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DEBATTE/009: Zukunftsfähiges Deutschland - Ansätze für eine soziale Umweltpolitik (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2008
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Umwelt und Gerechtigkeit: Immenses Potenzial
Politik muss künftig ökologisch tragfähig sein - und gerecht.
Für eine soziale Umweltpolitik gibt es viele spannende Ansätze.

Von Hubert Weiger


Der Kollaps an der Wall Street und die Krise der Finanzmärkte kamen nicht unerwartet: Seit vielen Jahren ist klar, dass wir auf Pump leben, dass keine Regeln mehr wildeste Spekulationen verhinderten, dass ganze Banken sich rein dem Investment und kurzfristigen Gewinnen verschrieben hatten. Auch bei der Ausbeutung der Natur lebt die Menschheit auf Pump. Denn die natürlichen Ressourcen sind endlich, und die Menschheit hat die Tragfähigkeit der Natur vielfach überstrapaziert. Immer sichtbarer werden ökologische Folgen wie Klimastürme, Dürren, Hungersnöte und Überschwemmungen oder der Verlust der Artenvielfalt.

Dabei ist die Nutzung der Natur - und ebenso die Belastung der Biosphäre - bekanntlich höchst ungleich verteilt. Die Industrieländer, zunehmend auch die Schwellenländer, nutzen den weitaus größten Teil, weit abgeschlagen ist die große Mehrheit der armen Länder und Menschen, Dass wir in den Industrieländern seit vielen Jahren über unsere Verhältnisse leben, wird uns drastisch bewusst in dem Moment, in dem die Schwellenländer im großen Stil nachfolgen. Schon heute stößt China mindestens so viele Klimagase aus wie die USA. Auch wenn der Verbrauch pro Kopf noch deutlich niedriger liegt - die Konsumbedürfnisse der Chinesen ändern sich: Weitreichende Folgen werden etwa der zunehmende motorisierte Individualverkehr und der wachsende Fleisch- und Milchkonsum haben. Zugleich fehlt vielen Menschen der Entwicklungsländer das Nötigste: genug zu essen, und außerdem Energie und Elektrizität sowie Rohstoffe für Transport und Maschinen.


Doppelte Gerechtigkeit

Eine zukunftsfähige Entwicklung sieht anders aus: Sie beschreibt einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und ihren Grenzen und - zugleich - eine gerechte Verteilung, die die Bedürfnisse aller Menschen weltweit berücksichtigt. Sie verlangt, global und in die Zukunft zu denken - im Sinne einer doppelten Gerechtigkeit: zwischen Nord und Süd, und zwischen uns Menschen heute und unseren Kindern und deren Kindern.

Ein krasses Bild der ungleichen Verteilung entsteht, wenn man den unterschiedlichen Ausstoß von Treibhausgasen mit seinen fatalen Klimafolgen betrachtet. Während in den USA pro Kopf fast 20 Tonnen CO2 im Jahr frei werden, sind es in Deutschland rund zehn, in einigen Entwicklungsländern aber weniger als eine Tonne. Soll sich, wie der UN-Weltklimarat fordert, die Erdatmosphäre bis 2050 um nicht mehr als zwei Grad erwärmen, dürfte der Ausstoß 2050 - im Sinne internationaler Gerechtigkeit - nur noch bei rund 1,2 Tonnen CO2 liegen. Davon sind wir in Deutschland, Europa und anderen Industrieregionen weit entfernt. Aber auch Chinas Emissionen liegen pro Kopf bereits bei rund 3,5 Tonnen - und die Wirtschaft wächst rasant.

Doch anders als die Schwellenländer tragen wir eine historische Verantwortung. Denn wir verschmutzen die Atmosphäre schon seit über einem Jahrhundert. Deutschland und andere Industrieländer stehen in der Pflicht, die Entwicklungs- und Schwellenländer wesentlich stärker finanziell darin zu unterstützen, sich klimaverträglich zu entwickeln und ein gewisses - berechtigtes - Wachstum auf der Basis erneuerbarer Energien zu erzeugen.

Kritisch ist darüber hinaus, dass wir weiter auf Kosten der Entwicklungs- und Schwellenländer wirtschaften. Beispiel Rohstoffe: Während die Entnahme von Rohstoffen in Deutschland zwischen 1994 und 2007 um ein gutes Fünftel zurückgegangen ist, stieg die Einfuhr von Rohstoffen sowie Halb- und Fertigwaren um über ein Viertel; die Importe metallischer Halb- und Fertigwaren haben sich mehr als verdoppelt. Um unsere Natur zu schonen, verlagern wir also die Belastungen durch den Abbau von Rohstoffen und ihre Weiterverarbeitung zunehmend ins Ausland.


