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STADT/184: Berlin - Asozialer Feudal-Park für das Gleisdreieck (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 149 - April/Mai 09
Die Berliner Umweltzeitung

Generalangriff auf die wilde Natur

Asozialer Feudal-Park für das Gleisdreieck - Bürgerbeteiligung vollständig gescheitert

Von Elisabeth Meyer-Renschhausen


Derzeit werden in Berlin in unglaublicher Weise Gelder, die für "Ausgleichs-Grün" vorgesehen sind, in eine Art Generalangriff auf die wilde Natur umgemünzt - und das unter einer rot-roten Regierung. Ausgleichsgrün, das sind neue Grünanlagen, die entstehen sollen, weil an anderer Stelle "hochverdichtet" neu gebaut wird. Stattdessen geht das Geld an Baufirmen.

Wie das aussieht, kann man sich am Beispiel des Tiergartens (und anderer Parks) klarmachen, wo in diesen Tagen großes "Kriegsgerät", Planierraupen, unter den Bäumen jegliches Gesträuch und Gebüsch entfernen. So werden Schutz und Schonraum für Singvögel, Haselmaus, Igel oder Hasen systematisch zerstört. Dazu werden überdimensional breite Wege angelegt. Nicht etwa aus Waldboden, sondern gepflastert oder mit "wassergebundenen Decken". Beide Wegearten machen aus dem Parkspaziergang ein wenig erholsames "Pflastertreten".

Die überbreiten und meistens schnurgeraden Wege werden angeblich in Rekonstruktion einer historischen Gestaltung so angelegt. Alle Blicke auf die Luftaufnahmen vom Tiergarten und seiner Umgebung in historischen Zeiten, die in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in einer Ausstellung zur Entwicklung von Berlins Mitte im Haus Am Köllnischen Park zu sehen sind, zeigen, dass das falsch ist.

Hier werden Grün-Ausgleichsgelder der Bauindustrie zugeschanzt, statt für die Bürger grüne Erholungsflächen anzulegen. Das wäre auch im Sinne des Agenda-21-Prozesses, bei dem sich die Stadt verpflichtet hat, sich für vermehrten Umweltschutz zugunsten des Klimas einzusetzen. Diese Parkgestaltung folgt der derzeitigen Mode, die vor allem auf "Transparenz" setzt. Nebeneffekt sind "pflegeleichte" Parks, für die kein festangestellter Gärtner mehr nötig ist.


Neoliberalismus als Parkgestalter

Diese "transparenten" Parks transportieren auf symbolischer Ebene die noch immer vorherrschende neoliberale Ideologie. Neoliberalismus bedeutet bekanntlich ein Auseinanderdriften der Einkommensschere: einige wenige werden reich und superreich, während zweidrittel der Bevölkerung verlieren und viele drastisch verarmen. Die Reichen wissen, dass dieser Prozess nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie bekommen Angst vor Rache. Um die zu bannen, schüren sie eine allgemeine Angst vor Drogenkriminalität und Terroristen.

Die daraus entstehende Angst vorm "schwarzen Mann" hinter jedem Parkbusch führt derzeit zur Vernichtung von jeglichem wild wachsenden Gebüsch in der Stadt, obwohl Singvögel und Igel auf Büsche angewiesen sind. Und ohne Rücksicht darauf, dass auch die allermeisten Menschen lieber auf buschgesäumten Wegen flanieren, wo sie vor all zu vielen neugierigen Blicken von anderen geschützt sind.

Will hier eventuell die kleine Minderheit der noch versicherungspflichtig Beschäftigten, wollen die Amtsinhaber dem restlichen Volk zeigen, wer das Sagen hat? Denn "das Volk" besteht in Berlin (wie das Buch "Die Globalisierungsfalle" voraussagte) schon jetzt zu zwei Dritteln aus Erwerbslosen und sogenannten Freiberuflern - solchen, die von durchschnittlichen Jahresverdiensten von eher unter als über 10.000 Euro im Jahr leben müssen. Diesem Volk wird mit dem derzeitigen Verhalten des Senats der Bürgerstatus aberkannt. In den Plänen der Parkgestalter tauchen sie bestenfalls als entmündigte Verbraucher auf.


Gleisdreieck: Ein einzigartiges Biotop ...

Ein besonders unglückliches Beispiel dafür ist das Gelände des Berliner Gleisdreiecks südöstlich vom Potsdamer Platz. Hier setzten sich wechselnde Bürgerinitiativen seit über 30 Jahren dafür ein, dass dieses Gelände ein grünes Erholungsgebiet wird. Nachdem die Bahn als Grundstückseigner das Land Berlin 20 Jahre lang hingehalten hat, weil sie das Grundstück lieber als Bauland verkaufen will, sollen nun knappe 16 Hektar doch endlich zum Park werden.

Aber der Reihe nach: Nach Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin mussten die Bebauer des Potsdamer Platzes 24 Millionen Euro für ökologische Ausgleichsmaßnahmen hinterlegen. Dafür soll das Gelände des sogenannten Gleisdreiecks zu einem Park umgestaltet werden. Warum?

