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BODEN/163: Fahrlässige Vernachlässigung - Vom Scheitern der EU-Bodenrahmenrichtlinie (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

Fahrlässige Vernachlässigung
Vom Scheitern der EU-Bodenrahmenrichtlinie

Von Markus Kutzker


Das Schutzgut Boden ist einer der wenigen europäischen Umweltbereiche, der noch nicht von der Europäischen Union reguliert wird. Ist es nicht besser den Boden zu schützen, wo er liegt - nämlich in den Mitgliedstaaten? Kann der europäische Bodenreichtum von 500 Bodenarten überhaupt sinnvoll "von oben" geschützt werden? Die Umweltverbände sagen ja. Wir brauchen einen verbindlichen EU-Bodenschutz. Die EU-Kommission muss nicht alles regeln, vieles können die Mitgliedstaaten besser machen. Boden macht jedoch nicht an der jeweiligen Staatsgrenze halt. Deshalb brauchen wir eine europäische Regelung.


Es ist ja nicht so, dass es nie Versuche für einen EU-weiten Bodenschutz gegeben hätte. Bevor die Barroso-Kommission den Richtlinienvorschlag im April 2014 zurückzog, sah es zunächst gut für den EU-Bodenschutz aus. Auf europäischer Ebene gab es erstmalig im sechsten Umweltaktionsprogramm (2001), dem Zehnjahresprogramm der EU im Umweltbereich, die Forderung nach einem systematischen Bodenschutzkonzept. Das vom Rat, Parlament und der Kommission rechtsverbindlich beschlossene Umweltaktionsprogramm hat im Bereich Boden die Vision von "gesunden natürlichen Systemen, die sich im Gleichgewicht befinden". Sie seien die Voraussetzung für Leben und Funktionieren der Gesellschaft. Der Bodenschutz sollte also Teil einer ressortübergreifenden Strategie werden. Weitere fünf Jahre vergingen, in denen die Eckpunkte für eine verbindliche Rahmenrichtlinie und eine thematische Strategie für den Bodenschutz entwickelt wurden.(1)

Die Bodenrahmenrichtlinie enthielt gute Ansätze

Der Richtlinienentwurf legte gemeinsame Grundsätze, Ziele und Maßnahmen zum Schutz des Bodens fest. Die Verschlechterung der Bodenqualität sollte zuerst bestimmt und dann bekämpft werden. Außerdem waren Vorsorgemaßnahmen geplant und das Thema sollte auch in andere Politikbereiche integriert werden. Die Mitgliedstaaten hätten im ersten Schritt den Auftrag gehabt, bedrohte Gebiete zu identifizieren, zum Beispiel bei drohender Erosion oder beim Verlust von organischem Material. Im zweiten Schritt wären Risikominderungsziele erarbeitet und Maßnahmenprogramme zur Erreichung der gemeinschaftlich festgelegten Ziele vorgelegt worden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union hätte es eine systematische Auflistung kontaminierter Standorte gegeben. Handlungsbedarf seitens der EU sollte bei den Mitgliedstaaten nur eingefordert werden, wenn diese keinen ausreichenden Bodenschutz gewährleisten könnten. Westeuropäische Länder, wie Frankreich, die Niederlande, Großbritannien oder die Bundesrepublik besaßen bereits 2006 einen nationalen Bodenschutz. Sie hätten nur geringe Anpassungen vornehmen müssen. Es waren aber genau jene Länder, die maßgeblich zum Fall der Richtlinie beigetragen haben. Besonders Deutschland hat den europäischen Bodenschutz über Jahre zurückgeworfen.

Angela Merkels mieses Vermächtnis

Im November 2007 sollten die EU-UmweltministerInnen über den Entwurf der Bodenrahmenrichtlinie entscheiden. Zuvor hatte bereits das EU-Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit für die Gesetzesinitiative gestimmt. Letztendlich scheiterte das Projekt an Angela Merkel. Sie forderte den damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf, den Gesetzesentwurf nicht zu unterzeichnen.(2) Grund für die Blockade Merkels war die Tatsache, dass sich im Bundesrat alle Bundesländer bis auf Berlin gegen die Rahmenrichtlinie ausgesprochen hatten - aus Furcht vor den damit vermeintlich verbundenen Kosten und dem bürokratischen Mehraufwand. Die Länder wiederum reagierten auf den Druck der Landwirtschaft, die generell jede zusätzliche umweltbezogene Regelung ablehnte.(3) Deutschland suchte Verbündete und fand sie in Großbritannien, das Probleme bei der Erschließung altlastenverdächtiger Flächen für die Siedlungsentwicklung befürchtete. Zusammen konnten Österreich, Frankreich und die Niederlande überzeugt werden. Österreich stimmte dagegen, weil es das vorliegende Werk als nicht streng genug empfand, der niederländische Umweltminister hatte, kurioserweise, keine Zustimmungsbefugnisse seitens der holländischen Regierung, Frankreichs Gründe blieben unbekannt.

