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PFLANZEN/162: Königin mit vielen angenehmen Eigenschaften - Die Winterlinde (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 191 - April/Mai 2016
Die Berliner Umweltzeitung

Königin mit vielen angenehmen Eigenschaften
Baum des Jahres 2016: die Winterlinde

Von Jörg Parsiegla


Kaum ein Baum ist in deutschen Straßen und Parks so oft anzutreffen wie die Linde. Kein Wunder, ist sie doch nicht nur sehr schön anzuschauen, sondern auch relativ anspruchslos, was ihren Lebensraum betrifft. Dr. Silvius Wodarz, Präsident der Baum des Jahres Stiftung, begründete die Wahl der (Winter)Linde unter anderem damit, dass für diesen Baum vielfältigste Verwendungsmöglichkeiten, höchste Wertschätzung und größte Bedeutung in der Mythologie stehen. "Es gibt keinen Baum, der mehr mit der Liebe des Menschen verbunden ist, und das alleine ist schon eine Kostbarkeit."

Die Winterlinde, die bis zu 25 Meter hoch werden kann, blüht etwas später als ihre "Schwester", die Sommerlinde, die auch schon einmal zum Baum des Jahres (1991) gekürt wurde. Die Blüte setzt etwa zwei Wochen später als die ihrer nahen Verwandten gegen Ende Juni, Anfang Juli ein, damit blüht sie am spätesten von allen heimischen Baumarten. Übrigens, zur Unterscheidung lohnt sich ein Blick auf die Blattunterseiten. Diese sind bei der Winterlinde kahl und mit einigen rotbraunen Härchen-Büscheln versehen. Bei der Sommerlinde sind diese "Bärte" dagegen weiß.

Außerdem existieren noch zwei Hybridformen: eine Kreuzung aus Sommer- und Winterlinde, auch holländische Linde genannt, und die weit verbreitete Krimlinde, eine Kreuzung aus Winterlinde und Kaukasischer Linde.

Verbreitung und Merkmale

Das Verbreitungsgebiet der Winterlinde erstreckt sich über ganz Europa bis nach Russland. Es reicht deutlich weiter nach Norden und Osten als das der Sommerlinde und ist vor allem an Berg- und Hügelland sowie die Auenbereiche größerer Flüsse gebunden. Ihre Heimatgefilde in Deutschland sind die Regenschatten-Bereiche von Harz, Rhön und Erzgebirge sowie Auenwälder an Elbe, Rhein, Saale und Oder. Nur im Gebirge bleibt sie hinter der Sommer-Linde zurück, die in den Alpen schon mal 500 Meter höher siedelt. Wie bereits erwähnt, ist die Winterlinde - was Licht, Wasser, Wärme und Nährstoffe betrifft - wesentlich genügsamer als die Sommer-Linde. Dass sie dafür auch die kleineren Blätter hat, mag in Verwechselungsfällen als Eselsbrücke dienen. Im Englischen heißen die beiden Unterarten daher large-leaved lime (Sommerlinde) und small-leaved lime (Winterlinde).

Die Blätter des Baumes sind fast kreisrund und enden in einer deutlichen, sehr kurzen und schlanken Spitze. Am Grund sind sie herzförmig eingeschnitten, wobei die Kerbe nicht unbedingt mittig liegen muss. Der Blattrand ist regelmäßig gesägt und nach oben gebogen. Jeweils vier bis zwölf weißliche Blüten befinden sich an einem hängenden oder abstehenden Blütenstand und verströmen einen intensiven honigähnlichen Duft. Die im Herbst herangereiften, nur wenige Millimeter großen Kapselfrüchte lassen sich im Gegensatz zu den Früchten der Sommerlinde leicht zerdrücken. Interessant: Die Blattform der Linde wiederholt sich - ungefähr - im Habitus der Baumkrone sowie der Wurzelausbildung.

Über das Wachstum der Linde wird übrigens gesagt, dass sie "300 Jahre kommt, 300 Jahre steht und 300 Jahre vergeht". Das maximale Alter der verschiedenen Lindenarten wird mit etwa 1.000 Jahren angegeben.

