer Anthony Joshuas oder des WBC-Weltmeisters Deontay Wilder werden könnte, wofür er einen in den entsprechenden Ranglisten führenden Kandidaten besiegen müßte, ist eher nicht zu erwarten. Daß er immer wieder eine Chance bekommen hat, weit oben mitzumischen, verdankte sich nicht zuletzt der Aufmerksamkeit, die seinem Cousin Tyson Fury zuteil wurde. In dessen Windschatten segelte er bis fast an die Spitze mit, obgleich sich seine Schwachstellen frühzeitig abzeichneten. Peter Fury hat als Trainer zweifellos große Mühe investiert, um solchen Mängeln abzuhelfen, doch stößt auch er an die Grenzen, die seinem Sohn gesetzt zu sein scheinen.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2019/05/boxing-results-hughie-fury-stops-chris-norrad/

26. Mai 2019


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