Waldschutzgebiete - globale Zentren der Rodung
Finnische Studie deckt auf, daß die Entwaldung in geschützten und intakten Wäldern am größten ist
Wälder sind abgesehen von Meeresplankton die zweitwichtigste Quelle atmosphärischen Sauerstoffs. Dank der riesigen Oberfläche und Beschaffenheit von Blättern haben Bäume und andere Pflanzen das Vermögen, zusammengenommen große Mengen Wasser aufzuspalten und das nicht allein für Menschen existentiell wichtige Gas freizusetzen. Allein aus diesem Grund wäre es vernünftig, Wälder unter besonderen Schutz zu stellen. Die anhaltende Geschwindigkeit, mit der unverdrossen weltweit Waldflächen aus ökonomischen Gründen gerodet werden, läßt vermuten, daß dies nicht ernstgenommen wird.
Die intakten Waldlandschaften innerhalb der waldbedeckten Gebiete der
Erde (Intact Forest Landscapes, IFL) sind vollkommen unzerschnittene,
weitgehend unbewohnte, ökologisch intakte, naturgewachsene
Waldlandschaften mit einer Mindestgröße von 50.000 Hektar und einer
Mindestbreite von 10 km, die in den letzten 30 - 70 Jahren weder
forstwirtschaftlich noch anderweitig industriell genutzt wurden. Das
vom World Resources Institute entwickelte IFL-Konzept wurde u. a. von
Global Forest Watch und Greenpeace weitergeführt. Es basiert vor
allem auf der Auswertung von Satellitenbildern.
Grafik: Peter.potapov, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia
Commons
Ausgerechnet in geschützten Wäldern und intakten Waldlandschaften (Intact Forest Landscapes, IFL) kam es in den letzten Jahren zu besonders hohen Waldverlusten. Zwischen 2000 und 2012 gingen 3 Prozent der geschützten, 2,5 Prozent der intakten und 1,5 Prozent der sowohl geschützten als auch intakten Wälder weltweit verloren. Damit lag der gesamte Waldverlust in diesen Gebieten sogar noch über dem des globalen Waldrückgangs, der im gleichen Zeitraum 5 Prozent betrug. Das ergab eine aktuelle Studie der Universität von Aalto in Finnland, die im Journal PLOS ONE erschienen ist. [1]
Relativ hohe Verluste unter geschützten Wäldern verzeichneten demnach Australien, Ozeanien und Nordamerika. In der Mongolei, einigen Regionen Afrikas, Zentralasien und Europa überstiegen sogar die Verluste innerhalb geschützter Gebiete die in Wäldern, die keinem besonderen Schutz unterstanden. In Südamerika und Südostasien dagegen waren die Waldverluste rückgängig. Die Studienautoren stellten in ihrer Untersuchung einen Zusammenhang zwischen Verlusten von intakten Wäldern und einer Zunahme des Bruttosozialprodukts fest.
Würde die Geschwindigkeit, mit der Bäume gefällt werden, beibehalten, folgt daraus, daß der Waldverlust prozentual, das heißt im Verhältnis zur jedes Jahr weiter schrumpfenden Waldfläche, zunimmt. Nun wäre es zu einfach, von der finnischen Studie aus hochzurechnen und zu behaupten, daß gegen Mitte des Jahrhunderts die Hälfte der Waldfläche weltweit verlorengegangen sein wird. Die Untersuchung zeigt jedoch einen Trend auf, der offensichtlich nicht ohne weiteres zu stoppen und umzukehren ist.
Brasilien wird gern als Vorbild für den Schutz des Waldes genannt, weil es der Regierung gelungen ist, entgegen dem kommerziellen Interesse einflußreicher Kräfte (unter anderem aus dem Agrobusiness und Bergbau) einen rasanten in einen moderaten Waldverlust umzulenken. Aber selbst in diesem Vorbildstaat gegen Entwaldung werden nach wie vor mehr Bäume abgeholzt, als nachwachsen.
