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WALDSCHADEN/002: Grüne Lunge - Waldwege zum Wasser ... (SB)


Der "Luftfluß" versiegt - Millionen Einwohner Sao Paulos bald auf dem Trockenen?

Brasilianischer Forscher sieht nachhaltig gestörtes Zusammenspiel des "grünen Ozeans" (Amazonas-Regenwald) mit dem "Gas-Ozean" (Erdatmosphäre) und dem "blauen Ozean" (Atlantik)


Im Großraum der brasilianischen Megacity Sao Paulo herrscht Wassermangel. Seit rund drei Jahren ist in dem gleichnamigen Bundesstaat zu wenig Niederschlag gefallen, die Speicherbecken waren zwischenzeitlich nahezu leer. Örtlich wird das Wasser stundenweise abgestellt, und die Behörden haben Bestimmungen zur Einschränkung des Wasserverbrauchs erlassen. Es kam schon zu ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei.


Satellitenaufnahme - Foto: NASA Earth Observatory Satellitenaufnahme - Foto: NASA Earth Observatory

Links: Das Jaguari-Reservoir, Teil des Cantareira-Systems, im August 2013. Obgleich gegen Ende der trockensten Jahreszeit ist das Reservoir einigermaßen gefüllt.
Rechts: Das Jaguari-Reservor im August 2014. An den hellen Uferbereichen ist deutlich abzulesen, daß die Wassermenge geschrumpft ist.
Foto: NASA Earth Observatory

Wie konnte es geschehen, daß in einem so regenreichen Land wie Brasilien der Wassernotstand ausbricht? Abgesehen von den offensichtlichen Unzulänglichkeiten der Behörden, die es versäumt haben, beispielsweise den Wasserverlust aufgrund undichter Leitungen nennenswert zu verringern oder zu verhindern, daß Trinkwasser verunreinigt wird, vertritt der brasilianische Wissenschaftler Antonio Donato Nobre eine Theorie zu den natürlichen - wenngleich ebenfalls von Menschen ausgelösten - Voraussetzungen der Dürre: Weil in dem mehrere tausend Kilometer weiter nördlich gelegenen Amazonasbecken großflächig tropischer Regenwald abgeholzt wurde, verringerte sich die Menge an verdunstetem Wasser. Bislang hatten jedoch stets kräftige Winde schwerbeladene Wolken aus dieser Region in den Südosten des Landes befördert, wo sie sich abregnen konnten.

War also das Cantareira-System, jenes riesige Reservoir, aus dem die Megacity Sao Paulo ihr Wasser bezieht, und das im Februar nur noch über 5 Prozent seiner ursprünglichen Füllmenge verfügte, nahezu ausgetrocknet, weil in mehreren tausend Kilometern Entfernung großflächig Bäume gefällt wurden und weiterhin werden? Für diese Annahme spricht eine Reihe von Indizien. Zwar ist das Cantareira-System inzwischen wieder zu rund 19 Prozent gefüllt, doch von diesen Monat an bis September/Oktober ist die niederschlagsarme Jahreszeit.

In den letzten 40 Jahren wurden 18 - 20 Prozent des Amazonas-Regenwalds abgeholzt. Das sind rund 763.000 km² (im Jahr 2013) und entspricht in etwa der doppelten Fläche Deutschlands oder, um einen anderen Vergleich zu bemühen, einem zwei Kilometer breiten "entwaldeten" Streifen von der Erde zum Mond. Darüber hinaus sind aber auch 29 Prozent des Walds bzw. 1,2 Mio. km² so schwer geschädigt, daß dies klimarelevant ist. Das Blattwerk der Bäume ist wesentlich kleiner, und damit bilden diese eine kleinere Verdunstungsoberfläche, so daß auch deswegen die tägliche Wolkenmenge geschrumpft ist. Das hat schwerwiegende Folgen, denn der tropische Regenwald erzeugt auf verschiedene Weise seinen Regen selbst, eben auch über die Verdunstung, schreibt Nobre in einem 42-seitigen Report mit dem Titel "The Future Climate of Amazonia - Scientific Assessment Report", der im Oktober 2014 veröffentlicht wurde. [1]

Der Umweltwissenschaftler, der am Zentrum für Erdsystemforschung (Centro de Ciência do Sistema Terrestre) des Nationalinstituts für Raumforschung (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais - INPE) und am Nationalen Amazonasforschungsinstitut (Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia - INPA) arbeitet, hat die Fachliteratur zur Bedeutung des tropischen Regenwalds als eigener "Regenmacher" ausgewertet und beruft sich unter anderem auf die Theorie der "biotischen Pumpe" des russischen Forscherteams Anastassia M. Makarieva und Victor G. Gorshkov vom Institut für Nuklearphysik in St. Petersburg. Die beiden haben zu diesem Thema seit einigen Jahren eine Reihe von Aufsätzen, teils in peer-reviewten Journalen, veröffentlicht und in der Fachwelt eine Diskussion über die Plausibilität ihres Modells ausgelöst.