Soziale Umweltpolitik

Auch innerhalb unseres Landes wird immer wichtiger, dass sich eine klimafreundliche Energie- und Verkehrspolitik mit mehr sozialer Gerechtigkeit vereinbaren lässt. Denn ohne größere Einschnitte wird sich der CO2-Ausstoß kaum spürbar reduzieren lassen. Und die steigenden Energiepreise - für Öl, Gas, Strom, Benzin und Diesel - werden für immer mehr Menschen zum existenziellen Problem. Der Anteil derjenigen, die als einkommensarm gelten und über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verfügen (870 Euro netto im Monat), ist zwischen 2000 und 2006 von 11,8 auf 18,3 Prozent gestiegen - das sind 14,9 Millionen Menschen. Besonders stark betroffen sind Familienhaushalte, wovon gar 26 Prozent als einkommensschwach gelten.

Aus Umweltsicht muss Energie ihren Preis haben. Dieser wird in den nächsten Jahren weiter steigen, und das Signal, das davon ausgeht, ist richtig: Der Energieverbrauch insgesamt muss sinken. Doch alle - und besonders die armen - Haushalte müssen in die Lage versetzt werden, tatsächlich Energie zu sparen. Sparsame Geräte sind oft deutlich teurer als billige Stromfresser, amortisieren sich aber erst nach einigen Jahren. Einkommensschwache Haushalte müssen daher staatlich unterstützt werden - zum Beispiel mit einer Energieberatung und Zuschüssen beim Ankauf. Mit seiner Ankündigung, schon ab November 100 bis 150 Euro für besonders effiziente Geräte zuzuschießen, ist Umweltminister Gabriel hier auf dem richtigen Weg.

Ein positives Exempel hat der BUND gemeinsam mit der Caritas Frankfurt statuiert: Seit zwei Jahren qualifiziert die Caritas Langzeitarbeitslose mit technischer Vorbildung zu Energieberatern. Diese informieren Empfänger von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II, wie sie ihre monatlichen Kosten für Strom und Wasser senken können. Ein Modell, das bundesweite Anwendung finden muss. In Berlin bietet der BUND bereits eine Energieberatung für türkische MigrantInnen an (siehe unser Interview auf der letzten Seite).(*)


Höchste Zeit für Alternativen

Doch Umwelt und Gerechtigkeit, das ist ein weites Feld; es umfasst auch die Verkehrspolitik, Bauen und Wohnen und die Stadtentwicklung. Wer genau hinschaut, erkennt ein immenses Potenzial für eine soziale Umweltpolitik und eine ökologische Sozialpolitik. Es ist höchste Zeit, dass Alternativen wie eine befristete Pendlerzulage für Geringverdiener zum Zuge kommen; dass Effizienzstandards für elektrische Geräte, für Gebäude und Fahrzeuge gesetzlich verankert werden - damit diese in größerem Stil produziert und damit bezahlbar werden; dass nicht nur Hauseigentümer die Pflicht haben, energetisch zu sanieren, sondern auch MieterInnen das Recht, sich bei fehlender Sanierung gegen überhöhte Nebenkosten zu wehren.

Langfristig aber werden wir alle um eine Änderung unseres Lebensstils nicht herumkommen. Und sie birgt große Chancen für ein Plus an Lebensqualität. Die alte Frage von Haben oder Sein erweist sich als aktueller denn je. Neben der Integration von sozialer Frage und Umweltpolitik berührt sie eine der Grundvoraussetzungen für ein Deutschland mit Zukunft.

Deshalb kommt die neue Studie zur rechten Zeit: Denn ein vertiefter gesellschaftlicher Dialog ist überfällig. Dabei müssen wir im BUND noch stärker als bisher grundsätzliche Fragen stellen - etwa indem wir die Wachstumsideologie kritisch hinterfragen und verdeutlichen, warum nachhaltige Entwicklungsziele abgeblockt und verhindert werden.

Prof. Dr. Hubert Weiger ist der Vorsitzende des BUND.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Wachsender Konsum macht nicht glücklicher - wie die (nicht in allen Jahren ermittelte) sinkende Zufriedenheit der Deutschen deutlich zeigt. [Graphik aus der Studie]


(*) Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
s.a. www.schattenblick.de -> Infopool -> Umwelt -> Fakten
VERBAND/312: Die türkischsprachige BUND-Gruppe "Yesil Cember" (BUNDmagazin)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/fakten/ufave312.html


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Quelle:
BUNDmagazin 4/2008, S. 18-19
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2009