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LUFT/507: Tief durchatmen? (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2013

Tief durchatmen?
Besonders in Großstädten atmen Menschen weltweit gefährliche Schadstoffe ein. Wenn zu viel Ruß und ähnliche Partikel in der Luft schweben, greift das nicht nur die Lungen an. Immer mehr Krankheiten werden mit Feinstaub in Verbindung gebracht.

Von Joachim Wille



In den Baumärkten werden die Geräte mit Stahl- oder Speckstein-Gehäuse nach vorne gerückt. "Knisterndes Flammenspiel" und "natürliches behagliches Heizen" versprechen die Prospekte, die dazu verteilt werden. Der Winter naht, die Werbung für Kaminöfen läuft auf Hochtouren. Doch der Trend, das Wohnzimmer mit ihnen zu beheizen, hat unbeabsichtigte Folgen. Schon dass es klimafreundlich ist, Holz zu verbrennen, da dabei nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie der Baum vorher gebunden hat, gilt als umstritten. Sicher ist: Der Luft schadet es enorm. Große Mengen Feinstaub und Schadstoffe entstehen. Durch den Schornstein gelangen sie in die Umgebung.

Die Emissionen sind inzwischen beträchtlich. "Schöne grüne Wohnsiedlungen am Rande der Stadt, in die die Leute wegen der sauberen Luft und der Ruhe gezogen sind, haben plötzlich ein Feinstaub-Problem", sagt Barbara Hoffmann vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF) in Düsseldorf. 24.000 Tonnen Feinstaub produzierten Kamine, offene Feuerstätten und Holzpellets-Heizungen allein 2009. Mehrere Millionen Öfen stehen inzwischen in deutschen Haushalten. Allein einer davon, mahnt das Umweltbundesamt, produziert so viel Feinstaubmasse wie 3.500 Erdgas-Heizungen. Die Entlastung durch den Rückgang der Kohle-Öfen und -Heizungen wird dadurch mehr als kompensiert.

Feinstaub hat viele Quellen

Dreckige Luft ist kein neues Phänomen. Noch in den frühen 1990er Jahren pusteten Kohlekraftwerke ohne Schwefelfilter und Autos ohne Katalysatoren gigantische Abgasmengen in die Luft. In den Industrieländern sind klassische Schadstoffe wie Schwefeldioxid und Stickoxide inzwischen zwar stark zurückgedrängt worden. Doch "rein" ist die Luft keineswegs. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit ist inzwischen Feinstaub gerückt, verschwindend kleine Partikel in der Luft, die neben Hausbrand-Anlagen auch zahlreichen anderen Quellen entstammen: Auspuffen von Diesel-Motoren, dem Reifenabrieb auf dem Asphalt, Baustellen, Kohlekraftwerken und Industrieanlagen oder der Intensivlandwirtschaft. Auf fast 210.000 Tonnen summierten sich die Feinstaubemissionen 2011 allein in Deutschland.

Für den Menschen stellen die Partikel ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Sie können eine ganze Reihe von Krankheiten verursachen, besonders die Atemwege und das Herz-Kreislaufsystem sind betroffen. Laut Umweltbundesamt sinkt die Lebenserwartung der Europäer durch feinstaubverursachte Krankheiten, darunter Lungenkrebs, Herzinfarkte und Atemwegserkrankungen, im Schnitt um knapp ein halbes Jahr. Aktuelle Zahlen der Europäischen Umweltagentur in Kopenhagen zeigen zwar, dass die Belastung im vergangenen Jahrzehnt zurückgegangen ist. Aber immer noch atmen rund 90 Prozent der Großstadtbewohner Europas Luft, die - gemessen an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) - zu viel Feinstaub enthält.

Tödliche Luftverschmutzung

Neue Forschungen, an denen das IUF maßgeblich beteiligt war, belegen die Dringlichkeit, die Feinstaub-Emissionen deutlich stärker zu senken. Die "European Study of Cohorts for Air Pollution Effects" (ESCAPE) kam zu dem Ergebnis, dass der Staub-Cocktail in der Luft das Lungenkrebsrisiko erhöht. Vor allem aber zeigte die Studie, dass es keinen Schwellenwert gibt, ab dem seine Konzentration ungefährlich ist. "Es lohnt sich auf jedem Feinstaub-Niveau, die Belastung zu senken", kommentiert Barbara Hoffmann. "Die gegenwärtigen Grenzwerte sind ein Kompromiss - aus gesundheitlicher Sicht sind niedrigere anzustreben."

