Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2346: Mittelgewicht - Stammplatz wird frei ... (SB)



Saul "Canelo" Alvarez verzichtet auf Kampf im September

Saul "Canelo" Alvarez und die Golden Boy Promotions haben beschlossen, den nächsten Auftritt des mexikanischen Stars nicht wie erwartet am 14. September auszutragen. Daß "Canelo" seinen begehrten Stammplatz freigibt, sorgt für eine faustdicke Überraschung. Kämpfe Anfang Mai und Mitte September an den wichtigsten mexikanischen Feiertagen zu veranstalten und damit des denkbar größten Zuspruchs seitens des Publikums sicher zu sein, war vordem das Privileg Floyd Mayweathers, der es mit nur zwei Auftritten im Jahr zum bestverdienenden Sportler weltweit brachte. Nach seinem Rücktritt beanspruchte "Canelo" diese Termine für sich, was ihm niemand streitig machen konnte, da er die meisten Zuschauer vor Ort und im Fernsehen anzieht. Es müssen also gravierende Gründe vorliegen, wenn er auf dieses Vorrecht verzichtet.

Wie Saul Alvarez die erstaunte Öffentlichkeit wissen ließ, sei es für ihn als Mexikaner eine Pflicht und Ehre, sein Land im Mai und September zu repräsentieren. Als Weltmeister mehrerer Gewichtsklassen stehe er andererseits in der Verantwortung, die denkbar hochkarätigsten und aufregendsten Kämpfe auszutragen. Deshalb hätten Golden Bay und sein Team beschlossen, den nächsten Auftritt zu verschieben, um seinen Fans gerecht zu werden und den bestmöglichen Gegner auszusuchen. Zudem erinnerte sein Promoter daran, daß sich "Canelo" in der Vergangenheit nicht ausschließlich auf diese beiden Termine beschränkt, sondern im Dezember 2018 einen Kampf im Madison Square Garden bestritten habe. Sein nächster Auftritt werde später im Jahr stattfinden.

Viele Möglichkeiten blieben "Canelo" und seinem Promoter Oscar de la Hoya nicht, nachdem der Streamingdienst DAZN, mit dem der Mexikaner einen höchst lukrativen Vertrag über mehrere Jahre abgeschlossen hat, dem Vernehmen nach die Wahl des nächsten Gegners auf Sergej Kowaljow und Gennadi Golowkin eingeengt hatte. Das ist offenbar die Kehrseite der hochdotierten Zusammenarbeit mit DAZN, die den Spielraum der Golden Boy Promotion erheblich beschneidet, sich nach Belieben einen Kontrahenten auszusuchen und daher in allen Verhandlungen am weitaus längeren Hebel zu sitzen.

Es wurden Gespräche mit dem Russen aufgenommen, der gegenwärtig WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht ist. Wie es hieß, konnten sich die beiden Parteien aber nicht auf die Höhe der Börse einigen, da Kowaljow anstelle der angebotenen 6 Millionen Dollar auf 10 Millionen bestanden habe. Das klingt zwar nach sehr viel Geld, ist jedoch nur ein Bruchteil dessen, was "Canelo" einstreichen würde. Der Kampf ist damit nicht endgültig gestorben, wird aber erst später im Jahr abermals zur Debatte stehen. Da man sich auf diesen Gegner festgelegt hatte, bleibt bis Mitte September nicht mehr genug Zeit, einen Kampf gegen einen anderen namhaften Kontrahenten auszuhandeln. Natürlich hätte man sich auch für Golowkin entscheiden können, der seit langem auf ein drittes Duell mit "Canelo" setzt und mit Sicherheit bereit gewesen wäre, für Kowaljow einzuspringen. Da der Kasache ebenfalls bei DAZN unter Vertrag steht, wäre es zumindest mit Blick auf die Übertragung ein leichtes gewesen, diese Option zu realisieren.

Andererseits wären die Verhandlungen um die Höhe der beiderseitigen Einkünfte womöglich noch schwieriger als im Falle Kowaljows gewesen, da Golowin sicher einen größeren Anteil als der Russe gefordert hätte. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß "Canelo" und Oscar de la Hoya vorerst kein Interesse daran haben, abermals auf den Kasachen zu treffen. Sie haben ihm durch ein krasses Fehlurteil im ersten Kampf ein Unentschieden abgenötigt und sich bei der Revanche, wenngleich weniger krass, abermals der Gunst der Punktrichter in Las Vegas erfreut und den Sieg davongetragen. Damit war der Mythos in die Welt gesetzt, daß "Canelo" der bessere von beiden sei und es nicht mehr nötig habe, sich dieser Prüfung ein drittes Mal zu stellen. Golowkin hatte bei der Revanche zweifellos taktische Fehler gemacht und nicht den besten Eindruck hinterlassen. Daß er aber tatsächlich in die Jahre gekommen sei und nachzulassen beginne, wie seine Kritiker behaupten, entspringt zu einem erheblichen Teil dem Diskurs, den "Canelo" und sein Promoter, die für Las Vegas von nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Bedeutung sind, in die Welt gesetzt haben.