Es besagt, daß, wenn Wälder zu einer kräftigen Verdunstung beitragen und dies zu einer starken Wolkenbildung und vermehrten Niederschlägen führt, der atmosphärische Druck über der Waldfläche sinkt, woraufhin im Zuge des Druckausgleichs feuchte Luftmassen vom Meer landeinwärts strömen und so das Niederschlagsregime aufrechterhalten und sogar verstärken. Ohne Waldflächen käme die Feuchtigkeit vom Meer nur einige hundert Kilometer weit landeinwärts, über einer geschlossenen Waldfläche jedoch mehrere tausend Kilometer. So könne man erklären, warum es über tropischen Regenwäldern tief im Landesinnern mitunter mehr regnet als in Küstennähe. Laut Makarieva und Gorshkov kompensieren Wälder den schwerkraftbedingten Abfluß des Wassers ins Meer und sorgen für Regen. [2]

"Die Bedeutung der Wälder für das Klima wird völlig unterschätzt. Bisher werden sie in der Klimaforschung nur als Speicher für Kohlenstoff gesehen. Wir sagen aber, dass die Wälder den regionalen Wasserkreislauf kontrollieren und auch über große Entfernungen das Wetter rund um den Globus beeinflussen", zitiert der Deutschlandfunk die Wissenschaftlerin. [3]

Dem Modell der biotischen Pumpe zufolge kehren sich die physikalischen Verhältnisse ab einer bestimmten Schwelle der Abholzung um. Dann ist die Verdunstung über dem Meer größer als über der Waldfläche und die Feuchtigkeit wandert vom Land zum Wasser ab.

Dieser Mechanismus sei eine der Voraussetzungen dafür, daß die Osthänge der Anden, von denen man eigentlich erwarten könnte, daß dort Wüsten vorherrschen, tatsächlich dicht bewaldet sind, schreibt Nobre. Der Amazonas-Regenwald sorge nicht nur dafür, daß er selbst ausreichend Nachschub an Feuchtigkeit vom Meer erhält, sondern auch, daß der Wind die feuchte Luft entlang des Gebirgszugs weiter nach Süden trägt. Davon hat der Bundesstaat Sao Paulo mit seinen 41 Mio. Einwohnern profitiert. Nimmt man noch den angrenzenden Großraum von Rio de Janeiro hinzu, der ebenfalls von der Wasserkrise betroffen ist, deren erste Anzeichen schon vor zwanzig Jahren zu beobachten waren, sind sogar 85 Millionen Einwohner betroffen.


Hügel, zur einen Hälfte dicht bewaldet, zur anderen vollständig kahl - Foto: Alex Rio Brazil, freigegeben als gemein via Wikimedia Commons

Die Erde wird "gehäutet" - Rodung des Atlantischen Regenwalds, um Lehm für den Hausbau in Barra da Tijuca zu gewinnen, 20. Mai 2009.
Foto: Alex Rio Brazil, freigegeben als gemein via Wikimedia Commons

In seinem Report über das "zukünftige Klima in Amazonien" wirft Nobre auch einen Blick auf die Atlantischen Regenwälder entlang der brasilianischen Südostküste. Diese seien bereits zu 90 Prozent abgeholzt worden. Allein dort ist die Niederschlagsmenge doppelt so groß wie in Deutschland, doch hat der Wald seine Funktion als Feuchtigkeitsspeicher eingebüßt. Das Wasser fließt ungebremst ab und reißt dabei die fruchtbare Erde mit. Bereits das hätte sich eigentlich dramatisch auf die Wasserverfügbarkeit in Bundesstaaten wie Sao Paulo auswirken müssen, wenn sich nicht immer wieder kräftige Wolkenmassen vom Amazonasbecken herangewälzt und sich dort ausgeregnet hätten.

Ein einzelner Baum mit einem Kronendurchmesser von zehn Metern kann pro Tag mehr als 1000 Liter Wasser verdunsten. Alle Bäume im Amazonasbecken zusammengenommen befördern somit täglich 20 Milliarden Tonnen, und damit 3 Milliarden Tonnen mehr, als über den mehrere Kilometer breiten Amazonas ins Meer fließen, in die Luft. Laut der Theorie von der biotischen Pumpe kommt die enorme Wassermenge, die vom Amazonas-Regenwald verdunstet wird, nur deshalb zustande, weil der Wald Feuchtigkeit vom Atlantischen Ozean anzieht.