Die WHO reagierte unlängst auf die neuen Erkenntnisse: Sie stufte Luftverschmutzung als eine der Ursachen für Krebskrankheiten ein. Weltweit seien im Jahr 2010 etwa 230.000 Todesfälle durch Lungenkrebs auf Luftverschmutzung zurückzuführen, ergänzt die Internationale Agentur für Krebsforschung. Viele davon dürften auf das Konto von Feinstaub gehen.

Feinstaub ist ein Sammelbegriff für luftgetragene Partikel im Größenbereich von bis zu 10 Mikrometer. Partikel größer als 1 Mikrometer, das entspricht einem Tausendstel Millimeter, bestehen meist aus Mineralstaub, Seesalz oder sind Pollen und Sporen. Feinere Partikel wie Sulfate, Nitrate oder organischer Kohlenstoff bilden sich aus der Gasphase oder gelangen wie Rußpartikel direkt aus Verbrennungsprozessen in die Luft. Umweltbehörden ermitteln hierzulande lediglich die in Mikrogramm pro Kubikmeter Luft angegebene Massenkonzentration von Feinstaubpartikeln, die kleiner als zehn und 2,5 Mikrometer sind. Von "PM10" und "PM2,5" sprechen die Behörden. Die Forschung interessiert sich jedoch auch für sogenannten Ultrafeinstaub. Weniger als 0,1 Mikrometer messen diese Partikel, die in ihrer Massenkonzentration unbedeutend sind.

Direkt in die Blutbahn

Die Auswirkungen von PM10 und PM2,5 auf die menschliche Gesundheit sind bereits relativ gut erforscht. Anders ist es bei den ultrafeinen Partikeln (UFP), und hier liegt ein Problem: In Städten kommen vor allem Rußpartikel in dieser Größenklasse vor. "Experimente deuten darauf hin, dass insbesondere die UFP gefährlich sein können", sagt Barbara Hoffmann, die sich seit rund zehn Jahren mit dem Thema Luftverschmutzung und Feinstaub befasst. Die Rußpartikel sind so klein, dass sie von der Lunge direkt in die Blutbahn gelangen. Von dort werden sie in alle Regionen des Körpers transportiert.

Die Forscher haben mehrere Pfade identifiziert, auf denen die Partikel wirken. Einerseits lösen sie in den Lungen kleine, zunächst lokale Entzündungen aus, die auf den restlichen Körper übergreifen können. Das wiederum stört die Regulation der Blutgefäße, erhöht die Bildung von Blutgerinnseln und befeuert das Fortschreiten von Arteriosklerose. Ein zweiter Pfad beeinflusst das vegetative Nervensystem, Herzrhythmusstörungen und erhöhter Blutdruck können die Folge sein. Des Weiteren lagern sich an den Staubteilchen eine Vielzahl giftiger und krebserregender Bestandteile an. Mit den Partikeln gelangen diese direkt zu den Organen.

Inzwischen werden viele Krankheiten mit Feinstaub in Verbindung gebracht, bei denen ein Zusammenhang mit Luftschadstoffen bislang als unwahrscheinlich galt. In einer gemeinsamen Studie fanden das IUF und das Deutsche Diabetes Zentrum, das zweite Düsseldorfer Leibniz-Institut, heraus, dass eine langjährige hohe Feinstaub-Belastung das Erkrankungsrisiko für Diabetes Typ 2 signifikant erhöht. Die Forscher verknüpften dazu Daten aus einer seit 1985 laufenden Langzeituntersuchung zu den Gesundheitsfolgen von Luftverschmutzung im Ruhrgebiet mit jenen aus Luftmessstationen und Emissionskatastern. Von den 1.775 Teilnehmerinnen der Studie erkrankten 187 zwischen 1990 und 2006 an Diabetes. Bei Frauen, die in stark mit verkehrsbedingten Feinstäuben belasteten Gegenden wohnen, war das Risiko, erstmals an Diabetes Typ 2 zu erkranken, dabei deutlich erhöht.

Noch ungeklärt ist, ob sogar ein Zusammenhang zwischen Feinstaub und der Entstehung von Alzheimer besteht. Auch hierzu forscht das IUF. Die Wissenschaftler vermuten, dass die kleinen Partikel über den Nervus olfactorius, den sogenannten Riechnerv, ins Gehirn gelangen können, wo sie Entzündungsreaktionen auslösen. Entzündliche Prozesse und Infektionen gelten als eine Ursache für die neurogenerative Krankheit.

Gerade bei den ultrafeinen Partikeln ist jedoch noch Grundlagenarbeit nötig. Anders als für die gesetzlich vorgeschrieben PM10- und PM2,5-Messungen fehlt ein dichtes Messnetz, um die Langzeitbelastung durch Ultrafeinstaub zu erfassen. Gemeinsam mit dem Umweltbundesamt arbeitet das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) daran, diese Lücke zu schließen.

