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BILDUNG/501: Slow Food Story - Filmdoku über die Geschichte einer Revolution durch Genuss (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 178 - Februar / März 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Slow Food Story
Die Geschichte einer Revolution durch Genuss

von Jochen Mühlbauer



Die ganze Welt ist von Fast Food-Filialen besetzt. Die ganze Welt? Nein! Eine von unbeugsamen Italienern bevölkerte kleine Stadt hört nicht auf, den erdumspannenden Burgern und ihrem Gefolge Widerstand zu leisten. Was in der kleinen Stadt Bra im Nordwesten Italiens vor 25 Jahren als fast aussichtsloser Kampf gegen Fast Food-Konzerne begann, ist heute zu einer internationalen Bewegung geworden: Slow Food. In über 150 Ländern setzt sich Slow Food mittlerweile für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln ein - in der Produktion, ebenso wie in der Zubereitung.

In dem Dokumentarfilm "Slow Food Story", der ab Mitte Februar auch auf DVD erscheint, erzählt Regisseur Stefano Sardo, wie alles begann. Es ist eine Geschichte über die Liebe zum Essen, über Freundschaft, Politik und Ideale. In ihrem Zentrum steht der charismatische Carlo Petrini: Ein unverbesserlicher Optimist, ein begnadeter Redner, ein Getriebener. Der Film nähert sich dieser Persönlichkeit über Petrinis Freunde und Weggefährten, die von der gemeinsamen Vergangenheit berichten. Die meisten, wie zum Beispiel Petrinis bester Freund Azio Citi, kennen ihn bereits aus der Schul- und Studienzeit. Schon in den 1980er Jahren kämpften sie gemeinsam für eine gerechtere Welt, organisierten Müll-Recycling-Aktionen und gründeten einen illegalen freien Radiosender: "Radio Bra Rote Welle". Und schon damals war Petrini der Visionär, der alle mitreißen konnte, sich aufopferte und rastlos arbeitete.

Die Liebe zu guten Lebensmitteln, zu regionalen Produkten und zur Kultur des Essens war bereits in der Jugendzeit Petrinis und seiner Freunde präsent. Petrinis Eltern besaßen ein Restaurant. Die Stadt Bra und die ganze Region Piemont sind berühmt für ihre gute Küche und ihren großartigen Wein. Seit den 1980er Jahren konzentrierten sich die Aktivitäten der Gruppe um Petrini mehr und mehr auf ernährungspolitische Themen, ganz besonders auf die Unterstützung regionaler landwirtschaftlicher Lebensmittel und Weine. 1984 eröffneten sie das "Boccondivino" - ein Restaurant ohne Speise- oder Weinkarte, aber mit 800 Weinen im Angebot. Nur zu bald sahen sich die Freunde in ihrem Einsatz für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln bestätigt: Mitte der 1980er Jahre erschütterte die Nachricht von mit Methanol gepanschtem Wein, der sogar Todesopfer forderte, das ganze Land. Der Skandal war für die italienischen Weinbauern eine ökonomische Katastrophe, denn viele Länder stoppen den Weinimport aus Italien.

Lebensmittelwirtschaft ein politisches Thema

Lebensmittelwirtschaft wurde zu einem drängenden politischen Thema und dass es dabei blieb, dafür sorgten auch Petrini und seine Freunde. Allerdings ohne Verbissenheit, sondern mit frechen Aktionen und kreativen Ideen. Petrini besuchte Sitzungen politischer Parteien, berichtete jedoch nicht von den Inhalten, die dort verhandelt wurden, sondern vom Essen, das serviert wurde. Ein fröhlicher, ironischer Umgang mit einem ernsten Thema. Ab 1986 schließlich bündelten sich die vielfältigen Aktionen der Gruppe in dem Verein mit dem programmatischen Namen Slow Food, der schnell zu einer internationalen Anti-Fast-Food-Bewegung anwuchs.

