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GESCHICHTE/022: Professor Michael Succow - Ein Kämpfer für den Naturschutz gibt Auskunft (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 159 - Dezember 2010/Januar 2011
Die Berliner Umweltzeitung

IM GESPRÄCH

Interview mit Professor Michael Succow
Ein Kämpfer für den Naturschutz gibt Auskunft


Ökologieprofessor Michael Succow ist einer der renommiertesten Wissenschaftler und Kämpfer für den Naturschutz. Seine Verdienste vor allem in Osteuropa und Asien sind von unschätzbarem Wert.

Nach seinem Biologiestudium in Greifswald wurde er nach der Wende selbst Professor an dieser Universität. Er entwickelte innovative Studiengänge wie "Landschaftsökologie und Naturschutz". Nach 1990 musste er das Kunststück vollbringen, Wissenschaft, Politik und Naturschutz unter einen Hut zu bekommen. Neben dem Bundesverdienstkreuz erhielt er 1997 den Alternativen Nobelpreis für die Ausweisung von Schutzgebieten weltweit. 1999 gründete er mit dem Preisgeld die Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur, wodurch er weitere selbstgesteckte Ziele verwirklichen konnte.

Herr Professor Succow, Sie waren in der Wendezeit stellvertretender Umweltminister der DDR. Heute gibt es in den neuen Ländern wunderschöne Landschaften und Naturschutzgebiete. Wie war die Entwicklung 1989/90?

Die Umweltbewegungen waren ja für das Ende der DDR maßgeblich mitverantwortlich, wie die Christlichen und auch Teile im Kulturbund. Es gab in der DDR ein Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, allerdings ohne Naturschutz. Außerdem gab es ein aufgeblähtes Ministerium für Landund Forstwirtschaft, beziehungsweise ein Wirtschaftsministerium, in dem nur zwei Genossen für Naturschutz zuständig waren. Eine völlig unbefriedigende Situation. Deshalb forderten die Bürgerbewegungen 1989 ein eigenes Ministerium für Naturschutz. Es gab danach viele Umweltinitiativen, zum Beispiel Staatsjagdgebiete in Nationalparke umzuwandeln oder die frei werdenden Grenzsäume dem Naturschutz zur Verfügung zu stellen und eine ökologische Orientierung der Landschaftsnutzung einzuleiten.

Wie war überhaupt die Stimmung in der Wendezeit und welche Neuerungen und Ereignisse brachte sie mit sich?

Mitte November 1989 gab es im DDRFernsehen eine erste unzensierte kritische Fernsehsendung zum Naturschutz in der DDR. Ich konnte darin meine Ängste und Hoffnungen für die Zukunft vorstellen. Das brachte Aufmerksamkeit im Westen Deutschlands. Bundesumweltminister Klaus Töpfer lud mich daraufhin Mitte Dezember nach Bonn ein. Ich sollte eine Gruppe von etwa zehn im Naturschutz der DDR wichtigen Leuten zusammenstellen, um uns mit den Spitzen der Umweltverbände der BRD auszutauschen.

Kleine Anekdote am Rande: Ich bekam sogar einen Dienstwagen vom Kulturbund gestellt. Jedoch hatte die Stasi die Reifen manipuliert, und ein Reifen nach dem anderen verlor seine Luft; ebenso der Ersatzreifen. Mit Hilfe des ADAC kamen wir schließlich um Mitternacht in Bonn an.

Wie ging es dann im staatlichen Naturschutz der DDR weiter?

Minister für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR, Hans Reichelt, trat Anfang Dezember 1989 an mich heran: das Kabinett der Modrow-Regierung könne zwar kein eigenes Ministerium für Naturschutz einrichten, aber bietet einen Stellvertreterbereich speziell für den Naturschutz im Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft an. Ich erbat mir 14 Tage Bedenkzeit. Und so fing ich am 15. Januar 1990 diese von mir als Stellvertreterbereich für Ressourcenschutz und Landnutzungsfragen benannte Funktion an.

Umweltminister Reichelt sagte bei meiner Einstellung: "Sie haben alle Freiräume, Sie müssen es besser machen! Ich habe an den Sozialismus geglaubt und mich in vielem geirrt, habe manches falsch gemacht. Wir brauchen jetzt Glaubwürdigkeit und fachliche Kompetenz". So telefonierte ich umgehend mit meinen Freunden und Weggefährten. Sie sollten zu mir ins Ministerium kommen. Für mich stand neben dem eigentlichen Naturschutz auch die Ökologisierung der Landwirtschaft im Mittelpunkt. Es war eine Aufbruchsstimmung!