Dichtes Netz für feine Partikel

"Weltweit einmalig" sei das inzwischen aufgebaute Netz mit bundesweit 17 Messstationen, die von Straßenschluchten bis ins alpine Hochgebirge installiert wurden, sagt Alfred Wiedensohler, der die Abteilung "Experimentelle Aerosole und Wolkenmikrophysik" des Leipziger Instituts leitet. Wie wichtig mehr Wissen über die UFP-Belastung ist, verdeutlicht der Physiker so: "Die ultrafeinen Partikel machen in städtischen Gebieten nur wenige Prozent der Gesamtmasse des Feinstaubs aus, aber rund 90 Prozent der Anzahl der Partikel." Einzig die Feinstaub-Masse zu kennen, reicht demnach nicht aus, um die Luftqualität zu bewerten, Maßnahmen zu ihrer Verbesserung einzuleiten und einzuschätzen, wie effektiv diese sind.

Ein Beispiel hierfür sind Umweltzonen. Inzwischen haben die meisten deutschen Städte sie eingerichtet, um ältere Diesel-Fahrzeuge mit hohem Rußpartikelausstoß aus dem Verkehr zu ziehen. ADAC und Wirtschaftsverbände bezweifeln den Sinn der Maßnahme. Ihr Argument: Noch immer gäbe es zu viele Tage, an denen die Feinstaub-Grenzwerte überschritten werden. Laut Alfred Wiedensohler liegen die Kritiker jedoch falsch. Er zieht eine positive Bilanz für die Umweltzonen und verweist dabei auf die Innenstadt Leipzigs, deren Luftwerte das TROPOS genau analysierte. Die Konzentration der besonders gefährlichen Ruß-Bestandteile im Feinstaub konnte dort in den vergangenen zwei Jahren um bis zu 30 Prozent gesenkt werden. Ein bemerkenswerter Erfolg, der aus den gesetzlich vorgeschriebenen Messungen, auf die sich etwa der ADAC bezieht, jedoch nicht abgelesen werden kann, da diese nur größeren Feinstaub erfassen. Auch in anderen Städten seien solche Erfolge möglich, ist sich Wiedensohler sicher, wenn in ihren Umweltzonen nur noch Autos mit grüner Plakette zugelassen werden. "Wir müssen auf diesem Weg voran gehen und alle Quellen für toxischen Feinstaub minimieren."

Das ist freilich nicht einfach, weil viele unterschiedliche Quellen existieren. Auch der Transport von Feinstaub über große Entfernungen in der Atmosphäre zählt dazu.

Ruß aus der Ferne

"Je nach Wetterlage können mehr als zwei Drittel der Belastung in deutschen Städten aus diesem Ferntransport stammen", erklärt Alfred Wiedensohler. Besonders die Kohleverbrennung in den Öfen und Kraftwerken Osteuropas sei ein Problem. Dringend müssten schärfere Feinstaub-Limits erlassen werden, meint der Physiker. Die EU habe die Chance, doch noch Vorbild für Länder wie das smog- und feinstaubgeplagte China zu werden - wenn sie die Grenzwerte für die besonders gefährlichen Rußpartikel regulieren würde.

Und auch jeder Einzelne kann helfen, die Feinstaubemissionen zu senken. Die Besitzer qualmender Kaminöfen beispielsweise. Die Epidemiologin Barbara Hoffmann vom IUF rät diesen dringend, Hinweise des Umweltbundesamtes für ein möglichst emissionsarmes Heizen mit Holz zu beachten, also möglichst trockenes, naturbelassenes Holz zu nutzen und die Anlagen regelmäßig warten zu lassen. Filter, die den Feinstaub aus dem Abgas holen, bevor er den Schornstein verlässt, empfiehlt das UBA derzeit noch nicht. In der Praxis zeigen sie sich bisher wenig wirksam. Das Feinstaubproblem, so das UBA, können sie auf absehbare Zeit nicht lösen.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die Schattenseite des ökonomischen Aufstiegs: Smog und Feinstaub tauchen die chinesische Hafenmetropole Shanghai in dichten Dunst.

- Wärme mit Nebenwirkungen: 24.000 Tonnen Feinstaub entweichen pro Jahr aus deutschen Kaminöfen.

- Umstritten, aber erfolgreich: Umweltzonen vermindern vor allem die Rußbelastung.

- Atemnot: Über die Lunge gelangt Feinstaub in alle Organe.

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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2013, S. 10-15
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2014