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BUCH/682: Serge Latouche - Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 186 - Juni/Juli 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Es reicht!
Abrechnung mit dem Wachstumswahn

von Gundrun Vinzing


Gleich vorweg: dieses Buch beeindruckt sehr - wegen der Klarheit und Stringenz der Argumentation und wegen der Schönheit seines freien Geistes. Es ist ein gut lesbares Plädoyer für Suffizienz, Einfachheit und "bescheidene Fülle".

Serge Latouche ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI (Sceaux). Er ist einer der Vertreter des Konzepts von Décroissance oder, uns geläufiger, Degrowth, der Wachstumsrücknahme. Niko Paech, Autor des Buches "Befreiung vom Überfluss" schreibt in seinem Vorwort: "Wissenschaftlich analytischer Scharfsinn trifft auf eine politische Kritik, die sich nicht vor einer aufrührerischen Attitüde scheut. Theoretische und empirische, weit über den Tellerrand einzelner Disziplinen hinausreichende Beschlagenheit verbindet sich mit einer verständlichen, nicht selten sogar humorvollen Sprache. Diese Publikation ist nicht nur angesichts ihrer inhaltlichen Substanz von immenser Bedeutung, sondern weil sie die hiesige Wachstumsdebatte um erhellende Einblicke in die französische Behandlung desselben Themas bereichert".

Deutlich setzt sich Latouche von der Verwaschenheit des Begriffes nachhaltige Entwicklung ab, die er als weißen Schimmel bezeichnet und als Widerspruch in sich. Er kritisiert die Beliebigkeit, wie dessen Gebrauch allseits stattfindet. Wobei das Prinzip Verantwortung, das der Nachhaltigkeit innewohnt ebenso wie die Dauerhaftigkeit, erstrebenswerte Ziele seien. Aber wenn ein Etikett überall draufklebt, gewinnt es dadurch nicht an Glaubwürdigkeit.

Der Begriff Degrowth richtet sich gegen die Denkblockaden, "die der ökonomistische, entwicklungsfixierte und fortschrittsgläubige Totalitarismus in unseren Köpfen ausgelöst hat, und will Platz schaffen für neue Ideen und kreative Entwürfe. [ .... ] Dass am inhaltsleeren und daher ständig umdefinierten Fetischbegriff 'Entwicklung' trotz des manifesten Scheiterns der damit bezeichneten Orientierung irrational festgehalten wird, offenbart lediglich die Unfähigkeit, mit dem Ökonomismus - und schließlich auch mit dem Wachstum selbst - zu brechen."

Für Latouche ist die Kritik der Entwicklung und der Bruch mit ihr ein Schritt von geradezu weltgeschichtlicher Bedeutung, für den Norden wie für den Süden: "Wachstumsrücknahme im Süden setzt voraus, dass wir versuchen, einen 'Circulus virtuosus' in Gang zu setzen. Er lässt sich mit acht Begriffen kennzeichnen: neu bewerten, umdenken, umstrukturieren, lokalisieren, umverteilen, reduzieren, wiederverwenden, recyceln. Ist dieser 'tugendhafte Kreislauf' erst einmal in Gang gebracht, ist es möglich, die wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeit des Südens vom Norden zu beenden und an eine historische Entwicklung anzuknüpfen, die durch Kolonisation, Entwicklung und Globalisierung unterbrochen wurde. Es gilt, eine eigenständige kulturelle Identität herauszubilden, in Vergessenheit geratene landesspezifische Produkte, wieder einzuführen und die entsprechenden 'antiökonomischen' Werte zu pflegen sowie die traditionellen Techniken und Fertigkeiten neu zu entwickeln."

Der Autor plädiert nachdrücklich für einen politischen und wirtschaftlichen Mix aus Schrumpfung und Regionalisierung sowie die Übertragung aller echten Kosten auf die Verursacher "ökologischer und sozialer Funktionsstörungen": die Unternehmen.

Serge Latouche
Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn
oekom verlag, München, 2015
208 Seiten, Hartcover, gebunden, 14,95 Euro
ISBN 978-3-86581-707-5

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 186, Seite 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2015

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