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ATOM/1080: Alarm in der Asse (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 123/4.2014

Alarm in der Asse
Der Pegel der Lauge ist nur noch fünf Zentimeter vom Atommüll entfernt

Von Tobias Darge



In mehreren Atommüllkammern des Salzbergwerks Asse II steht die Lauge nur noch wenige Zentimeter von den Atommüllfässern entfernt! Das ergab eine Auswertung von Unterlagen der Asse GmbH, die der Geochemiker Ralf Krupp am 5. September der Asse-II-Begleitgruppe in Wolfenbüttel vortrug.


ROBIN WOOD fordert vom Bundesamt für Strahlenschutz als Betreiber und vom Bundesumweltministerium als Fachaufsicht, die letztes Jahr zubetonierten Eingänge der Atommüllkammern wieder zu öffnen, um eine ordentliche Drainage und ein Überwachen der Atommüllkammern zu ermöglichen. Ein Vertreter des Niedersächsischen Umweltministeriums stellte klar, dass dieser Forderung aus Sicht der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde juristisch nichts entgegensteht.

Durch das Zubetonieren besteht die Gefahr, dass sich Wasser in den Atommüllkammern weiter staut, warnt Ralf Krupp, Mitglied eines Teams von WissenschaftlerInnen, das dem Begleitgremium aus Kommunalpolitikern, Umweltverbänden und Bürgerinitiativen zuarbeitet. Täglich laufen 12 m³ Lauge in das Bergwerk, 10 m³ davon werden mit einer Folie auf der 658-Meter-Sohle aufgefangen. Doch 220 Liter pro Tag laufen schon seit Jahren auf die 750-Meter-Sohle mit den Atommüllfässern durch. Zubetoniert kann sich die Situation erheblich verschärfen. "Es macht einen Unterschied, ob ein Rinnsal über die Fässer läuft oder ob die Abfälle unter Wasser geraten" erklärt Krupp und verlangt, dass jede Kammer einen Ablauf behalten muss.

Während von 1967 bis 1978 über 12.600 Atommüllfässer in das Salzbergwerk Asse II über den einen Schacht eingelagert worden sind, in dem auch die Bergarbeiter ein- und ausfuhren, will man für die Rückholung einen neuen Schacht bauen, der erst 2028 fertig werden soll. Während für den Abbau des Salzes der Asse II der Schacht von 1906 bis 1908 innerhalb von drei Jahren abgeteuft wurde, soll der Schachtbau für die Rückholung des Atommülls nun 15 Jahre dauern!

Der Schacht Asse II entstand als Ersatz für den Schacht Asse I, der 1906 auf Grund eines Wassereinbruchs abgesoffen war. Von März 1909 bis März 1964 wurde in der Asse II in 131 Kammern mit einer durchschnittlichen Größe von 60 m x 40 m x 15 m Kali- und Steinsalz gefördert. Bereits in dieser Zeit kam es mehrfach zu Wasser- und Laugeneinbrüchen: Am bedrohlichsten dabei war der nur langsam abklingende Laugeneinbruch von 1939 mit 60 bis 70 m³ pro Tag gesättigter MgCl2-Lauge.

Im Auftrag des Bundesforschungsministerium erwarb 1965 die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) die Schachtanlage Asse II von der Wintershall AG für 700.000 DM. Aus Sicht einer vom Forschungsministerium eingesetzten Arbeitsgruppe hätte sich der Kaufpreis schon alleine durch eine Zwischenlagerung von abgebrannten Brennelementkugeln aus dem Jülicher AVR-Reaktor rentiert. Ein Jahr später lehnte dieser Ausschuss aber auf Grund von Sicherheitsbedenken eine Einlagerung von hochradioaktiven AVR-Brennelementen ab.

Optimierungsstudie: Abkipptechnik für die Asse

Erst als das Institut für Tieflagerung in Clausthal-Zellerfeld in einer Studie von Klaus Kühn im September 1966 zu dem Schluss kam, dass ein Wassereinbruch in die Asse "höchst unwahrscheinlich" sei, begann man am 4.4.1967 mit der Einlagerung der ersten schwachradioaktiven Fässer in die Asse, die zunächst noch stehend, ab 1971 auch liegend gestapelt wurden. 1972 kam auch mittelradioaktiver Abfall hinzu. Ab 1974 wurde eine "Optimierungstudie" der TH Aachen umgesetzt: Mit der Abkipptechnik wurden Atommüllfässer von Radlader abgekippt und rollten den Kammerabhang hinunter. Die Fässer wurden mit einer Schicht Salz bedeckt, dann folgte die nächste Schicht Atommüll-Fässer. Bei diesem Vorgehen könne man schneller mehr Atommüllfässer einlagern, die Strahlenbelastung pro Arbeiter und Fass sei geringer und das Volumen der Einlagerungskammern ließe sich so besser nutzen, hieß es in der Studie. Mit der 4. Atomgesetz-Novelle 1976 zeichnete sich ab, dass das Atomlager Asse II die Anforderung eines Planfeststellungsverfahrens nicht erfüllen und nur noch für eine Übergangszeit bis zum Jahresende 1978 genutzt werden konnte. Die letzten beiden Jahre hat man ausgiebig zur Einlagerung von fast 50.000 Fässern genutzt.

