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VIELFALT/069: Jahr der Biodiversität und des Tigers (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 155 - April/Mai 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Jahr der Biodiversität und des Tigers
Die Zerstörung der Ökosysteme und das Artensterben - die wahren Krisen unserer Zeit

Von Martin Sprenger


Was sind das doch für bewegte Zeiten, in denen wir leben? Die Wirtschaftskrise hält die Welt weiterhin im Würgegriff, EU-Mitgliedstaat Griechenland steht kurz vor dem Staatsbankrott, der Klimagipfel von Kopenhagen wird wohl als Scheitergipfel in die Geschichte eingehen, der Afghanistan-Konflikt spaltet Politik und Köpfe, US-Präsident Barack Obama bringt seine Gesundheitsreform, an der vor ihm schon sechs Präsidenten gescheitert waren, auf den Weg, und die Deutsche Bundesregierung beschließt mit ihrem Haushalt 2010 eine Rekordverschuldung von mindestens 86 Milliarden Euro.

Ganz nebenbei ist 2010 auch noch das offizielle Jahr der biologischen Vielfalt. Im Oktober findet das 10. Treffen der Vertragsstaaten (COP-10) der Biodiversitätskonvention (CBD) im japanischen Nagoya statt und droht angesichts der aktuellen Krisen regelrecht unterzugehen. Dabei sind die vom Menschen verursachte Zerstörung der natürlichen Ökosysteme, das Artensterben und der drohende Verlust der genetischen Vielfalt die eigentlichen Krisen unserer Zeit. Diese entwickeln sich zwar scheinbar unauffällig am Tellerrand des allgemeinen Unbewusstseins, sind aber im Grunde von höchster Brisanz und Wichtigkeit, auch und besonders für uns Menschen. Seit die CBD 1992 auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro verabschiedet wurde, besteht ihre Hauptaufgabe darin, die biologische Vielfalt der Erde zu erhalten und deren Nutzung effizient nachhaltig zu gestalten. Nach dem letzten Gipfeltreffen 2008 in Bonn wird in diesem Jahr Bilanz gezogen. Wurden die in den Verhandlungen beschlossenen Zielsetzungen erreicht oder nicht? Hauptziele bis 2010 waren die Schaffung eines weltweiten Netzwerkes von Schutzgebieten, ferner die Einrichtung einer Verwaltung der genetischen Vielfalt und schließlich die Klärung der Frage, ob und inwieweit die CBD als politisches Instrument sinnvoll und erfolgreich funktionieren kann. Konnte die Verlustrate der biologischen Vielfalt durch die CBD in Grenzen gehalten oder gar vermindert werden? Diese Frage wird im Mittelpunkt des alle zwei Jahre stattfindenden Gipfels stehen.

Kritiker zweifeln

Momentan sieht es jedoch nicht wirklich nach Erfolg aus. Durch die massive Abholzung der Ur- und Regenwälder wird die Rote Liste der bedrohten Tier- und Pflanzenarten immer länger, der Konsum und Lebensstandard in den westlichen Industriestaaten steigt tendenziell weiterhin an und wird oft als Hauptgrund für Umweltzerstörung und Artensterben bemüht. Viele Kritiker bezweifeln den Einfluss der CBD auf die globalen wirtschaftspolitischen Prozesse und somit die Handlungsmöglichkeiten zum Schutz der biologischen Ökosysteme, der Artenvielfalt, etc.

Ti(g)erwelt

Obwohl die Tierarten nur einen, obgleich großen Teil der biologischen Vielfalt ausmachen, wollen wir uns im weiteren Verlauf dieses Beitrags der Anschaulichkeit halber mit einem ihrer populärsten, vom Aussterben bedrohten Vertreter beschäftigen, dem Tiger.

Nach einer jährlich erscheinenden Studie der internationalen Umweltorganisation IUCN sind circa ein Drittel der 47.677 untersuchten Tierarten vom Aussterben bedroht. 875 der auf dieser so genannten "Roten Liste der gefährdeten Arten" erfassten Arten sind bereits unwiederbringlich vom Erdboden verschwunden. Als nur wenig bedroht gelten hingegen nur 19.023 Arten. Der Tiger gehört zu den derzeit meist bedrohten Tierarten weltweit. Sollte sich an dieser Stelle für den einen oder anderen etwa eine zoologische Wissenslücke auftun, sei hier eine Kurzinformation zu Panthera tigris gegeben.

Der Tiger ist die größte aller lebenden Raubkatzenarten. Typischstes Merkmal der Großkatze ist die auffällige Fellzeichnung aus schwarzen Streifen auf goldgelbem bis rotbraunem Grund.

Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Indien ostwärts bis China und Südostasien und nordwärts bis über den mächtigen Amur hinaus ins östliche Sibirien. Früher war der Tiger auch auf den Inseln Indonesiens beheimatet. Infolge von Wilderei ist er heute jedoch nur noch auf Sumatra zu finden. Man unterscheidet beim Tiger zwischen neun Unterarten, von denen drei, nämlich Bali-, Java- und kaspischer Tiger, bereits ausgestorben beziehungsweise ausgerottet sind. Aktuellen Schätzungen der internationalen Naturschutzorganisation WWF zufolge leben heute nur noch 3.200 Tiger in freier Wildbahn. Vor 100 Jahren waren es noch etwa 100.000 Tiere. Wie aber ist dieser Rückgang der Tiger-Population zu erklären? Sie werden sich doch nicht am Ende gar selbst und gegenseitig das Fell über die Ohren gezogen haben? Natürlich nicht. Wie bei vielen großen Raubtieren kennt auch der Tiger im Grunde nur einen natürlichen Feind, den Menschen. Seit langem schon zerstört er (sprich: wir) seinen Lebensraum massiv. In den letzten 150 Jahren hat sich das Habitat des Tigers auf sieben Prozent seines ursprünglichen Lebensraumes verkleinert. Forscher des Amerikanischen Instituts für Biologische Wissenschaften erklären, dass die Tiger-Gebiete allein in den letzten zehn Jahren um 41 Prozent kleiner geworden seien. Solche Zahlen dürfen jedoch keineswegs verwundern. So sind zum Beispiel in Sumatra in den vergangenen 25 Jahren 65 Prozent der zentralen Waldfläche verloren gegangen. Gemeint ist hier: gerodet und abgeholzt. Des Menschen schier unendlicher Bedarf an Holz, ferner die Akquirierung von Acker- oder Weideflächen bedrohen zunehmend den Lebensraum der Tiger und natürlich auch aller anderen Lebewesen.

Wilderei und Genitalien

Die zweite große Gefahr für den Tiger ist die Wilderei. Auf den Märkten der Welt floriert der Handel mit Tigern. Die Märkte sind schwarz, denn sowohl der Handel, als auch die Bejagung der Wildkatze ist seit 1975 offiziell verboten. Indes blüht und gedeiht das Geschäft der Wilderer prächtig. Hotspots des Handels sind Kambodscha, Indien, Thailand, Laos, Myanmar und Malaysia. Ob Fell, Krallen, Zähne, Fleisch, Organe, Knochen oder Blut, in der traditionellen asiatischen Medizin, besonders in der chinesischen (TCM) wird nahezu jedem Körperteil des Tigers eine heilende, mitunter sogar magische Wirkung zugeschrieben. Das Fleisch für mehr Vitalität, das Hirn gegen Trägheit und Pickel, das Blut für mehr Willenskraft, das Schnurrhaar gegen Zahnschmerzen,...

Pikant der Glaube, durch Verzehr des männlichen Tiger-Genitales sei die sexuelle Potenz des Menschen zu steigern. Kritiker bestreiten die wissenschaftliche Wirksamkeit vieler Behandlungsmethoden der TCM, deren Konzepte grundlegenden naturwissenschaftlichen Prinzipien widersprächen. Placeboeffekte und Aberglaube seien der Hauptgrund für eventuelle Behandlungserfolge. Nichtsdestotrotz erfreut sich die TCM besonders im asiatischen Raum größter Beliebtheit. Man mache sich jedoch die über 2000 Jahre alte Tradition dieser Medizin bewusst. Der fest verwurzelte Glaube an sie ist tief und das Tier, speziell der Tiger, gilt als probate Medizin zum Heilzweck. Klar gesagt werden muss jedoch, dass die Wilderei und die TCM zusammengenommen nicht halb so verheerend für die Tiger-Populationen sind, wie die maßlose Zerstörung der Wälder, ihrer Lebensräume.

Dieser dramatischen Entwicklung muss entschieden gegengesteuert werden, will man das drohende Aussterben dieser majestätischen Tiere verhindern. Der WWF hat sich das ehrgeizige Ziel gesteckt, die Tiger- Population bis zum nächsten Jahr des Tigers 2022 zu verdoppeln und hat zu diesem Zweck einen großangelegten Spendenaufruf gestartet. Bei gleichbleibender Tendenz des Populationsrückganges würden nämlich einige Tigerarten das Jahr 2022 nicht mehr erleben. Im Übrigen hat das chinesische Jahr des Tigers denkbar unrühmlich begonnen.

In den Zoos und Tierparks der Welt sind die Gestreiften bekanntermaßen seit eh und je populäre Dauergäste. So auch in einem chinesischen Zoo im nordöstlichen Shenyang.

Dort ließ man unlängst 11 sibirische Tiger verhungern. Aus Kostengründen hätten die Tiere über einen gewissen Zeitraum nur Hühnerknochen als Nahrung bekommen, berichtete die chinesische Zeitung "China Daily." Zudem waren die Tiere in kleinen Metallkäfi gen gehalten worden, da zwei hungrige Tiger im November des vergangenen Jahres einen Wärter angefallen und schwer verletzt hatten. Beide Tiere waren daraufhin erschossen worden.

Scheinbar reicht es uns Menschen nicht nur, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen.

Wir sind sogar mit feurigem Eifer dabei den Baum umzuhacken, an dem dieser Ast gewachsen ist.


www.biodiv-network.de
www.cbd.int/2010
www.wwf.de
www.tiger-in-gefahr.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Bald nur noch hier zu sehen? (Foto: Martin Sprenger)
Natur ist schön... (Foto: www.flickr.com-henning)


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 155, April/Mai 2010
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2010