Verwendung

Tilia cordata (so der botanische Name der Winterlinde) dient dem Menschen wahrscheinlich schon seit Urzeiten als Apotheke: Es kann fast alles an der Linde in der Naturheilkunde genutzt werden. Besonders beliebt ist Tee aus Lindenblüten - er ist schweiß- und wassertreibend, krampflösend, magenstärkend und blutreinigend. Die biochemische Wirkung des Tees zur Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte wird auf die in den Blüten enthaltene medizinisch wirksame Substanz des Lindenblütenöls zurückgeführt. Dieses ätherische Öl wird in den Balkanländern und Südrussland für die heilkundliche Nutzung sogar gesammelt. Der Sud aus Lindenblättern hat einen ähnlichen Effekt.

Außerdem sind die Blüten eine wichtige Nahrungsquelle für Bienen, entsprechend beliebt ist der süße Lindenblütenhonig. Der kulinarische Einfluss geht noch weiter. "Zur Linde" sei der häufigste Gasthausname in Deutschland, meint die Baum des Jahres Stiftung. Eher kurios: In Notzeiten wurde der Samen auch als Kaffeeersatz genutzt, und unter Friedrich dem Großen gab es sogar Versuche, Schokolade daraus herzustellen. "Lindenschokolade" gibt es auch heute noch in Leipzig (lateinisch Lipsia, soviel wie Lindenort) in Form eines Lindentalers.

Eine zweite traditionelle Nutzungsform des Baumes betrifft sein Holz. Lindenholz ist meist weißlich bis gelblich und gehört zu den weichen Hölzern (Winterlinde und Sommerlinde sind so gut wie nicht unterscheidbar). Es wird vor allem im Innenbereich verwendet, da es, der Witterung ausgesetzt, wenig dauerhaft ist. Insbesondere Bildhauer und Holzschnitzer arbeiten gern mit dem Holz. So wurden beispielsweise viele berühmte Meisterwerke der Sakralkunst, zum Beispiel von Tilman Riemenschneider und Veit Stoß, aus dem "Heiligenholz" gefertigt. Auch für flächige Schnitzarbeiten, zum Beispiel die Herstellung von Kuckucksuhren oder in der Maskenschnitzerei wird Lindenholz oft verwendet. Der große Vorteil des Holzes besteht vor allem in seiner leichten und in allen Schnittrichtungen sauber möglichen Bearbeitbarkeit, die auch in der Spielzeugfabrikation, im Modellbau und bei Hutmachern sehr geschätzt wird.

Kulturelle Bedeutung

Dorflinden, Gerichtslinden, Kirchlinden, Tanzlinden und Hoflinden (unter denen mit Sicherheit auch Winterlinden waren und sind) - sie alle zeugen von einer jahrhundertelangen vielseitigen kulturellen Tradition. Bereits im Volksglauben der germanischen und slawischen Völker nimmt die Linde unter den Bäumen einen Ehrenplatz ein. Jedes Dorf besaß als Mittelpunkt eine Linde. Sie war Treffpunkt für Jung und Alt und Ort für Trauungen. Eine Besonderheit war die Tanzlinde - ein starker Baum, dessen Hauptäste in Jahrzehnten zu waagerechten Astkränzen geformt wurden. Auf diese Astkränze legte man Bretter, brachte Geländer und Leitern an und stützte das Ganze mit Pfosten ab: Der Schwof konnte beginnen. Unter den Gerichtslinden auf öffentlichen Plätzen und in Burgen wurde durch den Dorfschulzen oder den jeweiligen Feudalherren Recht gesprochen. Einzeln stehende, weithin sichtbare Linden galten als Freiheitsbäume oder waren schlichtweg Grenzbäume.

Außerdem zeigt sich die tiefe kulturelle Verwurzelung der Linde in zahlreichen Sagen und Volksbräuchen sowie in Flur-, Orts- und Personennamen. Last but not least gibt es noch die Dichterlinde, die derzeit sogar wieder in Mode kommt. Jedenfalls war die Linde der Baum der deutschen Romantik.

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Quelle:
DER RABE RALF
27. Jahrgang, Nr. 191, April/Mai 2016, Seite 22
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2016

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