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MELDUNG/2352: Schwergewicht - ambitionierte Tagträume ... (SB)



Tyson Fury schmiedet hochfliegende Pläne

Geht es nach dem britischen Schwergewichtler Tyson Fury, sind seinem Griff nach den Sternen keine Grenzen gesetzt. Einen Sieg über den weithin unbekannten Schweden Otto Wallin vorausgesetzt, möchte er auch die Revanche gegen WBC-Weltmeister Deontay Wilder am 22. Februar sowie einen dritten Kampf gegen den US-Amerikaner gewinnen, um dann den Sieger des Rückkampfs zwischen Andy Ruiz und Anthony Joshua zum Duell zu fordern. Sollte ihm der anspruchsvolle Durchmarsch gelingen, wäre er Ende nächsten Jahres mit allen vier maßgeblichen Titeln in seinem Besitz unangefochtener Platzhirsch der Königsklasse. Daß der Brite gegen den in 20 Auftritten ungeschlagenen Wallin die Oberhand behält, sollte die leichteste Übung in diesem Wunschkonzert sein. Danach fangen die Probleme an. Verliert Fury gegen Wilder, was recht wahrscheinlich ist, wird ihn sein Promoter Top Rank keinesfalls noch einmal gegen den Champion aus Tuscaloosa in Alabama antreten und damit die kostspielige Investition endgültig in den Sand setzen lassen.

Im Dezember 2018 trennte sich Tyson Fury unentschieden von Deontay Wilder, womit der Brite alle Erwartungen weit übertroffen hatte. Allerdings konnte er damals von Glück reden, daß ihn der Ringrichter nicht aus dem Kampf nahm, als er nach einem Volltreffer in der zwölften Runde bewußtlos am Boden lag. Wilder, der bei einer Größe von 2,01 m nur 98 kg auf die Waage gebracht hatte, war dem 2,06 m messenden und 118 kg wiegenden Herausforderer körperlich weit unterlegen, streckte ihn aber zweimal mit seiner gefürchteten Rechten nieder. Inzwischen hat der US-Amerikaner an Gewicht zugelegt und schlägt noch härter zu, was die Aussichten des Briten nicht gerade verbessert, bei der Revanche auf den Beinen zu bleiben. Wilder hat nicht umsonst 41 Kämpfe gewonnen und dabei 40 Gegner vorzeitig besiegt, noch nie verloren und ein Unentschieden gegen Fury in seiner außergewöhnlichen Bilanz. Dieser ist zwar ebenfalls ungeschlagen, hat aber bei seinen 28 Erfolgen außer Wladimir Klitschko und Deontay Wilder eher keine hochklassige Konkurrenz vor den Fäusten gehabt.

Sollte es mit Wilder, Ruiz und Joshua nicht klappen, könnte sich Fury als Alternative einen Kampf gegen seinen Landsmann Dereck Chisora vorstellen. Der bekommt es jedoch am 26. Oktober in der Londoner O2 Arena mit dem früheren WBO-Weltmeister Joseph Parker zu tun und läuft akute Gefahr, gegen den Neuseeländer den kürzeren zu ziehen. Sollte es so kommen und Chisora seine zehnte Niederlage beziehen, brächte es Fury keinen Schritt weiter, mit ihm in den Ring zu steigen. Was Anthony Joshua betrifft, wäre er insofern der Wunschgegner, als sich mit ihm in England sehr viel mehr Geld als mit jedem anderen Kampf verdienen ließe. Fury saß jedoch im Madison Square Garden als interessierter Beobachter im Publikum, als der Außenseiter Andy Ruiz die Oberhand gegen den hochgehandelten Star behielt und ihm die Titel abnahm. Daß Joshua nicht etwa einem Glückstreffer zum Opfer fiel, sondern regelrecht überfordert war, bestärkt Fury in der Auffassung, daß die Revanche der beiden genauso ausgehen wird.