Die finnische Studie macht deutlich, daß "Waldschutz" nicht das gleiche bedeutet wie "Waldschutz unter allen Bedingungen". Sobald bestimmte ökonomische Interessen überwiegen, verlieren Wälder ihren Schutzstatus. Somit erweist sich Schutz als eine Art Vorratshaltung für Holz und Fläche bis zur anderweitigen Verwendung: Solange die vom Wald besetzte Fläche oder sein Holz nicht gebraucht werden, wird er bewahrt - das hat dann den Nebeneffekt, daß sich eine Regierung mit den Zahlen zum Waldschutz schmücken kann -, aber er wird gerodet, sobald andere Interessen überwiegen. Deswegen wäre ein es Irrtum, würde man allein aus dem deutlichen Zuwachs an Schutzgebieten für Wälder schließen, daß diese tatsächlich dauerhaft geschützt bleiben.
Hambacher Forst, 14. Juni 2015: Bagger fressen sich auf
Restwaldfläche zu. Die Braunkohle, mit der Profit und Staat gemacht
wird, liegt um vieles tiefer als die unterste hier zu erkennende
Schicht
Foto: © 2015 by Schattenblick
Auf der Suche nach Negativbeispielen braucht man nicht nach Lateinamerika, Asien oder Australien zu schauen. Die Deutschen schätzen ihre Wälder sehr, aber innerhalb des vermeintlich umweltbewußten Deutschlands wird in diesem Winter eine der weltweit übelsten Waldvernichtungen fortgesetzt, die Rodung des Hambacher Forsts. Dabei handelt es sich um eines der ältesten und einstmals größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands. Von ursprünglich 5.500 Hektar ist nur noch wenig erhalten geblieben, weil in rund 400 Meter Tiefe eine Schicht Braunkohle liegt, die freigelegt, abgebaggert und verfeuert werden soll. Braunkohle ist einer der Energieträger mit den meisten CO2-Emissionen. Am Ende wird der Hambacher Forst eine Restfläche von 300 Hektar einnehmen.
Daß dieser einzigartige Wald, der ursprünglich ein Bürgewald war, also zur Allmende gehörte, nicht durch die europäische FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat) geschützt wird, geht darauf zurück, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen bei den EU-Behörden keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. So hat es die Regierung vermieden, dem Abbaggern der Braunkohle eine rechtliche Hürde in den Weg zu stellen. Der Hambacher Forst ist ein typisches Beispiel dafür, wie aus Profit- und politischen Gründen ein intakter Wald vernichtet wird. Angeblich geht es der Regierung um den Schutz der Arbeitsplätze - aber was sind Arbeitsplätze wert, wenn sie dazu beitragen, daß der Mensch am eigenen Ast sägt?
Nach Angaben der finnischen Studienautoren gab es 2010 global rund 40 Millionen Quadratkilometer Wald, das entsprach 31 Prozent der globalen Landfläche. Zieht man die Aufforstungsfläche ab, so lagen die jährlichen Waldverluste zwischen 52.000 und 115.000 Quadratkilometern.
Bis zu 30 Prozent der weltweiten Rodungen gelten als illegal, was nicht bedeutet, daß sie ohne Beteiligung staatlicher Strukturen stattfanden oder nicht von Staaten geduldet werden. So berichtete aktuell der Europäische Rechnungshof, daß nach wie vor illegal geschlagenes Holz in die EU eingeführt wird. Die 2003 von der Europäischen Union beschlossene Holzverordnung zum Schutz der Wälder sei nur mangelhaft umgesetzt worden. [2]
Man kann mit einiger Berechtigung davon ausgehen, daß in den meisten Fällen ökonomische Vorteilserwägungen Haupttriebfeder der fortgesetzten Entwaldung sind und daß, solange die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung ganz wesentlich das Verhältnis des Menschen zu seiner Um- und Mitwelt bestimmt, weiter mit hohen Waldverlusten gerechnet werden muß.
Für Vertreter dieser Art wäre eine Erdatmosphäre ohne Sauerstoff kein
Problem. Desulfovibrio vulgaris ist ein sulfatreduzierendes
Bakterium, das unter anaeroben Bedingungen lebt. (Der gerade Strich
entspricht einer Länge von 5 Mikron (= 0,0005 mm)
Foto: © Graham Bradley, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia
Commons
Fußnoten:
[1] Matias Heino, Matti Kummu, Marika Makkonen, Mark Mulligan, Peter
H. Verburg, Mika Jalava, Timo A. Rasanen (2015): "Forest Loss in
Protected Areas and Intact Forest Landscapes: A Global Analysis", PLOS
ONE 10(10): e0138918.
doi:10.1371/journal.pone.0138918
[2] tinyurl.com/nsx5gr6
23. Oktober 2015
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