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MELDUNG/074: S21-Baumfällungen waren geplanter Rechtsbruch unter Beteiligung von Landesbehörden (BUND BW)


BUND Landesverband Baden-Württemberg - 25. November 2010

S21-Baumfällungen waren geplanter Rechtsbruch unter Beteiligung von Landesbehörden


Stuttgart. Die Behörden des Landes wussten im Vorfeld darüber Bescheid, dass die Baumfällung am 1. Oktober 2010 im Stuttgarter Schlossgarten gegen Artenschutzrecht verstoßen werde. Dies ergab die Auswertung der Unterlagen des Eisenbahnbundesamtes (EBA) durch den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Landesverband Baden-Württemberg. Berthold Frieß, Landesgeschäftsführer des BUND, erklärte dazu auf der heutigen Pressekonferenz in Stuttgart: "Hier geht es mittlerweile um viel mehr als die eklatanten Verstöße gegen Artenschutzrecht. Die Bahn und das Land wollten die Baumfällungen am 1.Oktober unbedingt durchziehen, haben dabei alle rechtlichen Hindernisse ignoriert und das Wissen ihrer eigenen Behörden übergangen. Als Mittel zum Zweck wurden stattdessen Polizeibeamte eingesetzt, die mit Gewalt gegen Demonstranten einen schon vorher offensichtlichen Rechtsbruch durchsetzen mussten. Anschließend erklärte sich die Landesregierung auch noch im Eiltempo für unschuldig".

Der BUND hatte vor kurzem beim EBA Akteneinsicht genommen. "Wir haben dabei klare Beweise dafür gefunden, dass die Landesbehörden bereits deutlich vor dem 30.9. von erheblichen artenschutzrechtlichen Problemen wussten, die vor Beginn der Baumfällungen noch zu lösen waren. Dieses Wissen betraf dabei nicht nur die Arbeitsebene der Abteilungen, sondern zieht sich z.B. bis zum Vizepräsidenten des Regierungspräsidiums Stuttgart. Schriftverkehr gab es ebenso mit dem Umwelt- und Verkehrsministerium", so Frieß.

Trotz dieser Behördenkenntnisse wurde offensichtlich vom Land Baden-Württemberg der Polizeieinsatz vorbereitet, ohne das EBA auch nur ansatzweise über die beabsichtigten Baumfällungen im Auftrag der Bahn zu informieren. Wie Dr. Tobias Lieber, Rechtsbeistand des BUND, erläutert, gab es dabei vom EBA die klare Anweisung an die Bahn, vor Beginn der Baumfällungen nähere Untersuchungen zum Artenschutz vorzulegen: "Bereits am 30.04. und am 20.09. wurde die Bahn zur Vorlage artenschutzrechtlicher Untersuchungen aufgefordert. Am 29.09. und am 30.09. forderte das EBA die Bahn dann nochmals dazu auf, ihrer Pflicht zur Erstellung einer sogenannten landschaftspflegerischen Ausführungsplanung nachzukommen. Aus den Schriftwechseln geht hervor, dass diese Anforderungen auch den zuständigen Landesbehörden lange im Voraus bekannt waren, zumal die Ausführungsplanung sowieso mit ihnen hätte abgestimmt werden müssen".

Aus den vom BUND gesichteten Unterlagen ergab sich außerdem, dass die Informationen über den Zeitpunkt der Baumfällungen und den damit verbundenen Polizeieinsatz weder vom Innenministerium noch von der Polizei an die Naturschutzabteilung des RP Stuttgart oder an das EBA weitergegeben wurden. Diese waren überhaupt nicht informiert und wurden von den Ereignissen des 30.09. und 1.10. vollkommen überrascht. Somit wurde sowohl gegenüber der zuständigen Fachabteilung des Regierungspräsidiums als auch gegenüber der Planfeststellungsbehörde Geheimhaltung betrieben. Eine effektive Überwachung der Rechtmäßigkeit der Baumfällungen wurde den zuständigen Behörden unmöglich gemacht. Für Lieber steht damit fest: "Die Landesregierung hat das Wissen ihrer eigenen Behörde entweder bewusst ignoriert, oder aber durch die heimliche Vorbereitung des Polizeieinsatzes ausgeschlossen."

Der BUND sieht die jüngsten Erkenntnisse als deutlichen Beweis dafür, dass der Skandal um die Baumfällungen noch größer ist als gedacht. Die Umweltschützer hoffen nun, dass wenigstens im parlamentarischen Untersuchungsausschuss und im laufenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Fakten auf den Tisch kommen. Aus der Akteneinsicht ging außerdem hervor, dass sich mittlerweile auch die EU-Kommission eingeschaltet hat: das Bundesumweltministerium wurde aufgefordert, zu Fragen der möglichen Verletzung des Europäischen Artenschutzrechtes rund um das Projekt S21 Stellung zu nehmen. Die Fragen wurden bereits weitergereicht an das Land Baden-Württemberg. Dort dürfte man sich mit den Antworten schwer tun - zumindest wenn sie wahrheitsgemäß beantwortet werden sollen.


Zum Hintergrund:

Der BUND hatte sich selbst am 30.09. an das Verwaltungsgericht gewandt, um mithilfe eines Eilantrages die Fällung der Bäume zu verhindern. Der zuständige Richter erkundigte sich noch am selben Tag beim EBA und beim RP Stuttgart nach dem Sachstand. Beide Behörden verschwiegen ihm daraufhin, dass ihrerseits artenschutzrechtliche Bedenken bestanden und eine entsprechende Aufforderung zur Vorlage der Ausführungsplanung an die Bahn erfolgt war. Laut offizieller Aussage des Gerichtes hätte es dem Eilantrag des BUND ansonsten "mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vor Beginn der Baumfällarbeiten stattgegeben". Der Polizeieinsatz am 30.09. hätte sich dann nicht nur als unverhältnismäßig, sondern auch als völlig unnötig erwiesen.


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Quelle:
Presseinformation, 25. November 2010
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010