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FORSCHUNG/154: Bioindikatoren - Die Vögel wenden sich an Europa (research*eu)


research*eu - Nr. 62, Februar 2010
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Die Vögel wenden sich an Europa

Von Isabelle Noirot


Mithilfe neuer Bioindikatoren, die auf den Populationen von in Europa verbreiteten Vogelarten basieren, lassen sich die biologischen Folgen menschlicher Aktivitäten wie der Nutzung fossiler Brennstoffe und der veränderten Bodennutzung beurteilen.


"Die klimatischen Veränderungen haben für die Vögel Europas bereits messbare Folgen", kündigte eine Forschergruppe in einem Aufsatz an, in dem sie den ersten Bioindikator für Klimafolgen auf die Natur in Europa beschrieb. [1] In den letzten Jahren häufen sich die Beweise für diese Auswirkungen auf die Biodiversität: Veränderungen hinsichtlich der Fülle und Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten, Unregelmäßigkeiten bei Blüte- und Paarungszeiten, veränderte Wanderrouten. Doch bis vor kurzem gab es noch keinen Indikator, um diese Veränderungen für den ganzen Kontinent zu erfassen. Zur Erstellung des Klimafolgenindikators (climatic impact indicator, CII) haben die Forscher die Verbreitungsdaten von 122 Vogelarten in 20 europäischen Ländern aus den Jahren 1980 bis 2005 aus dem Projekt Pan-European Common Bird Monitoring Scheme (PECBMS) [2] mit Vorhersagemodellen kombiniert, um sich ein Bild zu machen, wie jede Art auf den Klimawandel reagieren könnte.

Man beobachtete eine sinkende Tendenz des CII, was wahrscheinlich den Einfluss kalter Winter und eine veränderte Bodennutzung widerspiegelt und zur Verringerung der Vogelpopulationen führte. Doch seit dem Ende der 1980er Jahre steigt der Indikator kontinuierlich an und zeigt damit, ob die Folgen der Klimaerwärmung die Folgen anderer Umweltbelastungen überholt haben. Bei manchen Vogelarten sind die Populationen angewachsen, während sie bei anderen geschrumpft sind, was allerdings bei 75%, d. h. bei 92 von 122 untersuchten Arten der Studie der Fall ist. Die größte Bedrohung stellt der Treibhausgasausstoß dar, der seit der industriellen Revolution stark angestiegen ist. Die Verwendung fossiler Brennstoffe und die Abholzung sind für einen Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) verantwortlich, der zur Erzeugung anderer wichtiger Treibhausgase, wie Wasserdampf (H2O), Methan (CH4) und Distickstoffmonoxid (N2O), auch Lachgas genannt, noch hinzukommt.


Andere Maßnahmen des PECBMS

Das PECBMS will Vögel als Bioindikatoren einsetzen, um den allgemeinen Zustand der Natur zu beurteilen. Dazu verwendet es Daten aus groß angelegten Managementplänen. Neben dem Klimafolgenindikator CII hat das PECBMS auch zur Ausarbeitung von Indikatoren zur Biodiversität beigetragen, die sich auf Daten zu europäischen Vogelarten stützen, die in den beiden Lebensräumen Wald und Wiese verbreitet sind: Während sich zwischen 1980 und 2006 [3] bei allen Populationen ein globaler Rückgang von 10% bemerkbar machte, liegt dieser Rückgang in demselben Zeitraum bei den Waldvögeln bei 9% und bei den Wiesenvögeln sogar bei 48%. Es wird immer deutlicher, dass dieser Rückgang durch eine intensivere Land- und Forstwirtschaft ausgelöst wird. Sie hat zum Verlust der Anbauvielfalt, zur Zerstörung von Wiesen und Ackerrainen, zum vermehrten Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln und zur Entwässerung geführt und damit über die Nahrungskette auch den Vögeln geschadet. Neben der Erarbeitung der Indikatoren hat das PECBMS auch einen Leitfaden für bewährte Verfahren zur Zählung von Vögeln herausgegeben. Dieser ist auf der Webseite des European Bird Census Council (EBCC) erhältlich.

Im April 2009 erhielt das PECBMS die Bestätigung, dass die Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission das Projekt für weitere drei Jahre unterstützen wird. Auch die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) unterstützt das Projekt weiterhin finanziell. Eine jährliche Aktualisierung der Daten und die kontinuierliche Verbesserung ihrer Qualität sind vorgesehen. Weiterhin sollen der geografische Rahmen ausgeweitet und die Anzahl der untersuchten Vogelarten erhöht werden und es soll versucht werden, Indikatoren auch für andere Habitate zu erstellen, etwa für Sumpfgebiete oder für Lebensräume, in denen agrarökologische Maßnahmen Anwendung finden.