Die Kommission gibt auf

Zudem rief der britische Premierminister David Cameron im Oktober 2013 die sogenannte Red-Tape-Initiative ins Leben, um die vermeintlich überbordende Bürokratie der EU abzubauen. Bei dieser Initiative wurde er von Lobbygruppen aus der britischen Wirtschaft unterstützt, mit dem Ziel "unreasonable cost on business" durch die EU-Gesetzgebung zu verhindern. Insbesondere im Umweltund Verbraucherschutzbereich sieht der Unternehmenszusammenschluss Hürden in der EU-Gesetzgebung für die Unternehmensexpansion. Verschiedene Vorschläge der EUKommission, wie beispielsweise die Bodenschutzrahmenrichtlinie, sollten fallen gelassen werden.(4)

Als Hebel gegen den europäischen Bodenschutz setzte die EU-Kommission das REFIT-Programm ein. REFIT steht für Regulatory Fitness and Performance Programme. Es soll Rechtsvorschriften vereinfachen und den bürokratischen Aufwand verringern. Neben der Bodenschutzrichtlinie strich die Kommission am 21. Mai 2014 noch 52 weitere Rechtsakte von ihrer Agenda, um "unnötige Bürokratie zu vermeiden".(5) Trotzdem findet sich das Thema Boden im siebten aktuellen europäischen Umweltaktionsprogramm wieder. In dieser Langfristumweltplanung (bis 2020) wird die Verschlechterung des Bodenzustands als ernsthaftes Problem bezeichnet. Es kann somit als Anker für einen zukünftigen EU-Bodenschutz dienen.

Wie geht's weiter?

Für 2015 plant die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zum Thema "Land als Ressource". Das Ergebnis der Online-Befragung soll dann in ein gleichnamiges Strategiepapier münden. Die Kommission bezieht sich hierbei auf die Leitinitiative Ressourcenschonendes Europa. Die Leitinitiative von 2011 geht von einem breiten Ressourcenansatz aus, der auch Umwelt- und Klimaschutz mit einschließt. Durch die Verringerung des Ressourcenverbrauchs, größere Ressourcensicherheit und durch den Abbau von Umweltauswirkungen der Ressourcennutzung soll die europäische Wirtschaft ressourcenschonend und kohlenstoffarm umgestellt werden. Die Strategie enthält die Vorgabe, bis 2050 netto keine Fläche mehr zu verbrauchen. Außerdem sollen als Etappenziel bis spätestens 2020 die verschiedenen EU-Politikbereiche so ausgearbeitet werden, dass auch direkte und indirekte Auswirkungen auf die Landnutzung in der EU berücksichtigt werden. Die Europäische Union nimmt zusätzlich an Verhandlungen zu den nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals) der UN teil. Eines der 17 Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele betrifft die weltweite Land- und Bodenqualität (Goal 15). Die Bodenqualität soll Ende 2015 stufenweise verbessert werden. Landdegradierung und Wüstenbildung sollen aufgehalten und umgekehrt werden. Im Rahmen der Armutsbekämpfung sieht die UN fruchtbare Böden als Garant für Lebensmittelsicherheit. Ob es bis 2030 eine Senkung der Degradationsrate von Landflächen auf null ("zero net land degradation") geben wird und ob die 17 Entwicklungsziele für Staaten bindend - verknüpft mit Sanktionsmöglichkeiten - sein werden, ist eher fraglich.

Grenzübergreifend Handeln

Europa braucht einen verbindlichen Bodenschutz. Boden degradiert in großen Maßstäben - sei es durch Wind- und Wassererosion oder sei es durch Bodenverdichtung der intensiven Landwirtschaft. Der Verlust der organischen Substanz durch eine industrielle Produktionsweise und der damit verbundene Nitrat- und Stickstoffeintrag führt zur Verschmutzung des Grundwassers. Die Verdichtung der Ackerböden durch schwere Landmaschinen verringert den Porenraum und die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu speichern: Er kann Regenwasser schlechter aufnehmen und es kommt zu Überschwemmungen und Hochwasserrisiken. Diese Prozesse geschehen über Landesgrenzen hinweg. Außerdem erbringen Böden wegen der zunehmenden Versiegelung durch Verkehrs- und Siedlungsflächen immer weniger Ökosystemleistungen.(6) Wenn Europa so weitermacht, wie bisher, ist in 100 Jahren eine Fläche so groß wie Spanien und Frankreich "verbraucht".(7)

Die beiden Umweltmedien Wasser und Luft sind eng mit dem Boden verbunden. Aber anders als bei Wasser und Luft steht die Bodennutzung immer im besonderen Spannungsfeld von Privatbesitz und öffentlichem Eigentum. Unterschiedliche Interessenskonstellationen drohen zukunftsverträgliche Entwicklungen zu blockieren. Bodenschutz muss endlich als ein verbindendes Element zwischen Ernährungssicherung, Wasser- und Energieversorgung, aber auch als Beitrag zum Klimaschutz wahrgenommen werden. Es gibt eine große Schnittmenge zwischen diesen Themen, die eine gemeinsame Bearbeitung nötig machen, sowohl inhaltlich als auch räumlich. Es sind genau die Themen, die bereits auf EU-Ebene geregelt sind - nur der Boden fehlt.


Markus Kutzker ist Referent für Europäische Umweltpolitik bei der EU-Koordination der DNR.


Internet

(1) Entwurf der Europäischen Bodenrahmenrichtlinie
www.kurzlink.de/EU-BRRL.

(2) Detlef Gerdts (2008): "Bodenschutz in der EU - Quo vadis?" der European Land and Soil Alliance (ELSA)
www.bodenbuendnis.org/fileadmin/docs/infozeitung/llsn24_01.pdf (Seite 30).

(3) www.nachhaltigkeitsrat.de/uploads/media/RNE_Stellungnahme_EU-Bodenschutzpolitik_03-04-2014.pdf

(4) kurzlink.de/COMPETE-Prinzipien.

(5) http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/12392_de.htm.

(6) http://globalsoilweek.org/wp-content/uploads/2014/11/GSW_factsheet_Sealing_de.pdf

http://ec.europa.eu/environment/soil/pdf/soil_sealing_guidelines_en.pdf (Seite 5).

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 3-4
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2015

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