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SONDERMÜLL/088: Europäischer Elektromüll - Ghanas Hightech-Hölle (Südwind)


Südwind Nr. 6 - Juni 2009
Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung

Ghanas Hightech-Hölle

Von Nora Holzmann


Ein Südwind-Aktionsteam folgte im Rahmen des Programms "Handeln für Eine Welt" den Spuren europäischen Elektromülls nach Ghana. Mit erschütternden Erkenntnissen.


Es ist heiß, das Atmen fällt schwer, die Augen brennen. Der Boden ist von Glasscherben übersät, Kabel und Plastikteile stehen in Flammen. Über der Müllhalde von Agbobloshie hängt schwarzer Rauch und verdunkelt die Sonne, die hoch über Ghanas Hauptstadt Accra steht. Ein Bub klettert in Sandalen über die Scherbenhaufen, dabei trägt er einen Computerbildschirm. Er hustet, setzt den Bildschirm ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Ich bin aus dem Norden von Ghana alleine in die Hauptstadt gekommen", erzählt der zehnjährige Habib. "Hier auf der Müllhalde kann ich ein bisschen Geld verdienen. Es reicht zumindest fürs Essen. Ich teile mir ein Zimmer mit drei anderen Kindern, dort drüben." Habib deutet auf eine Ansammlung von kleinen notdürftigen Unterkünften. Die Siedlung ist durch eine stinkende Kloake, aus der Computerteile ragen, von der Müllhalde getrennt.

Wie Habib verbringen hunderte Kinder und Jugendliche in Agbobloshie ihre Tage mit dem Zerschlagen und Verbrennen von alten Elektrogeräten, die in Europa oder den USA nicht mehr gebraucht werden. Mit bloßen Händen zerlegen sie Fernseher, Computer oder Kühlschränke, um an Materialien zu kommen, die ein wenig Geld einbringen könnten. An Feuerstellen zünden sie Kabel an, damit deren Plastikummantelungen schmelzen und die wertvollen Kupferdrähte freigelegt werden. Die Kleinsten unter ihnen durchwühlen den schwarzen Sand am Boden der Müllhalde, auf der Suche nach winzigen Metallresten, die sie vielleicht für ein paar Cent an Zwischenhändler verkaufen können.


Die Arbeit ist anstrengend - und riskant. Lebensgefährliche Stoffe wie Blei, Quecksilber oder Kadmium entweichen den kaputten Elektrogeräten. Boden, Wasser und Luft sind durch die Schwermetalle vergiftet. Habibs Freund Benjamin ist 13 Jahre alt. Er sammelt Computerteile ein, um sie danach zu zerlegen. Ein rosafarbener Ausschlag wuchert auf seinen Armen und seinem Gesicht, sogar seine Augenlider sind davon bedeckt. "Ich habe keine Ahnung, woher der Ausschlag kommt", meint Benjamin. "Aber er brennt und juckt ziemlich." Auch zu Konzentrations- und Reaktionsstörungen, Atemwegserkrankungen, Problemen mit dem Verdauungstrakt und sogar zu Krebs können die Belastungen durch den giftigen Müll führen.


Maßnahmen gegen die Hightech-Hölle

Nur verstärkte staatliche Kontrollen und eine tatsächliche Umsetzung der geltenden Richtlinien können dem Geschäft mit dem giftigen Abfall ein Ende setzen. Weiters müssen die Hersteller der Geräte mehr zur Verantwortung gezogen werden. Bereits bei der Produktion sollten keine giftigen Inhaltsstoffe verwendet und auf eine längere Lebensdauer der Geräte geachtet werden. Den Benutzern von Elektrogeräten in Österreich rät das Südwind-Aktionsteam, diese immer bei der jeweiligen Sammelstelle der Gemeinde oder bei einem "Re-use"-Unternehmen - dieses verkauft die reparierten Geräte innerhalb Österreichs - abzugeben.


Unermüdlich arbeiten die Kinder und Jugendlichen auf Accras Müllhalde. Der Stapel an Monitoren, Druckern und anderen Elektrogeräten wächst trotzdem weiter in die Höhe, denn der Giftmüllstrom aus den Wohlstandsregionen der Erde versiegt nicht. Über 50 Millionen Tonnen an Elektromüll fallen laut UNO jährlich weltweit an. In der EU sind es allein 8,7 Millionen Tonnen. Internationale Abkommen sowie europäische Richtlinien sollen dafür sorgen, dass weltweit ein umweltgerechtes Abfallmanagement stattfindet. In Europa sind die Herstellerfirmen dazu verpflichtet, die Kosten für ein ordnungsgemäßes Recycling zu tragen. Der Export von gefährlichem Müll in Länder, die nicht der OECD angehören, ist verboten. Dennoch landet täglich containerweise Elektromüll, als "Gebrauchtware" deklariert, in afrikanischen und asiatischen Häfen. Wer genau hinter dem illegalen Geschäft mit dem Müll steckt, ist schwer festzustellen: Private Schrotthändler, die Profite wittern, Recycling-Firmen, die sich aufwändige Verfahren und Kosten ersparen wollen, bis hin zur italienischen Mafia, die ihre Finger im Spiel haben soll - die Verstrickungen sind schwer zu entwirren.

Auch in Accra versuchen optimistische Geschäftsleute, die Altgeräte zu Geld zu machen. Am Straßenrand werden Computer, Fernseher oder Kühlschränke angeboten, die in Europa und den USA niemand mehr will. Von hier führt die Spur auch nach Österreich. "Ich habe schon vor 20 Jahren Reifen aus Graz importiert", erzählt der grauhaarige Besitzer eines der Geschäfte. "Jetzt bekomme ich Elektrogeräte aus Österreich. Nächsten Monat erwarte ich wieder eine große Ladung." Lokalen Untersuchungen nach sind allerdings 90 Prozent der in den Geschäften ausgestellten Geräte Schrott. Früher oder später landen sie auf der Müllhalde von Agbobloshie, bei Habib und seinen Freunden.

Langsam neigt sich der Arbeitstag einem Ende zu. Die Sonne steht bereits tief. Habib weiß nicht, von welchem Schreibtisch der Computer-Bildschirm stammt, den er in den Händen hält. Es ist ihm auch egal. Mit voller Kraft wirft er ihn auf den Boden. Es klirrt, Glassplitter wirbeln durch die Luft. Habib seufzt, hebt ihn wieder auf und setzt zum nächsten Wurf an.


Nora Holzmann koordiniert das Südwind-Programm "Handeln für Eine Welt". Vor kurzem reiste sie zusammen mit Christina Schröder nach Ghana.


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Quelle:
Südwind - Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung
30. Jahrgang, Nr. 6/2009 - Juni 2009, Seite 21
Herausgeber: Südwind-Entwicklungspolitik (ehem. ÖIE)
Verlegerin: Südwind Agentur GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009