Die 35 Hektar große Berliner Eisenbahnbrache "Gleisdreieck" entstand auf der Fläche dreier ehemaliger Bahnhöfe, von denen der bekannteste der Anhalter Bahnhof war. Seinen Namen hat das Gleisdreieck von einer oberirdischen U-Bahn-Gabelung über den Güterbahnhöfen, die 1908 nach einem Unfall zu einer Kreuzung wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das Gelände in Vergessenheit und verwilderte, weil die Flächen in Westberlin lagen und Eigentum der DDR-Reichsbahn waren. Es entstand nach und nach eine wild wuchernde "Spontanbegrünung", indem sich "Trümmergrün" (Planersprache: "Ruderalgrün") ansiedelte und sich über den allmählich unsichtbar werdenden Schienen zu kleinen Wäldchen verwuchs. Ganze Wälder von Fliederbüschen quellen jeden Mai über die Ränder bis hinunter in die abgasvernebelte Straßenschlucht unter den Yorckbrücken. Mitten in der Stadt Berlin war ein einzigartiges Biotop entstanden, das zahlreichen Singvögeln, Igeln und sogar einigen Mardern und Füchsen eine neue Heimat wurde. Dort, wo die Menschen im Sommer unter drückender Hitze und schlechter Luft besonders zu leiden hatten, fächelten ihnen wild gewachsene Birken, Robinien und Weichselkirschen wie aus einer anderen Welt wundersame Wohlgerüche und Kühle zu. Diese wild gewachsene grüne Lunge zu erhalten und der Ö ffentlichkeit für Spaziergänge zugänglich zu machen, dafür hatten sich in über 30jährigem Engagement zahlreiche Bürgerinitiativen eingesetzt, von der BI Westtangente bis zur Parkgenossenschaft Gleisdreieck.


...wird rücksichtslos zerstört

Stattdessen wird nun im Zuge der Parkbauarbeiten von der Senatsverwaltung beziehungsweise der senatseigenen Firma GrünBerlin fast der ganze bisherige Bewuchs systematisch zerstört. öoebrig blieb kaum noch ein Baum oder Strauch. Bereits 229 Bäume mit einem Stammdurchmesser von über 30 cm wurden gefällt, ebenso wie ungezählte jüngere Bäume. Weitere Baumfällungen sollen folgen. Das meiste Buschwerk samt Magerrasenwiesen wurde vernichtet. Sämtliche von den Bürgern aus eigener Tasche in vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit angelegten Beete der Community Gardens samt Ausstellungsschildern zur Migration unserer Kulturpflanzen vom Ökowerk e.V. wurden zerstört. Eine Teilgruppe der Interkulturellen Gärten auf dem Gleisdreieck, die Gruppe des Gartens "Rosenduft" vom Verein Südosteuropa Kultur e.V. musste sich, um überleben zu können, in eine kleine Ecke nahe der lauten und giftigen Yorckstraße abschieben lassen.

Das sei erstaunlich, behauptet da die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der Park würde mit einer in diesem Umfang noch nie da gewesenen Bürgerbeteiligung angelegt. Tatsächlich durften die beteiligten Bürgerinitiativen sechs Bürgervertreter/-innen in eine "Projektbegleitende Arbeitsgruppe" für die Parkplanung entsenden. An dieser Arbeitsgruppe nehmen Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, des Bezirks Friedrichhain-Kreuzberg, der Parkbaufirma GrünBerlin, des Planerbüros Loidl sowie der Bürgerinitiativen teil. Aber in dieser "Projektbegleitenden Arbeitsgruppe" wird die Parkgestaltung nicht besprochen. Stattdessen werden die Bürgervertreter/-innen dort regelmäßig vor vollendete Tatsachen gestellt.


Entsetzen bei den Bürgervertretern

Derzeit sind sie entsetzt, dass entlang der viel befahrenen Möckernstraße eine sogenannte Promenade entstehen soll. Eine 5.000 Quadratmeter große Fläche soll mit einer wassergebundenen Oberfläche versehen werden, auf der Bäume in militärischer Formation ohne Baumscheiben stehen sollen. Für die Bürgervertreter ist das eine Horrorvorstellung, denn dieser tote Boden wird künftig keinem Käfer und keiner Schmetterlingsraupe einen Lebensraum zu bieten. Zudem soll ein sechs (!) Meter breiter versiegelter Weg an dieser sogenannten Möckernpromenade entlangführen. Die Bürgervertreter sind empört, dass eine dermaßen große Fläche für eine naturschutzrechtliche Ersatz- und Ausgleichsmaßnahme versiegelt werden soll.