Ein extra für die Asse gebautes Gleis konnte nicht mehr zur Einlagerung von Atommüll genutzt werden, es diente von 1995 bis 2004 zur Anlieferung von über 2,2 Mio. Tonnen Fremdsalz zur Verfüllung der Südflanke.

Hochradioaktiver Müll aus den USA für die Asse

Außerdem verfolgte die GSF ab 1982 die Idee, in der Asse mit hochradioaktivem Müll in Glaskokillen zu experimentieren. Dazu schloss 1984 das Bundesforschungsministerium ein Abkommen mit dem US-Department of Energy (US-DOE). Für 40 Mio. DM sollte hochradioaktiver Atommüll aus den USA per Containerschiff importiert und auf dem Landweg von Hamburg über das Forschungszentrum in Karlsruhe zur Asse transportiert werden. Selbst die "Bild am Sonntag" fragte: "Haben wir denn nicht genug Gift?" In den USA genehmigte der Gouverneur von Oregon den Transport nur unter Auflagen und mit umfangreichen Sicherheitsübungen.

Hafenarbeiter weigerten sich, das Material zu verladen. Währenddessen beteiligten sich 1000 Leute am 4. März 1990 an einer Menschenkette rund um den Asseschacht. Auch die neue rotgrüne Landesregierung sprach sich im Koalitionsvertrag dagegen aus. Zudem bemängelte 1992 der Bundesrechnungshof, dass es sich hierbei nicht um Grundlagenforschung handle, sondern um Endlagerforschung, die von den Energieversorgungsunternehmen bezahlt werden müsste. Da die Atomkonzerne nicht zahlen wollten, wurde das Projekt vom Bund gestoppt. Doch die 30 Glaskokillen waren schon in den USA für 120 Millionen DM hergestellt, ihre Entsorgung kostete nochmals 50 Mio. DM.

Im Frühjahr 2007 gründete sich der Asse-II-Koordinationskreis, ein Zusammenschluss aus verschiedenen Bürgerinitiativen und KommunalpolitikerInnen. Er veröffentlichte die Remlinger Erklärung, die forderte die Flutung der Asse zu stoppen und die Asse unter Atomrecht zu behandeln. 2008 wurde von Bundesumweltminister Gabriel beim Landkreis Wolfenbüttel das Asse-II-Begleitgremium eingerichtet, um das Asse-Thema an sich zu ziehen. Das Bundesamt für Strahlenschutz speiste seine Überprüfung des Flutungskonzeptes in das Begleitgremium ein: In dem zeigt das BfS auf, dass nach dem Fischteichszenario eine 4-fache Grenzwertüberschreitung innerhalb von 150 Jahren zu erwarten sei. Im Juni 2008 kam zudem heraus, dass der Betreiber GSF, jetzt Helmholz-Zentrum München, 20 Jahre lang verschwiegen hatte, dass bereits seit 1988 mit Cäsium-137 und bis zu drei Mio. Becquerel Tritium kontaminierte Lauge aufgetreten war. Nun übernahm das Bundesamt für Strahlenschutz die Asse als Betreiber. Es entschied sich 2010 für die Rückholung der Abfälle aus der Asse. Michael Sailer, Chef der Entsorgungskommission, initiierte unter Umweltminister Röttgen eine Faktenerhebung, mit der zunächst der Zustand des Atommülls jahrelang untersucht werden sollte, statt sofort mit der Rückholung als Gefahrenabwehr zu beginnen.

So wird unter dem Deckmantel der "Notfallvorsorge" vom Bundesamt für Strahlenschutz durch die Hintertür das alte Flutungskonzept des Helmholz-Zentrums München vorangetrieben, während die Rückholung nur schleppend vorankommt.


Tobias Darge ist der neue ROBIN WOOD-Energierefernt, energie@robinwood.de. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Problemen der Asse


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Wolfenbüttel, 5.9.2014: Der Geologe und Geochemiker Ralf Krupp erläutert der Asse-II-Begleitgruppe, dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Bundesumweltministerium, dass der Abstand zwischen Salzlösung und Abfallgebinden mit Atommüll auf der 750 Meter-Sohle des Salzbergwerks Asse II nur noch fünf Zentimeter beträgt.

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 123/4.2014, Seite 26 - 28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2014