Der zentrale grüne Tisch, bei dem auch die GRÜNE LIGA eine maßgebliche Rolle spielte, setzte sich ebenfalls mit allen Problemen eines gewaltigen ökologischen Nachholbedarfs auseinander. Große Erfolge des Sommers 1990 waren unter anderem: die Schließung der großen agrochemischen Zentren, der Meliorationskombinate und industrieller Massentierproduktionsanlagen. Es kam zur Gründung des "Arbeitskreises ökologischer Landbau" durch die GRÜNE LIGA.

Manches, was wir damals an ökologischem Umbau erreichen konnten, wird heute wieder zurückgefahren. Ein Beispiel hierfür ist die Wiedergeburt der industriellen Tiermast, wie zum Beispiel bei der Schweinemastanlage Hassleben, am Rande des Biosphärenreservats Schorfheide/Chorin. (siehe RABE RALF, Oktober/November 2009, S. 6/7) Das ärgert mich heute sehr!

Wie stehen Sie zum intensiv betriebenen Anbau von Energiepflanzen?

Es ist sicher richtig, dass wir auch Biomasse für die Gewinnung von Energie nutzen wollen und müssen. Wir haben ja diesbezüglich vieles an Abfall, das es zu entsorgen gilt. Wir können zudem auf Sonderstandorten eine Erzeugung von Biomasse durchaus für energetische Zwecke betreiben. Dazu dürfen wir aber keinesfalls wertvolle Ackerstandorte in Anspruch nehmen und schon gar nicht durch Energiemassebedarf Moore entwässern.

Was könnten das für Sonderstandorte sein und kann es sich um Moore handeln?

Das könnten auch wiedervernässte Moore sein. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Paludikultur, zum Beispiel Moor-Saatgrasland, das tiefentwässert, mineralisiert und degradiert zu einer gewaltigen CO2-Quelle wird. Diese Standorte mit Wasser, wenn es dann noch zur Verfügung steht, zu überfluten, macht Sinn. Hier entstehen dann zumindest phasenhafte Flachwasserstandorte, auf denen hoch produktiv Schilf beziehungsweise Erle wächst. Unterirdisch bildet sich Erlenwurzel- und Schilftorf: also CO2-Senke und Kohlenstoffspeicherung. Oberirdisch kann man ohne Schaden für das Ökosystem jeden Winter das vertrocknete Schilf beziehungsweise in entsprechend größeren Zeitabständen Erlenholz ernten. Das sind Formen einer Landschaftsnutzung, die die Funktionstüchtigkeit des Moor- Ökosystems erhält, es kommt also zu ökologischen Leistungen, wie Kohlendioxidspeicherung, Verdunstung, Kühlung und Schaffung von Lebensräumen für moorspezifische Organismen. Zudem entstehen im Biomassesektor Arbeitsplätze.

Wo sehen Sie "Stellschrauben" für eine nachhaltige Landnutzung?

Ich halte die aktuelle subventionierte Landwirtschaft für eine subventionierte Unvernunft, weil erstens damit Überproduktion erzeugt wird, die als exportierte Nahrungs- und Rohstoffe in der Dritten Welt die dortige dringend nötige Entwicklung der eigenen Landwirtschaft torpedieren, und zweitens werden bei uns mit dieser industriemäßigen Agrarnutzung alle Böden ruiniert: Humusschicht, Bodenverdichtung, verstärkte Bodenerosion und stark reduzierte Grundwasserbildung. Außerdem gibt es einen Abbau der Arbeitsplätze. Also eine Fülle an Problemen und daher kann der Weg nur sein: Wenn eine Landnutzung subventioniert wird, dann muss diese an ökologische und soziale Leistungen gebunden sein!

Also, wie viele Menschen werden pro 100 Hektar beschäftigt? Mehrt sich der Humus mit dieser Landwirtschaft oder habe ich Humusverlust? Gibt es noch den Regenwurm? Eine Landwirtschaft, die die Fruchtbarkeit erhöht und möglichst vielen Menschen Arbeit gibt, ist zu belohnen, eine zerstörerische darf nicht durch uns Steuerzahler subventioniert werden. Ökologisch orientierte Landnutzung ist der einzige zukunftsfähige Pfad im Umgang mit Landschaft.

