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VÖGEL/912: Wandern im Klimawandel (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 3/2012

Wandern im Klimawandel
Manche werden profitieren, andere verlieren

von Christof Ehrentraut



Wer kennt es nicht: Da fährt man Anfang des Winters durch Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern - und sieht auf einem Feld eine Schar Kraniche. Müssten die jetzt eigentlich nicht in Afrika sein? Unwillkürlich macht sich ein Gedanke breit: Der Klimawandel ist schuld! Doch stimmt das auch?


Prof. Peter Berthold - einstiger Leiter der am Bodensee gelegenen Vogelwarte Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie - erforscht seit den 1960er Jahren das Zugverhalten von Vögeln. Geradezu berühmt sind seine Untersuchungen an der Mönchsgrasmücke, die belegen, dass die Art innerhalb kurzer Zeiträume in der Lage ist, ihr Zugverhalten zu ändern. Durch selektive Zucht gelang es Berthold und seinen Kollegen innerhalb nur weniger Generationen eine Teilpopulation herauszuzüchten, welche ihre Zugaktivität nahezu vollständig abgelegt hatte. Für die Forscher war damit der Beweis erbracht, dass das Zugverhalten genetisch gesteuert und nicht erworben ist.

Vor allem so genannte Teilzieher seien in der Lage, schnell auf veränderte Umweltbedungen zu reagieren - ihre Population besteht sowohl aus Standvögeln (im Brutgebiet überwinternd) als auch aus Zugvögeln, die regelmäßig in ihre Überwinterungsgebiete abwandern. "Inzwischen wissen wir, dass entsprechend schnelle Veränderungen des Zugverhaltens auf genetischer Basis auch in freier Natur vorkommen", erläuterte Berthold im Rahmen eines Vortrages bereits im Juni 2001. Und in der vor wenigen Monaten erschienenen 7. Auflage seines Standardwerks "Vogelzug" schreibt er: "Bis vor etwa 30 Jahren zogen diese Vögel (die Mönchsgrasmücken) ausschließlich in mediterrane, z. T. auch afrikanische Ruheziele und durchweg in südliche Richtungen. Dann wiesen - ab 1961 - zuerst wenige, bald mehr und mehr Ringfunde nach NW, und gegenwärtig überwintern bereits Tausende von mitteleuropäischen Mönchsgrasmücken auf den Britischen Inseln [...]." Berthold ist sich sicher, dass auch andere Arten als die Mönchsgrasmücke zu Ähnlichem fähig sind. Für den Fall gravierender klimatischer Veränderungen erwartet er daher bedeutsame Auswirkungen auf den Vogelzug. "Mildere Winter bedeuten zunächst für Standvögel in höheren geographischen Breiten geringere Verluste, bei günstigem Verlauf von Frühjahr und Sommer frühere und bessere Brutmöglichkeiten und damit insgesamt erhebliches Ansteigen der Populationsdichte. Entsprechendes gilt für die Standvogelfraktionen obligat (üblicherweise) teilziehender Arten. [...] Wärmeres Klima würde also in unserem Raum allgemein die Standvogelpopulationen stark anwachsen lassen, einmal bei den Jahresvögeln, dann bei den obligaten und fakultativen Teilziehern und schließlich auch in gewissem Umfang bei bisher fast ausschließlich ziehenden Arten. Ein Treibhauseffekt auf unser Klima ließe wahrscheinlich auch, zumindest eine Zeit lang, die Primärproduktion ansteigen, d.h. für Vögel wie für andere Tiere stünden mehr Nahrungspflanzen zur Verfügung, vor allem auch im Winterhalbjahr", so Berthold.

Ungünstiger fällt die Prognose für Langstreckenzieher wie den Gartenrotschwanz aus. Diese Arten könnten in ihren ursprünglichen Brutgebieten von den künftig dort wohl immer zahlreicher werdenden Standvögeln verdrängt werden. Denn wenn die Langstreckenzieher im Sommer endlich ihr Brutgebiet erreichten, könnten ihre Reviere bereits von jenen besetzt sein. Da Langstreckenzieher genetisch weit weniger variabel sind als Teilzieher, ist außerdem zu erwarten, dass sie deutlich länger brauchen werden, um sich auf veränderte Klimaveränderungen anzupassen. "Klimaerwärmung könnte somit Langstreckenzieher allmählich aus unserer Avifauna verdrängen und, da Teilzieher sich zu Standvögeln entwickeln, generell den Vogelzug in unseren Breiten stark reduzieren. Je nach Ausmaß von Klimaänderungen könnten wir damit Verhältnisse bekommen, wie sie heutzutage etwa im Mittelmeerraum herrschen", beschreibt Berthold.

Doch bei diesen Veränderungen wird es vermutlich nicht bleiben. Sich ausbreitende Wüsten und Meeresspiegelanstiege in Folge schmelzender Polkappen könnten bisherige Rast- und Brutplätze vernichten und damit kaum abschätzbare Auswirkungen auf den gesamten Vogelzug mit sich bringen. Ein deutliches Indiz für die bereits eingetretenen klimatischen Veränderungen sind die früheren Zeitpunkte, an denen viele Zugvögel bereits heute bei uns eintreffen. "Mehlschwalben kehren inzwischen durchschnittlich zehn Tage früher aus Nordafrika nach Deutschland zurück als noch vor 30 Jahren", erklärte NABU-Vogelschutzexperte Markus Nipkow gegenüber dpa. In England habe eine Studie gezeigt, dass dort bereits jede dritte Vogelart etwa neun Tage früher brüte als noch zu Beginn der 1970er Jahre.

Und die Kraniche? Günter Nowald, Leiter des Kranichinformationszentrums Groß Mohrdorf, sieht da einen deutlichen Trend. Während vor zehn Jahren die meisten der bei uns rastenden Kraniche noch etwa 2.000 Kilometer weit bis nach Spanien abzogen, reiche vielen Vögeln zum Überwintern inzwischen eine Strecke von rund 1.000 Kilometern bis nach Frankreich. Auch in Deutschland verbringen, je nach Witterung, mehrere Tausend Vögel den Winter. Ohne Anspruch auf Repräsentativität spiegeln sich Nowalds Aussagen an den beobachteten Stationen eines beringten Kranichs wieder: Im Juni 2001 bei Blumberg in der Uckermark beringt, wurde das Tier im Winter 2001/2002 zunächst im spanischen Gallocanta erfasst. Jahre später verbrachte es die Winter 2009/2010 und 2010/2011 bereits in Südfrankreich bei Arjuzanx und den Winter 2011/12 sogar in Thüringen und Brandenburg. Für den Rangsdorfer Ornithologen Bernd Ludwig, der den Kranich im Zeitraum vom 29. Januar bis 21. Februar mehrmals im Landkreis Dahme-Spree beobachtete, ist dies zumindest eine ungewöhnliche Geschichte.


BUCHTIPP
Vogelzug
Peter Berhold
7. Auflage, 2012, 280 Seiten,
primus verlag ISBN 978-3-86312-319-2
Preis: 19,90 Euro


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Etwa 1.300 Kraniche waren am 4. Februar 2012 bei Deutsch Wusterhausen zu beobachten.
- Neben zunehmend milder Winter mag auch der in den vergangenen Jahren verstärkte Maisanbau zu einem veränderten Zugverhalten der Kraniche führen.
- Teilzieher wie die Möchsgrasmücke können innerhalb weniger Generationen auf veränderte Umweltbedingungen reagieren.

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Quelle:
NATURMAGAZIN, 25. Jahrgang - Nr. 3, August bis Oktober 2012, S. 15-17
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2013