Wenngleich Anthony Joshua bei den Buchmachern als Favorit gehandelt wird, wirkte der Brite in seinen jüngsten Interviews eher bemüht als zuversichtlich, das Blatt im Rückkampf wenden zu können. Ruiz hat ihn vom hohen Thron lange Zeit überbewerteten Könnens gestoßen, weshalb der Sturz auf den Boden der Tatsachen um so tiefer war. Während seit Jahren die Frage aufgeworfen wird, wann sich Joshua endlich seiner hinderlichen Muskelmasse entledigt, da er nun einmal kein Bodybuilder, sondern ein Boxer ist, neigt Fury zu der Auffassung, daß sein Landsmann besser beraten wäre, gerade in dieser Hinsicht alles beim alten zu lassen und sein Glück gegen Ruiz mit gewohnter Statur zu versuchen. Dieser Vorschlag ist zwar insofern nicht ganz von der Hand zu weisen, als ein in relativ kurzer Frist erzwungener Gewichtsabbau oftmals mit einem schwächenden Substanzverlust verbunden ist. Andererseits hat sich regelmäßig gezeigt, daß Joshua nach einigen Runden völlig außer Atem war, weil sein Kreislaufsystem offenbar von der dysfunktionalen Muskelmasse überfordert ist. Aus diesem Grund hätte er schon gegen Wladimir Klitschko verloren, wäre der Ukrainer nicht darauf verfallen, den sicher geglaubten Sieg über die Runden nach Hause zu boxen, statt dem Champion in dessen Schwächephase den Rest zu geben. [1]

Daß Tyson Furys Kampf gegen Otto Wallin in Las Vegas nicht gerade ein Kassenschlager ist, da keiner den Schweden kennt, konnte man schon vermuten. Wie der britische Promoter Eddie Hearn nun von der Seitenlinie eingeworfen hat, seien bislang nicht mehr als 1500 Eintrittskarten für die T-Mobile Arena abgesetzt worden. Sollte es bei dieser mageren Ausbeute bleiben, könnte man in der Tat von einem Schlag ins finanzielle Kontor sprechen. Bob Arums Pläne, seinen Neuerwerb zu einem Publikumsmagneten in den USA aufzubauen, hätten dann einen herben Rückschlag erlitten. Im ersten Kampf unter der Regie von Top Rank hatte der Brite im Juni den restlos überforderten Tom Schwarz in der zweiten Runde besiegt. Das mochte man nach dem schweren Niederschlag durch Wilder noch als Notbehelf durchgehen lassen, wieder Zuversicht aufzubauen. Fury aber im nächsten Schritt einen weiteren krassen Außenseiter als Kanonenfutter vorzusetzen, scheint sich als Eigentor Arums zu erweisen.

Niemand will diesen Auftritt sehen, lästert Hearn, der von einem bloßen Showkampf spricht, da die Kontrahenten auf höchst unterschiedlichem Niveau anzusiedeln seien. Er hege durchaus Sympathien für den Schweden, räume ihm aber keine Chance ein, sich gegen Fury durchzusetzen. Stiege Anthony Joshua mit Otto Wallin in den Ring, ließen sich problemlos mehr als 20.000 Eintrittskarten verkaufen, versäumt der britische Promoter die Gelegenheit nicht, Werbung für seinen prominentesten Akteur zu machen. Top Rank sei schlecht beraten, Fury gleich zweimal in Folge einen allenfalls mittelmäßigen Gegner vorzusetzen. [2]

Eddie Hearn ist der Auffassung, daß Tyson Fury die Popularität in den USA verspiele, die er durch das spektakuläre Unentschieden gegen Deontay Wilder gewonnen hatte. Damals nahmen weite Teile des dortigen Boxpublikums den Riesen erstmals wahr, und Experten räumten dem Briten nur geringe Aussichten ein. Fury hatte nach einer langen Pause, zu der ihn diverse Probleme in seiner Lebensführung zwangen, erst zwei Aufbaukämpfe gegen namenlose Kontrahenten gewonnen. Dennoch trat er gegen den WBC-Weltmeister an, der neben Joshua als bester Akteur im Schwergewicht galt. Doch der Pulverdampf dieses Feuerwerks ist längst verweht, zumal in den USA die Faustregel gilt, daß ein Boxer vom Radar der Aufmerksamkeit verschwindet, sobald er länger als vielleicht ein halbes Jahr nicht mehr aufgetreten ist.

