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INSEKTEN/220: Libellen im Rainer Wald (Vogelschutz)


Vogelschutz - 1/2013
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Libellen im Rainer Wald

von Lisa Büsing



Augenstecher, Teufelsnadel, Teifelsbolzen - die Mythologie hat der Libelle einst viele Namen gegeben, um in alten Erzählungen und Sagen unter der Bevölkerung die Angst vor den vermeintlichen Teufelsdienern zu schüren. Glücklicherweise hat sich das Image der völlig harmlosen Tiere inzwischen gewandelt und immer mehr Menschen erfreuen sich an den beeindruckenden Flugmanövern und den schillernden Farben der agilen Insekten.


Die wenigsten von ihnen wissen jedoch, dass viele der rund 80 heimischen Arten gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht sind. Grund dafür ist ein ständig fortschreitender Lebensraumverlust durch künstliche Entwässerung, Gewässerverschmutzung, Verlandung oder Trockenlegung. Nur in wenigen Gebieten gibt es noch ungestörte Habitate, die auch von spezialisierteren Arten genutzt werden können.

Rückzugsgebiet Rainer Wald
Einer dieser selten gewordenen Orte ist das LBV-Schutzgebiet "Rainer Wald" im niederbayerischen Landkreis Straubing-Bogen. Um einen Überblick darüber zu bekommen, wie intensiv das Gebiet von Libellen frequentiert wird, wurden im Zuge einer Bachelorarbeit an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf im Jahr 2011 unterschiedliche Gewässerlebensräume über mehrere Monate beobachtet. Durch die Kartierung sollte insbesondere beantwortet werden, welche Arten im Rainer Wald aktuell vorkommen und wie die Biotope genutzt werden. Neben verschiedenen Stillgewässern wurden auch Gräben mit fließendem Wasser, eine alte Kiesgrube und ein zeitweise mit Wasser überstauter, sumpfiger Bereich untersucht. Angrenzende Wiesen, Wege und Waldlichtungen wurden in die Kartierung ebenfalls einbezogen.

Lebensraum für Rote-Liste-Arten
Bei der Untersuchung wurde das Vorkommen von 20 Libellenarten belegt - eine beeindruckende Anzahl. Eine weitere Art, die Westliche Keiljungfer, wurde 2009 im Rainer Wald beobachtet. Das Arteninventar setzte sich größtenteils aus häufig vorkommenden Libellen wie beispielsweise Plattbauch, Großer Blaupfeil, Große Pechlibelle oder Gemeine Binsenjungfer zusammen - relativ anspruchslose Arten, die verschiedenste Lebensräume besetzen können. Besonders erfreulich ist jedoch, dass auch viele neue Arten nachgewiesen werden konnten, die in der Roten Liste Bayerns aufgeführt sind. Hervorzuheben sind hier die Gemeine Keiljungfer und die Keilflecklibelle mit Schutzstatus 1 (vom Aussterben bedroht), Glänzende Binsenjungfer und Fledermaus-Azurjungfer mit Rote-Liste-Status 3 (gefährdet) sowie Braune Mosaikjungfer und Gebänderte Prachtlibelle mit dem Status 4S (potentiell gefährdet wegen Rückgang). Während von Fledermaus-Azurjungfer und Gemeiner Keiljungfer jeweils nur ein bzw. zwei Tiere gesichtet wurden, gibt es für die anderen genannten Arten gleich mehrere Beobachtungen - oft auch an verschiedenen Aufnahmeorten.

Nachweis der Keilflecklibelle
Als besonderer Erfolg ist der sichere Nachweis der Keilflecklibelle zu sehen, der mehrfach durch Bildmaterial belegt werden konnte. Die wärmeliebende Art zeigte sich zunächst bevorzugt an einem sumpfartigen Biotop, das mit einem hohen Anteil an gut besonntem, stehendem Totholz ein ideales Habitat für die Tiere bietet. Später konnte die Beobachtung um einen Nachweis an einem weiteren Standort erweitert werden. Da es sich hierbei um ein frisch geschlüpftes, noch recht immobiles Tier handelte, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Aussage treffen, dass es sich an diesem Standort entwickelt hat. Im sumpfigen Bereich gelang es sogar, eine Eiablage bildlich zu dokumentieren. Da somit mehrere Beobachtungen verschiedener adulter Tiere in Kombination mit zwei als sicher anzusehenden Nachweisen für Reproduktion dokumentiert sind, kann man davon ausgehen, dass die Keilflecklibelle im Rainer Wald dauerhaft vorkommt. Dieser besondere Erfolg spricht für das ausführliche Schutzkonzept des Landesbundes für Vogelschutz und stellt den bislang einzigen Nachweis der Art im Dungau dar.

