Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → FAKTEN


BODEN/177: Den Boden nicht vergessen - Umwelt im Spannungsfeld der EU und ihrer Mitglieder (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2016
Völlig losgelöst
Lässt sich die EU noch demokratisieren?

Boden nicht vergessen
Umwelt im Spannungsfeld der EU und ihrer Mitglieder

Von Lavinia Roveran


Die Europäische Union (EU) steckt in der Krise - das ist allgemein bekannt. Doch was sind die Nebenwirkungen der Krise? Sie gibt den politischen EntscheidungsträgerInnen eine Ausrede, sich auf das "Wesentliche" zu konzentrieren: Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze etc. Die Umwelt bleibt meistens als Erste auf der Strecke. Daher sollte es die Politik nicht missen, sich auch in Krisenzeiten wichtigen Umweltthemen zu widmen. Der europäische Bodenschutz ist seit langer Zeit im Fokus der EU-Kommission, Verhandlungen haben bis heute jedoch noch keine Früchte getragen. Daher sollten wir selbst aktiv werden und uns für den Schutz und den Erhalt dieser lebensnotwendigen Ressource einsetzen - und zwar ganz einfach: mit einer Unterschrift.


Böden dienen als Speicher und Regler von Wasserkreisläufen, bieten Lebensgrundlage und Lebensraum für Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen und Menschen, lassen sich land- und forstwirtschaftlich nutzen, sind Rohstofflieferanten, werden zu Siedlungs- und Verkehrszwecken genutzt und sind Zeitzeugen der natürlichen Landschaftsentwicklung. Im Grunde würde Leben ohne die vielfältigen Funktionen von Böden nicht möglich sein. Dennoch steht es schlecht um das Wohlergehen der Böden: Erosion durch Wasser und Wind, Schwund der organischen Substanz, Verdichtung, Versiegelung, Kontamination, Versalzung, Wüstenbildung, Überflutungen, Erdrutsche und Verlust an biologischer Vielfalt bedrohen den Zustand der Böden und schränken die Bodenfunktionen extrem ein.

Die größte Gefahr für europäische Böden geht von der ansteigenden Verstädterung und der zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft aus. So ist auf 42 Millionen Hektar aller Flächen in Europa Winderosion zu erkennen. Mehr als ein Viertel des EU-Gebiets ist von Bodenerosion durch Wasser betroffen, was sich negativ auf die Süßwasserqualität auswirkt. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur hat der Flächenverbrauch durch Städte und Bodendegradierung in den letzten 10 Jahren zu enormen Verlusten der Bodenfunktionen geführt. Ein Drittel von Europas Landschaft sei in hohem Maße fragmentiert.(1)

Die fehlende europäische Rechtsgrundlage

Während wir in Deutschland im Vergleich ein gutes rechtliches Gerüst zum Schutz des Bodens haben, sieht das im Rest der EU etwas anders aus. Nur eine sehr begrenzte Anzahl an Mitgliedstaaten verfügt über eine umfassende Bodenschutzpolitik, die zudem häufig auf Bodenverschmutzung und Bodenversiegelung begrenzt ist. Die restlichen Mitgliedstaaten verfügen lediglich über Bodenschutzmaßnahmen in ihrer allgemeinen Umweltgesetzgebung. Laut dem Umweltjahresbericht 2015 der Europäischen Umweltagentur konnten die nationalen Gesetzgebungen zum Bodenschutz in der EU die Bodendegradierung nicht ausreichend verhindern. Zudem wird das Problem der grenzübergreifenden Bodendegradierung nicht abgedeckt.

Trotzdem gibt es keine einheitliche und umfassende Gesetzgebung zum Bodenschutz in der EU. Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Böden ist in vielen unterschiedlichen Gesetzen der Union wiederzufinden, wie etwa in den Bereichen Abfall, Biodiversität, Biokraftstoffe, Chemikalien, Klimaschutz, Naturschutz, Nitrat, Wald und Wasser. Doch diese Zerstückelung von Maßnahmen macht die Gesetzeslage im Bodenschutz intransparent und unübersichtlich.

Die EU unter Handlungsdruck

Alles deutet darauf hin, dass hier die EU den Hut aufsetzen muss und EU-weite Standards für den Bodenschutz einführen sollte. Die EU-Kommission versucht dieses Ziel schon seit vielen Jahren zu erreichen.

Schon in der thematischen Strategie für den Bodenschutz aus dem Jahr 2006(2) stellte die EU-Kommission Grundprinzipien und allgemeine Ziele für den europäischen Bodenschutz auf. 4 Säulen bestimmten die allgemeine Richtung der Strategie: rechtliche Rahmenbestimmungen, die die nachhaltige Nutzung von Böden garantieren, die Einbeziehung des Bodenschutzes in andere politische Prozesse, eine stärkere Förderung der Forschung im Bodenschutzbereich und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema. Trotz dieser umfassenden und ambitionierten Strategie ist seitdem nicht viel passiert.

Zwar verweist auch das 7. Umweltaktionsprogramm,(3) das den umweltpolitischen Rahmen der EU bis 2020 vorgibt, explizit auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen EU-weiten Bodenschutzpolitik. Der Versuch, eine Bodenrahmenrichtlinie zu verabschieden, ist an der Blockadehaltung einiger Mitgliedstaaten, unter anderem Deutschland, 2014 nach achtjährigen Verhandlungen dennoch gescheitert. Die Kommission entschied, ihren Gesetzentwurf zurückzunehmen und ist zurzeit dabei, einen neuen Entwurf zu entwickeln. Währenddessen weist die europäische Umweltagentur von einer immer schlechter werdenden Bodenqualität in Europa hin. So haben etwa von 1990 bis 2006 insgesamt 19 Mitgliedstaaten ein landwirtschaftliches Produktionspotenzial, das 6,1 Millionen Tonnen Weizen entspricht, verloren.