Was passiert bei weiterhin industriemäßiger und konventioneller Landnutzung?

Ohne landschaftliche Nutzung kann der Mensch nicht existieren! Zerstört er die Landschaft, ihre Funktionstüchtigkeit, hat er auch keine Zukunft. Und deshalb kann es nur darum gehen, jetzt Formen der Landbewirtschaftung, ob im Wald, Gewässer oder auf dem Acker zu fördern, die die Funktion der Ökosysteme im Naturhaushalt erhalten. Äcker haben eben auch Grundwasser zu bilden, wenn der Regen fällt. Und dazu muss es Regenwürmer geben, die den Boden perforieren, dass der Niederschlag versickern kann. Wenn aber der Regenwurm aufgrund der chemischen und physikalischen Belastung der Ackerböden ausstirbt, hat die Natur einen starken Oberflächenabfluss verbunden mit Bodenerosionen. In den Senken sammelt sich der Mutterboden mit den Schad- und Laststoffen sowie der organischen Substanz: ein zunehmend lebensfeindlicher Raum auf diesen Intensiväckern.

Das sind Fehlentwicklungen, hier darf wohl nicht mehr von ordnungsgemäßer Landwirtschaft gesprochen werden. Wir als Steuerzahler tragen die Agrarsubventionen ebenso wie die aufwendige Aufbereitung des vergifteten Grundwassers: ein Wahnwitz! Ich sehe gerade für die Umweltverbände die dringende Ökologisierung der Landnutzung als eine der bedeutendsten Herausforderungen. Auch für die Dritte Welt ist das so wichtig, da dort durch die billigen, subventionierten Importe die lokale Wirtschaft zusammenbricht. Eine vernünftige, nachhaltige Landwirtschaft fördert auch die Biodiversität, eine gesunde Nahrung und nicht diesen Überschuss, der zur Hälfte wieder vernichtet wird. Das ist für mich vor allem in einer Demokratie schwer zu ertragen, wo es doch im Vergleich zum diktatorischen Sozialismus Regelmechanismen gibt.

In welchen Projekten und Ländern arbeiten Sie zurzeit?

Am weitesten sind wir zurzeit mit unserem Projekt in Weißrussland. Die Stiftung arbeitet in einem größeren Projekt im Rahmen der Klimainitiative, bei dem etwa 20.000 Hektar eines entwässerten Moorstandortes wiedervernässt werden. Und auch hier geht es nicht nur um die Schaffung von Lebensräumen und CO2-Senken, sondern eben auch um die Produktion von Biomasse. Das halten wir für verantwortbar und vernünftig! In der Ukraine treiben wir Ähnliches und ganz aktuell nach den vielen Moorbränden in Russland auch durch Mithilfe bei der Wiedervernässung von Mooren.

Welche Perspektiven gibt es hier bei uns?

In Deutschland könnten wir hunderttausende von Hektar Niedermooren wieder zu Feuchtgebieten entwickeln. Bei einer nassen Bewirtschaftung ergeben sich Lebensräume für Tiere und Pflanzen, Arbeitsplätze für Menschen und bedeutsame ökologische Leistungen.

Wird sich Professor Michael Succow jemals wirklich in den Ruhestand begeben und begeben können?

Jetzt noch nicht! Ich bin natürlich durchdrungen, meine Visionen umzusetzen. In der Kindheit von Kurt Kretschmann auf den Schutz der Natur geprägt, folgten dann Jahre in der Wissenschaft. Aber ich war auch immer verankert in Nichtregierungorganisationen (NGO), wie die damalige Gesellschaft "Natur und Umwelt", dann der Aufbau des gesamtdeutschen NABU. Das waren für mich ganz wichtige und entscheidende Betätigungsfelder, auch weil sie mich nicht resignieren ließen. Wichtig ist ein Zusammenhalt mit Menschen, die noch Hoffnungen haben, jungen Menschen, die Ideale in sich tragen. Mein Glück war, dass ich an der Universität Greifswald und in den NGOs umgeben war von Gleichgesinnten: Also gemeinsame Anliegen und Zuspruch, anstatt allein in einer Welt voller Wunden zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Felix Eick


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Landschaftsökologe Prof. Michael Succow
- Erhaltenes Feuchtgebiet in der Oberlausitz- Doberschützer Wasser
Prof. Succow als Leiter einer studentischen Expedition der TU-Berlin


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 159 - Dez. 2010/Jan. 2011, S. 18-19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2011