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SÄUGETIERE/272: Allesfresser auf kurzen Beinen - Neu im Revier, der Marderhund (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/09
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Allesfresser auf kurzen Beinen
Neu im Revier: der Marderhund

Von Magnus Hermann


Er ist ein eher selten zu beobachtender Neubürger: der Marderhund, auch Enok genannt. Sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet liegt im äußersten Osten des asiatischen Kontinents und erstreckt sich von Sibirien bis Nordvietnam.

Sein dichter Pelz machte ihn zur begehrten Jagdbeute und zum Exportschlager: Zwischen 1928 und 1955 wurden Marderhunde innerhalb der gesamten damaligen Sowjetunion eingeführt und ausgewildert. In ihrer neuen Heimat konnten sie überraschend gut Fuß fassen, vermehrten sich stark und breiteten sich bis heute allmählich nach Westen aus. 1935 tauchten die Enoks in Finnland auf, 1943 im heutigen Tschechien, 1951 in Rumänien und 1961 in Ostdeutschland. Heute sind selbst im Donautal einzelne Tiere zu finden und der "Siegeszug" setzt sich fort. So scheint es, als würde der Marderhund nun zum Dauergast in unseren Wäldern, in Auen und an Bachufern.


Fürsorgliche Väter

Mit seinen kurzen Beinen, dem dichten langen Haarkleid und der schwarz-weißen Gesichtsmaske sieht der Enok dem Waschbären recht ähnlich. Nach der Paarung im Januar und Februar und einer Tragzeit von neun Wochen bringt das Weibchen fünf bis acht blinde Junge zur Welt. Im Hause Marderhund kümmert sich der Vater mit um den Nachwuchs. Er bewacht die Höhle und sobald die Jungen feste Nahrung zu sich nehmen können, bringt er Beute herbei. Nach zwei Wochen verlassen die Jungtiere das erste Mal den Bau; nach sechs Monaten sind sie ausgewachsen, nach zehn Monaten bereits fortpflanzungsfähig. Im nächsten Frühjahr gehen Kinder und Eltern dann getrennte Wege.

In der freien Natur hat der Marderhund ein Leben bis zu acht Jahren vor sich. Er hat dabei für einen Hundeartigen seltsame Sitten: Als ihr einziger Vertreter hält er eine Winterruhe und verbleibt - zumindest in Regionen mit ausgesprochen harten und langen Wintern - tagelang im gut ausgepolsterten Bau, nachdem er sich eine dicke Fettschicht angefressen hat. In unseren meist milden Wintern bleibt er jedoch aktiv und sucht in Baunähe nach Nahrung.


Nächtliche Streifzüge

Auf Grund seiner Lebensweise ist der Enok eher selten zu sehen. Auf feuchtem Sand, Lehm oder Schnee ist seine Spur jedoch sehr gut von Fuchs, Dachs oder Waschbär zu unterscheiden. Die Anwesenheit dieser Beutegreifer ist außerdem an ihren "Latrinen" - großen Kotplätzen - zu erkennen, die regelmäßig angelegt und besucht werden. Sie dienen unter anderem der Reviermarkierung.

In Mitteleuropa besiedelt der Marderhund vielfältige Lebensräume im Flachland und in den Mittelgebirgen. Neben landwirtschaftlich genutzten Flächen werden Gebiete bevorzugt, in denen der Enok Gewässer mit busch- oder schilfbewachsenen Ufern und nahe Laub- und Mischwälder mit dichtem Unterholz vorfindet. In verlassenen Fuchs- und Dachsbauten, hohlen Bäumen oder anderen dunklen Unterschlupfmöglichkeiten verschlafen die dämmerungs- und nachtaktiven Tiere den Tag. Nächtliche Streifzüge führen den Enok durch ein Revier von etwa 50 bis 60 Hektar, wobei die Größe des Gebietes letztendlich vom vorhandenen Nahrungsangebot bestimmt wird.

Der Marderhund ist eher Allesfresser als ein spezialisierter Räuber. Je nach Angebot ist sein Speisezettel starken saisonalen Schwankungen unterworfen, mal ernährt er sich nur von Mais und Getreide, mal frisst er vor allem Amphibien, Gelege, Insekten oder auch Regenwürmer. Aas spielt auf seinem Speisezettel ebenfalls eine wichtige Rolle.


Putzmunter trotz Bejagung

Nennenswerte Feinde sind neben dem Menschen in Deutschland nur der Uhu und das Auto, dem er grade bei der Suche nach Aas am Wegesrand leicht zum Opfer fällt. Zudem weist der Marderhund prinzipiell die gleichen Parasiten (Fuchsbandwurm) und Infektionskrankheiten (Tollwut) wie der Rotfuchs auf. Als potenzielle invasive Art wird der Marderhund scharf bejagt, jedoch konnte seine Ausbreitung dadurch nicht verlangsamt oder gar aufgehalten werden.

Der Marderhund hat sich bei uns auf Dauer eingerichtet. Naturschützer, Forscher und Jäger in den werden sein Tun und Treiben weiter wachsam begleiten. Trotz oder vielleicht gerade wegen seines breiten Nahrungsspektrums und seiner Anpassungsfähigkeit bleibt es bislang ungewiss, wie groß der Einfluss des Enoks auf die heimische Artenvielfalt ist. Sicher kann er lokal bereits stark gefährdete Arten weiter schwächen. So hat der Marderhund bereits Nester von Großtrappen, aber auch Gelege der Europäischen Sumpfschildkröte abgeräumt. Die befürchtete Verdrängung des Fuchses hingegen trat bislang nicht ein, beide leben in gleichen Revieren munter nebeneinander.


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Invasoren unter Beobachtung

Bei Tierarten, die nach 1492, also der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, vom Menschen in Gebiete außerhalb ihrer Heimat verschleppt wurden und dort über längere Zeit wild leben, sprechen Wissenschaftler von sogenannten Neozoen. Handelt es sich um Pflanzen, spricht man von Neophyten, der Oberbegriff für beide heißt Neobiota. "Invasive Arten" sind dabei solche Neobiota, die sich sehr stark ausbreiten und ein Risiko oder eine konkrete Gefahr für die heimische Tier- und Pflanzenwelt darstellen - beispielsweise dadurch, dass sie heimische Arten aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängen. Die Bundesrepublik hat sich international verpflichtet, die Ausbreitung solcher Arten zu verhindern und sich ausbreitende invasive Arten zu bekämpfen.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/09
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2009