Vielfalt der Strukturen
Das hohe Artaufkommen zeigt, dass die Gewässer im Rainer Wald mit ihren vielseitigen Strukturen ein hohes Lebensraumpotential für Libellen bieten. Libellen sind zudem besonders auf Strukturen angewiesen, die es ihnen ermöglichen, ihre Körper am Morgen möglichst zügig zu erwärmen, um die Zeitspanne zu minimieren, in der sie für Fressfeinde besonders angreifbar sind. Während im Schatten der Bäume die Sonneneinstrahlung den ganzen Tag gedämpfter ist oder aber erst im Laufe des Tages ausreicht, um die Betriebstemperatur für den Flug und die Jagd zu erreichen, herrscht auf Freiflächen meist schon morgens eine direkte Sonneneinstrahlung. Es überrascht deshalb wenig, dass gerade die größeren Libellenarten Habitate mit angrenzenden Freiflächenstrukturen bevorzugen. Auch für die Jagd scheinen diese Flächen von Bedeutung zu sein, da die Tiere meist wenig an den Gewässerstrukturen, dafür aber umso häufiger bei der Jagd auf den anliegenden Wiesen beobachtet wurden. Die direkte Nachbarschaft eines geeigneten Gewässers und einer Freifläche mit ausreichender Anzahl an Beutetieren ist in der heutigen Kulturlandschaft selten geworden. Im Rainer Wald gibt es gleich mehrere dieser Strukturen, so dass viele Arten vorkommen, die anderswo schon lange verschwunden sind.

Kleinlibellen hingegen treten besonders dort sehr artenreich auf, wo Gewässerstrukturen mit deckungsreichem Bewuchs vorhanden sind. Neben der geringeren Wärmesumme, die für einen kleineren Libellenkörper nötig ist, um sich auf Betriebstemperatur zu bringen, spricht diese Beobachtung auch für eine klare Feindvermeidungsstrategie. Diese erstreckt sich nicht nur auf größere Libellenarten, die ihre kleinen Verwandten erbeuten können, sondern auch auf andere Fressfeinde, wie z.B. im Flug jagende Vögel, vor denen solche Strukturen besseren Schutz bieten. Feststellbar war auch, dass netzbauende Spinnen, die für Kleinlibellen ein großes Risiko darstellen können, in den bevorzugten Habitaten der Kleinlibellen weniger häufig vorkamen als in denen der Großlibellen.

Störfaktor Mensch
Um zu belegen, wie sich Besucher in einem Libellengebiet auf die Tiere auswirken, wurden auch ausführliche Untersuchungen zur Reaktion auf Menschen durchgeführt. Die Versuchsreihen kamen zu dem Ergebnis, dass Libellen unmittelbar an Gewässerstrukturen am sensibelsten auf aufrecht gehende Menschen reagieren. Weniger problematisch sind Menschen, die z.B. sitzend an einem Gewässer verweilen. In beiden Versuchsreihen konnte beobachtet werden, dass bei vielen Individuen eine Gewöhnung eintrat, wenn sich der Mensch längere Zeit unauffällig (z.B. langsame Bewegungen, kein Verfolgen der Tiere) an einem Ort aufhielt. Es ist dann für die Libellen erkennbar, dass der anwesende Mensch keine Bedrohung darstellte. Dieses Verhalten spricht nicht nur für eine komplexe Lernleistung der Tiere, sondern auch dafür, dass durch das richtige Verhalten von Besuchern in Libellengebieten eine Störung der Tiere an den Gewässern deutlich verringert werden könnte. Auf Wegen zeigen sich alle Arten sehr tolerant, so dass man davon ausgehen kann, dass Spaziergänger, die sich dort aufhalten, kaum Störungen verursachen.

Der Rainer Wald schafft mit seinen vielfältigen Strukturen ein einzigartiges Refugium. Diese Lebensräume zu schützen und zu erhalten, sie aber in angemessener Weise dem interessierten Menschen zugänglich zu machen, um den Respekt für die Natur zu schulen, sollte unsere oberste Aufgabe sein. Nur dann kann ein Juwel wie der Rainer Wald dauerhaft in dieser Form existieren.

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Insgesamt zeigten die Untersuchungen eines ganz deutlich: Der Rainer Wald bietet nicht nur für Libellen, sondern auch für viele andere Tier- und Pflanzenarten ein einzigartiges Refugium. Mit seinen vielfältigen Strukturen und Habitaten schafft er für unzählige Arten Lebensräume, die an anderer Stelle bereits dem Einfluss des Menschen weichen mussten.


Lisa Büsing- Forstingenieurin
hat für ihre Bachelorarbeit die Libellenbestände im Rainer Wald untersucht
E-Mail: Buesinglisa@aol.com


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Herbst Mosaikjungfer im Flug
- Ungestörter Lebensraum: Auwald im Rainer Wald
- Portrait einer Federlibelle
- Ein toller Erfolg ist der gesicherte Nachweis der vom Aussterben bedrohten Keilflecklibelle, die sich im Rainer Wald auch fortpflanzt
- Auwald, Gräben, Sumpfbereiche, Auflichtungen und Wiesen vielfältige Strukturen für das Leben der Libellen

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Quelle:
Vogelschutz - 1/2013, Seite 10 - 13
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V.
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
Tel.: 09174 / 47 75-0, Fax: 09174 / 47 75-75
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Internet: www.lbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2013