Um soviel Wasser verdunsten zu können, werden auch gewaltige Mengen an Sonnenenergie absorbiert. Für die Verdunstung von einem Gramm Wasser sind 2,3 Kilojoule Energie erforderlich. Um 20 Milliarden Tonnen Wasser zu verdunsten, müßte das brasilianische Itaipu-Wasserkraftwerk mit seiner Leistung von 14.000 Megawatt (MW) unter Vollast 145 Jahre laufen, berichtet Nobre.

Das entspricht der Leistung von 14 Atomkraftwerken zu je 1000 MW. Da die Betriebsdauer von Kernkraftwerken bei rund 40 Jahren endet, bräuchte man die dreieinhalbfache Zahl, als rund 50 Akws, um die Energie zu produzieren, wie im Amazonas-Regenwald an einem Tag für die Verdunstung aufgewendet wird. Diese Zahlen sollen einen Eindruck davon vermitteln, welche Kräfte im Spiel sind, mit denen der Mensch meint, sorglos umgehen zu können.

Ein Quadratmeter Fläche tropischen Regenwalds entspricht rechnerisch einer Verdunstungsfläche von zehn Quadratmetern. Deshalb ist die Verdunstungsrate von Waldgebieten zehnmal höher als die des Ozeans und der Grund, warum 90 Prozent der Wasserverdunstung auf Kontinenten über die Pflanzen erfolgt. Schon aus diesen Zahlen kann man darauf schließen, daß Wälder einen sehr großen Einfluß auf Wolken, Wind, Niederschläge und die Druckverhältnisse in der Atmosphäre und damit langfristig auch auf das Klima haben, in dem sie gedeihen.

Zur Bestätigung der Theorie der biotischen Pumpe berichtet Nobre von Satellitenaufnahmen, die zeigen, daß in 60 Prozent der Tropen die Luftmassen, die über dichte Waldgebiete fließen, mindestens doppelt so viel Niederschlag produzieren wie Luftmassen über entwaldeten Gebieten. [4] Außerdem sei ebenfalls mit Hilfe von Satelliten festgestellt worden, daß während der trockenen Jahreszeit die Verdunstungsrate von Waldgebieten gleichbleibt oder sogar noch zunimmt, nicht jedoch von entwaldeten Flächen. Die Studien [5], auf die sich Nobre hier beruft, blieben allerdings in der Fachwelt nicht ohne Widerspruch. [6]

In konventionellen Modellen wird behauptet, daß bei einer völligen Entwaldung eines Kontinents dort 20 bis 30 Prozent weniger Niederschlag fällt. Makarieva und Gorshkov hingegen erklären, daß bereits kleinere Waldverluste eine Dynamik auslösen können, durch die sich die Klimaverhältnisse eines ganzen Kontinents von feucht zu trocken umwandeln. Ein Beispiel dafür seien die Sahara, die in früheren Zeiten begrünt war und jetzt eine Wüste ist. Vor einer solchen Entwicklung warnt nun auch Nobre hinsichtlich Südamerika.


Satellitenaufnahme - Foto: NASA Earth Observatory Satellitenaufnahme - Foto: NASA Earth Observatory

Links: Amazonas-Regenwald im Bundesstaat Rondonia, Westbrasilien, 30. August 2000.
Rechts: Das gleiche Gebiet, viel stärker entwaldet, am 18. August 2012.
Foto: NASA Earth Observatory

Man könnte die Vorgänge in den letzten rund 15 Jahren in Südamerika so deuten, daß der brasilianische Wissenschaftler und seine russischen Kollegen mit der Vorstellung, daß Wälder Feuchtigkeit anziehen, recht haben, bzw. umgekehrt, daß ein Waldverlust auf Regenmangel hinausläuft. Sogar im Amazonasbecken selbst kam es innerhalb weniger Jahre (2005 und 2010) zu "Jahrhundertdürren", bei denen breite Flüsse trockenfielen und entlegene Dörfer nicht mehr mit dem Boot, sondern nur noch mit dem Hubschrauber erreichbar waren. Für die Bevölkerung mußten mehrere tausend Notbrunnen gebohrt werden. Und seit zwei bis drei Jahren herrscht insbesondere im südöstlichen Bundesstaat Sao Paulo anhaltende Trockenheit.

Nach dem konventionellen meteorologischen Modell der sogenannten Hadley-Zelle steigen feucht-warme Luftmassen in den Tropen in Höhe des Äquators auf, bilden dicke Wolken, die in rund 18 Kilometer Höhe nach Norden und Süden wandern und sich beim Abstieg in den Subtropen auflösen, was dort zur Wüstenbildung führt. Typisches Beispiel ist Afrika mit der Sahara nördlich und der Kalahari südlich des äquatorialen Kongobeckens.