Selbst ein Weltmeister wie Wilder, der mit einer beispiellosen Serie vorzeitiger Siege beeindruckt, wie sie das US-Publikum bevorzugt, war lange nur im Süden ein bekanntes Gesicht. Die Vereinigten Staaten zeichnen sich nicht nur geographisch durch gewaltige Entfernungen aus, so daß sich der WBC-Champion erst noch an der Ostküste einen Namen machen mußte, um dort wirklich wahrgenommen zu werden und höhere Quoten im Pay-TV zu erzielen. Ganz anders Anthony Joshua, der im Vereinigten Königreich regelmäßig riesige Arenen wie das Londoner Wembley-Stadion oder das Principality Stadium in Cardiff mit bis zu 90.000 Zuschauern füllt, sofern sein Gegner auch nur halbwegs bekannt ist. Auch Tyson Fury ist in England und Wales sehr populär, was sich aber überhaupt nicht auf die USA übertragen läßt. Aus europäischer Perspektive ist weitaus mehr über Vorgänge in den Vereinigten Staaten bekannt als umgekehrt. Die Schranke imperialer Ignoranz, alles für mehr oder minder irrelevant zu halten, was sich jenseits der "Indispensable Nation" abspielt, entfaltet auch im Boxgeschäft ihre Wirkung.

Wie viele Zuschauer am Ende doch noch den Weg in die T-Mobile Arena gefunden haben, wird sich in Kürze ebenso zeigen wie die Quote der Übertragung des Kampfs gegen Otto Wallin auf ESPN+. Top Rank arbeitet mit dem Sender ESPN zusammen, der Boxkämpfe gegen eine vergleichsweise geringe monatliche Buchungsgebühr vermarktet. Im Unterschied zum Pay-TV, das einzelne hochkarätige Kämpfe für 70 oder 80 Dollar, in Einzelfällen sogar 100 Dollar für ein begrenztes, aber zahlungskräftiges Fernsehpublikum anbietet, setzt sich inzwischen ein anderes Geschäftsmodell durch, das auf eine wesentlich größere Kundenzahl abhebt. Treiber ist auf diesem Feld insbesondere der Streamingdienst DAZN, der sämtliche Rivalen niederzukonkurrieren versucht. Das könnte durchaus gelingen, wird aber wohl noch einige Jahre in Anspruch nehmen, da das Boxgeschäft, zumal in den USA, mit hartgesottenen Kalibern bestückt und wie insbesondere in Las Vegas ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, weil es Gäste in die Spielerstadt zieht, die sehr viel Geld in den Hotels und Kasinos lassen.

Das Wochenende des 14./15. September ist mit einem der beiden wichtigsten mexikanischen Feiertage assoziiert, die auch in den USA von der hispanischen Community und anreisenden Landsleuten ausgiebig gefeiert werden. Boxen gehört traditionell dazu, weshalb früher Floyd Mayweather die Termine Anfang Mai und Mitte September gewissermaßen für seine beiden jährlichen Auftritte gepachtet hatte, die ihn zum weltweit bestverdienenden Sportler machten. Nach seinem Abschied übernahm Saul "Canelo" Alvarez, der populärste Boxer in Mexiko und den USA, die Feiertagstermine. Da "Canelo" diesmal auf den 14. September verzichtet hat, sprangen Top Rank und Tyson Fury in die Bresche. Jetzt steht wie ein Elefant die Frage im Raum, ob sie die Gunst der Stunde genutzt oder im Gegenteil diese außergewöhnliche Gelegenheit, in Las Vegas Werbung in eigener Sache zu machen, durch die Wahl eines so gut wie unbekannten Gegners eigenhändig ruiniert haben.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/09/tyson-fury-gives-4-fight-plan-to-take-him-through-2020/

[2] www.boxingnews24.com/2019/09/hearn-fury-vs-wallin-has-sold-1500-tickets/

14. September 2019


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