Mit liebevoller Sorgfalt porträtiert Regisseur Stefano Sardo die alte Garde dieser sanften Revolutionsbewegung, die mit viel Kraft und Mut seit fast 30 Jahren für einen bewussteren Umgang mit unseren Lebensmitteln und unserer Umwelt kämpft. Stefano Sardo ist selbst in der kleinen Stadt Bra aufgewachsen, von der die Slow Food-Bewegung ihren Ausgang nahm. Wohl auch deshalb gelingt ihm ein sehr persönlicher Blick hinter die Kulissen. Alte Fotos und Filmaufnahmen dokumentieren nicht nur die Vorgeschichte der Organisation. Sardo hat viele private Dokumente gefunden, sie zeigen die Freunde beim Tanzen in verrückten Kostümierungen, beim Singen, beim Kochen und natürlich: beim Essen. Sie vermitteln ein Gefühl von Lebensfreude und Lebenslust, das ansteckend ist.

"Mein Film sollte keine Momentaufnahme der Slow Food-Bewegung werden. Ich wollte eine Geschichte erzählen: die "Slow Food Story". Zum einen, weil es die Geschichte meiner Heimatstadt ist: die Geschichte der Stadt Bra, so wie ich sie als Kind in den 1970er Jahren kennengelernt habe. Zum anderen, weil die Geschichte von Slow Food auch die Geschichte meiner eigenen Familie ist. Viele Mitglieder der Familie Sardo haben für die "Slow Food-Schnecke" gearbeitet und tun es heute noch. Ich wusste, dass ich diese Geschichte aus dieser Perspektive erzählen kann. Es geht dabei vor allem um Details, die anderen vielleicht unwichtig erscheinen. Ich war in der glücklichen Position, viele Aussagen von alten Freunden Petrinis sammeln zu können, mit denen er seinen Weg gegangen ist: von der Politik zum Essen und dann zurück zur Politik durch das Essen", so Stefano Sardo.

Die Stimmen dieser Wegbegleiter Petrinis hören wir im Film und sehen ihre alten Fotografien aus der Zeit, in der noch kein Archivmaterial existierte. Später, als Slow Food sich nach und nach etablierte, wuchs auch das Material an. Von vornherein war Sardo klar, dass die Geschichte von Slow Food die Geschichte Petrinis ist. Es existiert bei ihm im Grunde keine Grenze zwischen privat und öffentlich. "Slow Food Story" ist die Geschichte seines Lebens. Ganz anders als andere Revolutionen fußt Petrinis Revolution auf dem "Recht auf Genuss" und sie ist gewaltlos. Petrini war der Erste, der verstanden hat, dass einer der entscheidenden Kämpfe unserer Zeit auf dem Gebiet der Lebensmittel ausgefochten werden würden.

"Es hat mir Spaß gemacht, diese Geschichte zu erzählen, weil sie zeigt, wie die wichtigsten kulturellen Errungenschaften einer ironischen, augenzwinkernden, genussliebenden Einstellung zum Leben entspringen können. Sie zeigt, dass es kein Pathos braucht, um sehr ernste Dinge zu erreichen. Das ist der Grund, aus dem ich den Film lebendig und unkonventionell machen wollte, auf keinen Fall übertrieben unnahbar", erklärt Sardo.

Die Stärke von "Slow Food Story" ist, dass er den Zuschauern gleichzeitig einen Blick auf das Gesamtbild der Lebensmittelwirtschaft in der Welt, insbesondere die globalen Strukturen im Bereich der Landwirtschaft und die wichtigsten ernährungspolitischen Themen der vergangenen 60 Jahre, erlaubt. Ingesamt ist es der Slow Food Bewegung zu verdanken, dass Essen zu einem der Schlüsselthemen globaler Politik geworden ist. Jetzt gibt es den dazu passenden wirklich sehenswerten Dokumentarfilm.



SLOW FOOD STORY
Ein Film von Stefano Sardo
mit Carlo Petrini und Azio Citi
Dokumentarfilm, Italien 2013, 73 Minuten
Weitere Informationen:
www.slowfoodstory.de

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 178 - Februar/März 2014, Seite 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2014