Momentan sieht das ehedem so verwunschen-schöne Gelände über weite Strecken wie eine Wüste aus. Die jetzige Art, wie dieser Park angelegt wird, folgt in keiner Weise den Anforderungen des Agenda-21-Prozesses und ist auch unökonomisch. Für neue Bäume fehlt schon jetzt das Geld. Neu gesetzte Bäume müssen etwa sechs Jahre lang regelmäßig gewässert werden, um wachsen zu können, in dieser "Trockensteppe" - das Gelände ist eine reine Bauschuttaufschüttung. Die Bezirksämter haben in ihren Kassen jedoch nur noch so wenig Geld für die Pflege öffentlichen Grüns, dass anzunehmen ist, dass die neuen Bäume größtenteils eingehen werden. Zudem wird brutal ignoriert, dass Bäume nahezu 20 Jahre brauchen, bevor sie in den überheißen Berliner Sommern ernstzunehmende Schattenspender sein werden. Sie brauchen etwa 60 Jahre, bis sie ähnlich viele Abgase aus der viel befahrenen Yorckstraße wegfiltern können wie die jetzt weggeschlagenen Bäume.


Der Absolutismus kehrt zurück

Hier findet offenbar eine alles andere als nachhaltige Verwendung von Ausgleichsgrün-Geldern statt. Die Gelder wurden und werden für Wettbewerb, Planerhonorare, Baumaßnahmen und Baumfällungen ausgegeben statt für eine behutsame Umwandlung des wilden Grüns in einen öffentlichen Wildnis-Park. Jedermann weiß, dass es das wilde Grün ist, das wir Städter schmerzlich entbehren. Jeder weiß, dass das spontan gewachsene Grün uns tröstet, die Phantasie anregt und die Gedankenblitze schießen lässt. Es ist kein Zufall, dass es die Französische Revolution war, die damals eine Abkehr von den militärisch gezirkelten Gärten der Feudalzeit vollzog. Heute kehren die militärisch in Reih und Glied gepflanzten Bäume zurück, offenbar um den Millionären aus dem Hotel Hyatt symbolisieren zu sollen: Ja, ihr Superreichen habt die alleinige Macht. Das Feudalzeitalter ist zurück. Die Bahn, Sony, Monsanto und die "verstaatlichten" Banken dürfen machen, was sie wollen. So werden die Bedürfnisse der Bürger der Idee eines "repräsentativen Parks" geopfert, mit dem sich einige Planer selbst ein Denkmal setzen wollen, statt auf ihre Mitbürger zu hören.

Während der Senat 5.000 Quadratmeter des Gleisdreieckgeländes für halbtote Bäume und noch einmal 5.000 Quadratmeter für "Stadthaine" und überbreite Wege reserviert, erhielten die Gärtner/-innen der europaweit bewunderten und viel besuchten Interkulturellen Gärten nur 600 Quadratmeter. Andere Bürgerinitiativen erhielten gar nichts, während die Kleingärten noch immer in Gefahr sind, ganz zu verschwinden. Sie sollen Sportflächen geopfert werden, obwohl Sportflächen heute eine "Versiegelung" des Bodens bedeuten, bei der noch nicht einmal das Regenwasser in den Boden sickern kann. Das Abholzen der Kleingärten würde den Tod 40jähriger Apfelbäume bedeuten, samt ihren Verstecken und Behausungen für Spatz, Fink und Star sowie Meise, Igel, Fuchs und Haselmaus, also dem, was man heute Biodiversität nennt.


Auflösung der Parkgenossenschaft

Die Parkgenossenschaft Gleisdreieck hat daher ihre Auflösung beschlossen. In diesem undemokratisch und phantasielos gestalteten Park wird sie keine ehrenamtliche Pflege übernehmen. Die Verwaltung weiß offenbar nicht, was Bürgerbeteiligung ist. Sinnvoll wäre ein Runder Tisch gewesen statt eines Fragebogen-Dialogs mit fiktiven künftigen Parknutzern, die höchstens durch den Einsatz von bezahlten Sozialarbeiter/-innen zur ehrenamtlichen Parkpflege motiviert werden können. Die "schweigende Mehrheit" gegen die angeblich "elitären" Aktiven auszuspielen, ist eine Form, die Demokratie zu zerstören. Geschehen in einem rot-rot regierten Berlin, mit rot-grün regierten Bezirken.

Hauptursache für das Desaster ist die Hinhaltepolitik der Bahn, die sich im Auftrag des Bundestages als Bodenspekulant benahm. Zweite Ursache ist die zu große Summe der Ausgleichsgrün-Gelder, die hier zerstörerisch wirkt. Letzte Ursache ist die Phantasielosigkeit der Verwaltung, die nicht versteht, dass im Sinne der Nachhaltigkeit Ausgleichsgrün-Gelder heutzutage an die Bezirke zur Parkpflege übergeben werden müssen. Außerdem kam man in den Verwaltungen nie auf die Idee, dass man Bürgerinitiativen, denen man eine Daueraktivität über 20 Jahre und länger zumutet, nur erhalten kann, wenn man ihnen Büros und schließlich auch einige bezahlte Koordinatoren zugesteht. Es steht nirgends geschrieben, dass Ausgleichsgrün-Gelder nicht auch dafür verwandt werden dürften.

http://www.grueneliga-berlin.de/rabe_ralf/rabe_archiv_2009/04_05_2009/17_04_05_2009.html


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 149, April/Mai 09
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2009