In Bodennähe des Äquators entsteht als Folge des Aufstiegs der Luftmassen ein Tiefdruckgebiet, das von Norden und Süden Wind "anzieht", die Passatwinde. Sie sind wegen ihrer hohen Zuverlässigkeit berühmt. Der brasilianische Bundesstaat Sao Paulo liegt auf dem gleichen Breitengrad wie die aride Kalahari und die nicht minder trockene zentralaustralische Wüste. Es wäre also eigentlich eher zu fragen, wieso dieser Teil Südamerikas bislang keine Wüste ist (im Unterschied zu einigen Landstrichen auf der Westseite der Anden, vor allem in Chile und Peru).

Sowohl mit der Theorie der biotischen Pumpe als auch mit dem klassischen Modell der Hadley-Zelle sollen prinzipielle meteorologische Vorgänge beschrieben werden und sie schließen einander nicht zwangsläufig aus. In beiden Beschreibungen wäre mit einer Verringerung der Verdunstungs- und Niederschlagsmengen zu rechnen, wenn in Amazonien großflächig Wald abgeholzt wird.


Schematische Darstellung der Erdkugel mit verschiedenen meteorologischen Zirkulationssystemen - Foto: sealevel.jpl.nasa.gov freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Globales Zirkulationsmodell der Erdatmosphäre mit Hadley-, Ferrell- und Polarzelle.
Foto: sealevel.jpl.nasa.gov, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Nobre, der ein gefragter Experte für den Amazonas-Regenwald ist, erklärt gegen Ende seines Reports: "Regenwälder sind mehr als eine Ansammlung von Bäumen, ein passives Reservoir für Biodiversität oder einfach ein Lager für Kohlenstoff. Die lebendige Technologie der Regenwälder und ihre Dynamik im Austausch mit der Umwelt verschafft ihnen einen gewissen Einfluß auf die Elemente, eine naturgegebene und belastbare Fähigkeit, das Klima aufzubereiten. Deshalb beeinflussen die Wälder das Klima in einer Weise, wie es für sie am besten ist. Sie erzeugen hierdurch Stabilität und eine angenehme Zone, einen Schutzraum, der menschliche Gesellschaften in der Lage versetzt aufzublühen."

Hier drückt sich eine Wertschätzung des Waldes aus, die unvereinbar ist mit großflächigen Waldrodungen für den Anbau von Soja, das dann als Tierfutter nach Europa verschifft wird, oder für Eukalyptus- Monokulturen zur Produktion von Treibstoff. Selbstverständlich würde es der Idee hinter der Theorie der biotischen Pumpe wie auch den Erfahrungen von Ökologen wie Nobre widersprechen, wollte man allein die großflächigen Rodungen im Amazonas-Regenwald für die Dürre in Brasilien verantwortlich machen. Sie ist aber offensichtlich daran beteiligt. Eigentlich keine komplizierte Vorstellung: Wo Wald ist, da ist auch Wasser.


Luftaufnahme von Wasserfall inmitten des hügeligen Regenwalds - Foto: Tiago Fioreze, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/] via Wikimedia Commons

Wo Wald ist, da ist auch Wasser: Caracol-Wasserfälle nahe Canela, Rio Grande do Sul, Brasilien, 2. April 2008.
Foto: Tiago Fioreze, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] Antonio Donato Nobre: "The Future Climate of Amazonia - Scientific Assessment Report", São José dos Campos SP, Brazil, October 2014.
http://www.ccst.inpe.br/wp-content/uploads/2014/11/The_Future_Climate_of_Amazonia_Report.pdf

[2] http://www.bioticregulation.ru/index.php

[3] tinyurl.com/nhfyor3

[4] D. V. Spracklen et al.: "Observations of increased tropical rainfall preceded by air passage over forests", Nature 489, 282-285 (13 September 2012)
tinyurl.com/ktnvolq

[5] A. R. Huete et al.: "Amazon rainforests green-up with sunlight in dry season", Geophys. Res. Lett. 33, L06405 (2006)
tinyurl.com/nuxgsyc
und:
S. R. Saleska et al.: "Amazon forests green-up during 2005 drought", Science 318, 612-612 (2007).
tinyurl.com/mw55qe6

[6] A. Samanta et al.: "Amazon forests did not green-up during the 2005 drought", Geophys. Res. Lett. 37, L05401 (2010)
tinyurl.com/pe95c3a

16. April 2015


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