Von der Wissenschaft zur Politik

Derartige Ergebnisse weisen darauf hin, dass die in der Natur beobachteten Veränderungen und ihre Folgen für die Vögel und für uns ernst genommen werden müssen. Zu den Beschlüssen des Gipfels zur nachhaltigen Entwicklung im Jahr 2002 gehörte auch der Vorsatz, bis zum Jahr 2010 den Verlust der biologischen Vielfalt abzubremsen. Wenn Europa dieses ehrgeizige Ziel erreichen will, müssen die Anstrengungen verdoppelt werden, um Maßnahmen zur Bewahrung der Natur durchzuführen. Die Europäische Union und die Europäische Umweltagentur haben den CII und den Farmland Bird Indicator (ein Indikator auf der Grundlage von Wiesenvögeln) als offizielle Messwerkzeuge zur Beurteilung des Stands der biologischen Vielfalt angenommen. Im April 2009 veröffentlichte die Kommission ein Weißbuch, mit dem ein Rahmen für Anpassungsmaßnahmen an den Verlust der Biodiversität erstellt wird, um die Gefährdung der Europäischen Union angesichts des Klimawandels zu verringern.[4]


Das Konzept der Weiserart

Ein Weiser oder Indikator ist ein Ersatz für einen Parameter, der zu kurzlebig oder zu schwierig ist, um ihn direkt zu messen. In der Wirtschaft ist der Dow Jones ein Börsenindikator, der eine Tendenz aufzeigt, ohne den gesamten Markt analysieren zu müssen. In der Biologie können Indikatoren bestimmte Elemente messen, wie etwa die Luftqualität im Verhältnis zur Verbreitung von Flechten, die Bodenfeuchtigkeit im Verhältnis zum Vorkommen von Pflanzenarten oder sogar die Pestizidbelastung, die sich in den Raubvogelpopulationen und neuerdings auch in den Bienenpopulationen widerspiegelt.

Der Klimagipfel von Rio 1992 hat die Entwicklung eines ähnlichen Indikators für die Biodiversität angestoßen. Das PECBMS hat Indikatoren auf der Grundlage von Vögeln aus praktischen und wissenschaftlichen Gründen ausgewählt: Sie lassen sich relativ einfach beobachten und sind zahlreich. Ihre Biologie und ihr Verhalten sind gründlich untersucht und sie reagieren sehr schnell auf Veränderungen. Diese Indikatoren stützen sich auf rund ein Dutzend weit verbreitete Vogelarten, um damit einen globalen Eindruck von der Umwelt zu ergeben.


Zukunftsvision

Lassen die bei den Vögeln beobachteten Tendenzen auf ähnliche bei anderen Arten schließen? Auf diese wichtige Frage gibt es bislang noch keine klare Antwort. Den Wissenschaftlern zufolge liegt jedoch nahe, dass die Klimaerwärmung das gesamte Ökosystem stören könnte und die menschlichen Aktivitäten (Eingriffe in die Umwelt und der Transport exotischer Arten) zur Dezimierung der spezialisierten Arten und zum Anstieg allgemeinerer und schädlicher Arten führen könnte, die sich in einer gestörten Umwelt vermehren können. Das Ergebnis wäre eine Umwelt, in der die biologische Vielfalt in jeder Hinsicht abnehmen würde. Hier spricht man auch von biotischer Homogenisierung.


Anmerkungen

[1] Gregory et al., 2009, www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0004678

[2] Das PECBMS wurde 2002 als Partnerschaft zwischen Ornithologen und Umweltschützern gegründet, wobei die Zusammenarbeit im Rahmen anderer Organisationen erfolgt: BirdLife International, The European Bird Census Council (EBCC) und The Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) mit Unterstützung der Statistics Netherlands. Das PECBMS sammelt alle Populationsdaten aus den jährlichen Zählungen in Europa. Es wird von der Europäischen Kommission und dem RSPB finanziert.

[3] www.ebcc.info/index.php?ID=368

[4] http://ec.europa.eu/environment/climat/adaptation/


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Quelle:
research*eu - Nr. 62, Februar 2010, Seite 14 - 15
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2010