Daher werden die beiden noch geraume Zeit abwarten, bis sie sicher sein können, daß Gennadi Golowkin tatsächlich keine Gefahr mehr für sie darstellt, bis sie eventuell grünes Licht für ein drittes Duell mit ihm geben. Ganz davon abgesehen wurde bekannt, daß "Canelo" in jüngerer Zeit an Problemen mit dem rechten Knie laboriert, was nicht unmaßgeblich zur Entscheidung beigetragen haben dürfte, die Erholungspause zu verlängern.

Unterdessen bereitet sich der 35jährige Sergej Kowaljow auf eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Anthony Yarde vor, die am 24. August vor heimischem Publikum des Weltmeisters in Tscheljabinsk über die Bühne gehen soll. Ob der Russe anschließend immer noch ein Thema für "Canelo" ist, hängt natürlich ganz davon ab, wie er sich gegen den Ranglistenersten schlägt und wie strapaziös dieser Auftritt ist. Während für den Russen 33 Siege, drei Niederlagen und ein Unentschieden zu Buche stehen, ist der acht Jahre jüngere US-Amerikaner in 18 Kämpfen ungeschlagen. Der Champion steigt dank seiner Erfahrung und des Heimpublikums als Favorit in den Ring, doch kann der Herausforderer seine Jugend und Stärke ins Feld führen. [1]

Kowaljow ist durchaus verwundbar, da er zumeist stark beginnt, aber mit steigender Rundenzahl müde zu werden pflegt. Wer einige Zeit gegen ihn durchhält, ohne schwer getroffen zu werden, hat mithin Aussichten, im späteren Kampfverlauf das Blatt zu wenden. Das wußte Andre Ward zu nutzen, der zweimal die Oberhand gegen Kowaljow behalten hat, allerdings auch Meister der miesen Kampfesweise war und dabei vom Ringrichter begünstigt wurde. Ward, der die Titel später ungeschlagen niedergelegt und seine Karriere beendet hat, war ein Experte des Wühlens, Ringens, Klammerns und aller sonstigen grenzwertigen Manöver dicht am Gegner, wobei ihm jedes Mittel recht zu sein schien, das der Referee duldete. Dies war erklärtermaßen seine Boxphilosophie, die er umzusetzen verstand, wie kein anderer Akteur seiner Ära. Zudem trat er vorzugsweise im heimischen Oakland, selten in Las Vegas und nur ein einziges Mal an der Ostküste, nie jedoch in New York an. Auf diese Weise sorgte er dafür, stets auf Kampfrichter zu treffen, die eher ihm als seinem Gegner gewogen waren. Hinzu kam im Falle Kowaljows eine antirussische Kampagne, die deutlich über eine inszenierte Fehde zur Werbung für ihren Kampf hinausging.

Von einer Blaupause für Yarde kann daher keine Rede sein, der bei weitem nicht an die diesbezüglichen Qualitäten Wards heranreicht. Was ihm jedoch eine Lehre sein sollte, ist die Konditionsschwäche des Russen, sofern sich dieser in der Anfangsphase verausgabt. Der US-Amerikaner wird vermutlich versuchen, den Weltmeister solange zu beschäftigen, bis dessen Druck nachläßt. Und da Yarde wirkungsvoller als Ward zuschlagen kann, hat er gewisse Aussichten, in den späteren Runden sogar einen Niederschlag herbeizuführen. Aber das ist graue Theorie, da Kowaljows Team natürlich seinerseits Pläne schmieden und an einer geeigneten taktischen Marschroute feilen wird, um das Beste aus den gegebenen Voraussetzungen zu machen.

Nachdem Saul "Canelo" Alvarez den 14. September freigegeben hat, könnte Gennadi Golowkin diesen Termin für einen Kampf gegen Jaime Munguia nutzen, wogegen DAZN vermutlich nichts einzuwenden hätte. Der in 33 Auftritten ungeschlagene Munguia ist WBO-Weltmeister im Halbmittelgewicht und wäre durchaus eine gute und anspruchsvolle Wahl. Der 22jährige hat sich gegen Dennis Hogan, Takeshi Inoue, Sadam Ali, Brandon Cook und zuletzt Liam Smith durchgesetzt, so daß man wohl von ihm sagen kann, er sei bereit für einen alten Löwen wie den Kasachen. Wenngleich er eine Gewichtsklasse unter Golowkin antritt, pflegt er doch nach dem Wiegen durch Flüssigkeitsaufnahme derart zuzulegen, daß er womöglich noch schwerer als der Kasache wäre, sollten die beiden tatsächlich aufeinandertreffen. Ob Jaime Munguia dem weitaus erfahreneren Golowkin tatsächlich gewachsen ist, was man durchaus bezweifeln kann, müßte sich dann im Ring erweisen. [2]


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/07/canelo-alvarez-wont-fight-in-september-wants-best-opponent-for-fans/

[2] www.boxingnews24.com/2019/07/ggg-vs-munguia-on-september-14-makes-sense/

19. Juli 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang