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REPTILIEN/035: Die Umsiedlung von Zauneidechsen - ein schwieriges Kapitel (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 179 - April / Mai 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Die Umsiedlung von Zauneidechsen
Ein schwieriges Kapitel des Artenschutzes

von Dieter Gramentz



Der seit einiger Zeit andauernde Lebensraumverlust und das damit verbundene seltenere Vorkommen der Zauneidechse führten zu deren Einstufung in strenge Schutzkategorien. Sie wird im Bundesnaturschutzgesetz als streng geschützte Art geführt und steht seitdem im Anhang IV der Flora-Fauna Richtlinie. Maßnahmen wie zum Beispiel Umsiedlungen führten und führen jedoch immer wieder zu noch weiteren Verlusten der von Eidechsen zurzeit besiedelten Gebiete. Weiterhin kommt es auch zu Verlusten unter den Tieren. Verschiedene über die Biologie der Art vorhandene Erkenntnisse werden bei der praktischen Umsetzung von Umsiedlungen häufig nicht beachtet, und es werden mitunter erhebliche Fehler während der Durchführung gemacht. Im Folgenden werden einige Problempunkte zusammengefasst, die im Rahmen von Umsiedlungen dieser Art vorkommen.

Das "Wie" ist entscheidend

Probleme entstehen unter Umständen durch Maßnahmen, die der Umsiedlung voraus gehen und der Vorbereitung dienen sollen. So ist das großflächige Entfernen von Vegetation, zum Beispiel durch eine Mahd, in dem von Eidechsen bewohnten Gebiet eine Beschädigung oder Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten und damit eigentlich verboten. Im Zuge dieser Vegetationsentfernungen werden den Tieren Deckungsmöglichkeiten genommen und es kommt kleinklimatisch zu größeren Extremen. Aufgrund der plötzlich veränderten Bedingungen halten sich daraufhin mehr Eidechsen in ihren noch schützenden Erdlöchern auf, was vorzeitig den Eindruck entstehen lassen kann, dass keine umzusiedelnden Zauneidechsen mehr abgefangen werden müssen. Aufgrund dieses Verhaltens kommt es dann nach dem Beginn von Baumaßnahmen zu Verlusten unter den Tieren, die nicht bemerkt werden.

In der Praxis zeigen sich beim Abfangzeitraum auch wiederholt mangelhafte Planungen und Durchführungen, die aufgrund zu weniger Fangtage zu Verlusten bei Zauneidechsen führen. So betrug der Zeitraum bei einer Reihe von Abfangmaßnahmen lediglich 5 bis 15 Tage für komplette Populationen. Es existieren dagegen Empfehlungen in der Fachliteratur, dass sich der Abfangzeitraum über mindestens eine Aktivitätsperiode erstrecken sollte, was einen Zeitraum von circa fünf bis sieben Monaten erfordert. In der Konsequenz werden bei zu kurzen Abfangzeiten nur geringe Teile von lokalen Populationen umgesiedelt - der Rest fällt Baumaßnahmen zum Opfer. Es kam auch vor, dass erst unmittelbar am Ende der Aktivitätsperiode ein Abfang stattfand, einem Zeitpunkt, an dem bereits ein größerer Teil der Tiere das Aktivitätsniveau stark reduziert hat und sie sich in Erdlöchern aufhalten. Zu weiteren Verlusten kommt es durch Fehleinschätzungen der tatsächlichen Bestandsgrößen.

Problematische Zwischenhälterung

Eidechsen, die nicht kurz nach ihrem Abfang wieder freigelassen werden können, werden für einen bestimmten Zeitraum in einer Freianlage gehalten, was als Zwischenhälterung bezeichnet wird. Jedoch ist keine noch so gut konstruierte Anlage in der Lage, dieselben kleinklimatischen und ökologischen Bedingungen zu schaffen, wie sie am Originalfundort vorlagen. Je länger eine Zwischenhälterung dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass Tiere in der Gruppe häufiger werden, die sich nur unter künstlich gestalteten Haltungsbedingungen vermehrten. Eine Vermehrung während der Zwischenhälterung sagt aber nichts über die Eignung dieser Individuen als stützender Teil für eine positive Überlebensprognose der im Anschluss freigelassenen Eidechsen aus. Problematisch ist bei Zwischenhälterungen auch die Dauer der Maßnahme im Verhältnis zu ihrer Lebenserwartung. Im Vergleich zur durchschnittlichen Generationsdauer der Zauneidechse beträgt eine ein- bis zweijährige Zwischenhälterung etwa 20 bis 50 Prozent der durchschnittlichen natürlichen Lebenserwartung adulter Eidechsen. Eine Zwischenhälterungsdauer von über zweieinhalb Jahren, wie es schon vorkam, ist aufgrund der oben genannten Gründe ein nicht hinnehmbar langer Zeitraum.

Größere ökologische Zusammenhänge werden ebenfalls weitgehend ignoriert. So zum Beispiel die Bedeutung einzelner umzusiedelnder Populationen im Verbund so genannter Metapopulationen und die möglichen längerfristigen Konsequenzen bezüglich der Überlebensfähigkeit von Nachbarpopulationen, die sich gegenseitig durch den Austausch von Individuen stützen. Des Weiteren können Eidechsen aus Nachbarpopulationen nicht mehr in das nach der Umsiedlung bebaute Gebiet einwandern, was den Konkurrenzdruck in diesen Populationen vergrößern kann. Eine Aufteilung (während einer Umsiedlung) in kleinere Teilpopulationen ist ebenfalls nicht vertretbar, denn es besteht das Risiko, dass Individuen der Gruppe bei der Fortpflanzung beteiligter Eidechsen voneinander getrennt werden. Dies verringert die Überlebenswahrscheinlichkeit der umgesiedelten Population am neuen Standort. In diesem Zusammenhang sollten Fundortbesonderheiten, wie zum Beispiel das lokal eventuell größere Vorkommen bestimmter seltener Körperfärbungen, berücksichtigt werden. Wenn Zauneidechsenpopulationen nicht als lokale genetische, nicht zu trennende Einheiten verstanden werden, dann könnten diese nach der Umsiedlung an neue Standorte durch angrenzende Populationen "aufgeweicht" werden.

Auch mal "Nein" sagen

Natürlich müssen im Rahmen von Verkehrssicherungsmaßnahmen Zauneidechsenumsiedlungen durchführbar sein, und es wird auch nicht immer gelingen, alle Individuen abzufangen. Um Verluste unter den Eidechsen so gering wie möglich zu halten, müssen aber auch immer die größtmöglichen Anstrengungen unternommen werden diese zu vermeiden. Und es muss zukünftig noch öfter die Möglichkeit erwogen werden, keine Baugenehmigungen zu erteilen und zugunsten der Eidechsen deren besiedelte Lebensräume zu erhalten. Inzwischen dürften jedoch mehrere tausend Eidechsen mangelhaft durchgeführten Umsiedlungsmaßnahmen zum Opfer gefallen sein. Aufgrund dokumentierter Populationszusammenbrüche kann inzwischen festgestellt werden, dass nur eine geringe Aussicht auf einen dauerhaften Erfolg bei Umsiedlungen der Zauneidechse besteht. Darüber Aufschluss können jedoch nur Erfolgskontrollen geben, die über mindestens eine Generationsdauer nach jeder Umsiedlung durchgeführt werden sollten.

Dieter Gramentz
Deutsche Gesellschaft für Herpetologie
und Terrarienkunde (DGHT)
Landesverband Berlin


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Männliches Exemplar der Zauneidechse - Buschwerk, Totholz und ein Platz zum Sonnen ... Fotos: Dieter Gramentz

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 179 - April/Mai 2014, Seite 9
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2014