Momentum auf internationaler Ebene

Die Vereinten Nationen haben im September die nachhaltigen Entwicklungsziele bis zum Jahr 2030 beschlossen. Erfreulicherweise findet das Thema Bodenschutz hier mehrfach Erwähnung. Neben dem eigenen Ziel Nr. 15, Landökosysteme zu schützen und nachhaltig zu fördern, Wüstenbildung zu bekämpfen und Bodenverschlechterung umzukehren, wird der Bodenschutz in 3 weiteren der insgesamt 17 nachhaltigen Entwicklungsziele erwähnt. Bisher waren Maßnahmen und Ziele zum Bodenschutz nur spärlich in internationalen Regimen vorzufinden. Und die nachhaltigen Entwicklungsziele existieren nicht in einem luftleeren Raum. Sie müssen umgesetzt werden - sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene.

Gründe des Scheiterns

Doch warum ist es so schwierig, eine so wichtige Ressource wie den Boden nachhaltig EU-weit zu schützen? Und wie kann man aktives Agenda-Setting betreiben? Die blockierenden Mitgliedstaaten bringen als Erstes und am lautesten das Argument der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität an - 2 der wichtigsten Grundprinzipien der EU. Eine EU-weite Bodenschutzpolitik verletze diese Prinzipien und läge nicht im Aufgabenbereich der EU. Die Kommission widerlegte dieses Argument bereits in ihrer thematischen Strategie zum Bodenschutz aus dem Jahr 2006. Sie führte 4 Argumente an: Ohne eine gemeinschaftliche Bodenschutzpolitik werden andere Umweltbereiche, die ihrerseits über gemeinschaftliche Bestimmungen verfügen, beeinträchtigt. Zweitens wird die Funktion des Binnenmarktes durch ein Ungleichgewicht der Fixkosten für WirtschaftsteilnehmerInnen, die durch unterschiedliche Verpflichtungen im Bodenschutz entstehen, gestört. Drittens könnten grenzüberschreitende Auswirkungen einer verschlechterten Bodenqualität nicht verhindert werden, und viertens würde die Lebensmittelsicherheit gefährdet.

Frischer Wind

Die EU-Kommission hat im Herbst 2015 eine Expertengruppe zum Thema Bodenschutz einberufen. Sie arbeitet zurzeit hauptsächlich an einer Inventur der bestehenden Bodenschutzgesetzgebung in den Mitgliedstaaten, denn die unterschiedlichen Instrumente sind oft unübersichtlich und nicht eindeutig. Auch die Zivilgesellschaft ist in diesem Bereich aktiv. Der Deutsche Naturschutzring formulierte anlässlich des ersten Treffens der Expertengruppe der Kommission eine Reihe von Forderungen an eine EU-weite Bodenschutzpolitik. So sollte die Flächeninanspruchnahme natürlicher Böden begrenzt werden. Das Wachstum von Städten und die Intensivierung der Landwirtschaft führen zu einem Verlust nutzbarer Flächen von etwa 500 Quadratkilometern pro Jahr in Europa. Zudem sollte das Verursacherprinzip konsequent angewendet werden, so dass Bodenverunreinigung aus Bergbau, Land- und Forstwirtschaft belangt werden kann. Das Umweltbundesamt kam in einer kürzlich veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass ökologisch bewirtschaftete Böden deutlich mehr Wasser als Flächen konventioneller Betriebe speichern und daher Überschwemmungen besser vorbeugen - ein Problem, mit dem LandwirtInnen in Zeiten des Klimawandels immer mehr konfrontiert werden.

Bürgerliche Verantwortung wahrnehmen

Ebenfalls im Herbst 2015 gründete sich die People4Soil-Kamapagne(4) auf Initiative der italienischen Umweltschutzorganisation Legambiente Lombardia. Mit einer europäischen Bürgerinitiative, deren Startschuss am 22. September 2016 in Turin gelegt wurde, gibt die Kampagne europäischen BürgerInnen die Möglichkeit, sich für einen ambitionierten EU-weiten Bodenschutz einzusetzen. Die Europäische Union soll Boden als Gemeinschaftsgut anerkennen und dementsprechend einen rechtlichen Rahmen zu dessen Schutz etablieren. Die Bürgerinitiative hat nun ein Jahr Zeit, eine Million Unterschriften zu sammeln. Eine erfolgreiche EU-weite Bürgerinitiative würde den Druck auf die Mitgliedstaaten erhöhen, einer EU-weiten Bodenschutzpolitik zuzustimmen.


Autorin Lavinia Roveran ist Referentin für Europäische Umweltpolitik bei der EU-Koordination des Deutschen Naturschutzrings.


Fußnoten

(1) http://www.eea.europa.eu/soer-2015/synthesis/die-umwelt-in-europa-zustand (2) http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52006DC0231&from=EN (3) http://ec.europa.eu/environment/pubs/pdf/factsheets/7eap/de.pdf (4) http://people4soil.eu/index-de.php


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 3/2016, Seite 28-29
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang