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STADT/265: "Zukunft Landwehrkanal" - Erfolgsmodell oder doch Greenwashing? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 156 - Juni/Juli 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Erfolgsmodell oder doch Greenwashing?
Das Berliner Konfliktschlichtungsverfahren "Zukunft Landwehrkanal"

Von Anuschka Guttzeit


Die Bürgerinitiative (BI) "Bäume am Landwehrkanal" gründete sich 2007 aus Protest gegen unnötige Baumfällungen am Kanalufer. Ihr Engagement führte zur Initiierung eines der größten deutschen Mediationsverfahrens durch die Bundesbehörde Wasserschifffahrtsamt (WSA). Das Verfahren "Zukunft Landwehrkanal" dauert bis heute an. Wegen angeblich "mangelnder Standsicherheit" holzte das WSA 38 Bäume, die auf maroden Ufermauern standen, ab. Die BI forderte von Anfang an, die Ufermauern durch Spundwände zu stabilisieren anstatt unnötig Bäume zu fällen. Bei der vom WSA vorgesehenen Sanierungsart für den Landwehrkanal wären alle Bäume, die innerhalb von etwa drei Metern Abstand zu den Ufermauern stehen, gefällt worden.

Das WSA hatte sich Jahrzehnte lang nicht um die nötige Wartung und Sanierung der Ufermauern gekümmert. Der Landwehrkanal fließt durch fünf Berliner Bezirke und ist 11,4 Kilometer lang. Verursacht wurden die Schäden an den Ufermauern auch durch die erhebliche Zunahme des motorisierten Fahrgastschiffverkehrs. Die Schiffsschrauben der vielen riesigen, mit Dieselmotoren betriebenen Fahrgastschiffe, die auf dem alten, schmalen Kanal fahren dürfen, verwirbeln das Wasser und unterspülen die Ufermauern.

Ökologisch betrachtet ist das Gebiet als Kaltluftschneise und "grüne Lunge" sehr wichtig für das Stadtklima. Es ist wegen der Klimaerwärmung und der längeren gesundheitsschädigenden Hitzeperioden, die unter anderem der Deutsche Wetterdienst insbesondere für dicht bebaute Großstädte für die Zukunft voraussagt, unverzichtbar. Der Landwehrkanal hat über 1,4 Millionen Anwohner/-innen. Für sie ist der Kanal mit seinen Grünzügen ein sehr wertvolles Naherholungsgebiet.

Die Bürgerinitiative sammelte 26.000 Unterschriften für den Erhalt der Bäume sowie Spenden. Davon beauftragte sie einen unabhängigen Baumgutachter und einen Umweltjuristen. Durch vielfältige Aktionen wie zum Beispiel Baumbesetzungen und eine Menschenkette konnten 162 Bäume gerettet werden. Hierfür wurde die BI mit dem Umweltpreis des BUND ausgezeichnet. Im Zuge des Konflikts wurde der Amtsleiter des WSA versetzt, weil er während laufender Verhandlungen mit der BI, Naturschutzverbänden, Politiker/-innen und Reedern die oben genannten 38 Bäume fällen ließ. Auf Grund des anhaltenden Protests konstituierte das WSA im November 2007 das Mediationsverfahren. Zwei vom WSA bezahlte Mediatoren sollen darin zwischen den unterschiedlichen Interessen vermitteln. Ziel ist eine Konsens - Lösung. Vertreter/-innen des Landesdenkmalamts, des WSA, von Bezirks- und Landesverwaltungen, Anwohner/-innen, Bürgerinitiative, Naturschutzverbänden sowie Reedern nehmen am Verfahren teil. Die BI fordert ein "Modellprojekt Ökologische Sanierung Berliner Landwehrkanal". Es beinhaltet unter anderem die Forderung nach einer Finanzierung der Gesamtplanung der nachhaltigen Kanalsanierung und nach einem ökologischeren Verkehrskonzept.


Erfolge der ehrenamtlich arbeitenden BI

Wenn nach Ansicht des WSA ein Baum wegen "Gefahr in Verzug" gefällt werden muss, dann werden die Mitglieder des Arbeitskreises "Kurzfristige Maßnahmen" umgehend per E-Mail informiert. Jedes BI- Mitglied kann ein Veto einlegen. Die Bürgerinitiative kann den Baumgutachter ihres Vertrauens beauftragen, damit er "sofort vor Ort" überprüft, ob die Gefahr wirklich gegeben ist oder ob der Baum nicht doch stehen bleiben kann.

Die Bürgerinitiative hat erreicht, dass ein Bauleiter für den Baumschutz eingesetzt wird. Er überwacht, dass im Zuge der Sanierungsmaßnahmen am Landwehrkanal keine Bäume gefällt oder beschädigt werden. 460 Meter des 11,4 km langen Landwehrkanals wurden bisher einvernehmlich saniert.

In Kreuzberg stehen keine Betonklötze mehr, die durch ihr Gewicht die Baumwurzeln schädigen. Am Corneliusufer in Tiergarten stehen dagegen noch viele solcher Betonklötze. Das WSA hatte sie zur Sicherung angeblich umsturzgefährdeter Bäume teuer gekauft und aufgestellt. An den Klötzen waren Vorrichtungen befestigt, die die Bäume fest halten sollten. Nun wurden stattdessen die Ufermauern durch Stahlspundwände stabilisiert. Durch den konsequenten Einsatz der Bürgerinitiative blieben bei den Sanierungsarbeiten zum Beispiel die Linden am Tempelhofer Ufer, die die Bürger/-innen 2007 besetzt hatten, vollkommen unbeschädigt. Ohne die BI hätten die Wasserbauingenieure die Bäume einfach gekappt. Die Art der Sanierung des 2007 eingestürzten Kanaluferabschnitts am Maybachufer - an der Schiffsanlegestelle Reederei Riedel, nahe Kottbusser Brücke, Neukölln - wurde einvernehmlich festgelegt. Sie ist dank der BI nun emissionsärmer, schneller und kostengünstiger.

Die Bürgervertreter/-innen haben Pilotprojekte durchgesetzt. Sie haben zum Beispiel eine innovative japanische Sanierungstechnik entdeckt, mit der Spundwandbohlen am Kanalufer lärm-, abgas- und erschütterungsarm in den harten Kanalboden eingebaut werden können. Anwohner/-innen und Passant/-innen zeigten sich beeindruckt. Der sogenannte Crush Piler wurde auf der Teststrecke Paul-Lincke-Ufer/Ecke Forster Straße eingesetzt. Für die Arbeit unter Bäumen in hartem Kanalboden ist aber eher der so genannte Gyro Piler geeignet, der nicht über fünf Meter hoch ist.

Das Wasserschifffahrtsamt will auf Druck der BI und Naturschutzverbände einen Landschaftspflegerischen Begleitplan erstellen und eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen lassen. Die umfassende Kartierung von Flora, Fauna und Biotoptypen soll bis 2013 unter anderem die Umweltkosten verschiedener Sanierungsvarianten sichtbar machen. Allerdings besteht aktuell die Gefahr, dass bei der Erstellung Denkmalgutachter dominieren, die fachlich nicht geeignet sind, ökologisches Potenzial zu erkennen.

Es wurde ein "Kriterienkatalog" erarbeitet, in den (hoffentlich) alle relevanten Interessen eingeflossen sind. An Hand dessen sollen die möglichen Kanal -Sanierungsvarianten transparent beurteilt werden können.

Der Amtsleiter des WSA Berlin hat sich den "bestmöglichen Baumschutz" auf die Fahne geschrieben. Nur, was darunter zu verstehen ist, darüber gibt es in der Praxis weiterhin Auseinandersetzungen. Auch mit den Bezirken, denen der Großteil der Bäume (78,5 Prozent) am Landwehrkanal gehört. Somit sind die meisten Bäume zwar vorerst, aber keinesfalls langfristig gerettet.


Einige BI-Mitglieder aus dem Verfahren ausgestiegen

Die Hauptgründe:

1. Das Bundesverkehrsministerium (oberster Dienstherr des WSA) und der Berliner Senat beziehungsweise die fünf beteiligten Bezirke schieben seit langem die Verantwortung für eine Gesamtplanung der Kanalsanierung und für ihre Finanzierung hin und her. Zurzeit wird "meterweise" saniert, ohne dass eine Gesamtplanung vorliegt.

2. Die Bürgerinitiative muss immer von neuem für den Erhalt der Bäume und der Ufervegetation kämpfen. Wenn Anwohner/-innen am Kanal spazieren gehen, werden sie öfter mal geschockt: Plötzlich wurden unnötig Bäume gefällt und/oder Büsche gerodet wie zum Beispiel am Maybachufer und am Paul-Linke-Ufer geschehen. Manchmal wurden Bäume auch so massiv und nicht fachgerecht beschnitten, dass sie dadurch anfällig für Krankheiten gemacht wurden. Die BI wurde von den beteiligten Behörden im Mediationsverfahren über diese Maßnahmen im Vorfeld nicht in Kenntnis gesetzt.

3. Das Mediationsverfahren ist mit einer Dauer von etwa 5 Stunden pro Sitzung sehr zeitaufwendig. Es gibt viele Unter - Arbeitsgruppen, in denen unter anderem Fachvorträge von Expert/-innen verschiedenster Fachrichtungen gehalten werden. Die Amtsvertreter/-innen werden für ihre Arbeit bezahlt. Die BI - Leute arbeiten ohne Bezahlung. Sie opfern ihre Freizeit für ihr Umweltengagement, weil unter anderem das WSA leider so rückständig ist und immer wieder unnötig wertvolle Natur an den Bundeswasserstraßen zerstört.


Die schwierige rechtliche Lage

Nichts von dem, was in dem aufwändigen Mediationsverfahren verhandelt wird, ist rechtsverbindlich. Die Kanalsanierung gilt als Unterhaltungsmaßnahme. Es muß kein Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Die grundlegende rechtliche Lage am Landwehrkanal selbst ist kompliziert: Das Wasserschifffahrtsamt ist "für die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs" verantwortlich. Viele der Bäume gehören dem WSA, die meisten Bäume gehören aber den Bezirken. Diese sind auch für den größten Teil der Ufergrünstreifen bis zur Wasserkante zuständig. Für das Wasser ist der Senat in der Pflicht, der mit Belüftungsbooten gegen das alljährliche Fischsterben vorgeht, das unter anderem auf ein veraltetes Abwassersystem (Mischwasserkanalisation) zurückzuführen ist.


Konflikte an anderen Bundeswasserstraßen

Im Februar ließ das WSA von Fremdfirmen am Berlin - Spandauer Schifffahrtskanal 270 Bäume abholzen. Dagegen hat die BI "Bäume am Landwehrkanal" protestiert. Nach Angaben von Experten waren 90 Prozent dieser Fällungen unnötig. Nach Meinung unabhängiger Experten hatte die Aktion, bei der auch jede Menge Sträucher gerodet wurden, die wichtiger Lebensraum für Nachtigallen waren, den Charakter einer "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme". Wie sich in einer von der BI geforderten Mediationsverfahrens-Krisensitzung am 19. April herausstellte, hat das WSA für den Kahlschlag 250.000 Euro an Fremdfirmen bezahlt. Angemessen wären laut Insidern höchstens 30.000 bis 40.000 Euro gewesen. Wieso geht die Bundesbehörde WSA nach fast drei Jahren Mediationsverfahren, an dem unter anderem anerkannte Baumgutachter teilnehmen, weiterhin dermaßen ignorant und antiökologisch vor? Wieso verschwendet das WSA Steuergelder für die unnötige Zerstörung wertvoller Natur an einer Bundeswasserstraße?

Auch in Kleinmachnow gibt es Proteste: Die dortige Schleuse soll auf 190 Meter verlängert werden. Der Verlängerung würde aber wertvoller Baumbestand zum Opfer fallen. Bürgerinitiativen meinen, dass eine Schleuse von 115 Metern vollkommen ausreichte.


Das WSA braucht eine ökologische Strukturreform

Die Bürgerinitiative fordert schon lange, dass im WSA Umweltbeauftragte eingestellt werden müssten. Diese sollten bei allen geplanten Bau- und Pflegemaßnahmen an Bundeswasserstraßen auf die Einhaltung der Naturschutzbelange achten. Sie müssten weitreichende Kompetenzen haben und gegenüber den Außenbeamten, den Abschnittsleitern und den Wasserbauingenieuren im WSA weisungsbefugt sein.

Die WSA-Mitarbeiter/-innen müssten im Vorfeld von Baumaßnahmen und bei Baumprüfungen unter anderem mit Fachleuten der Umweltschutzverbände zusammen arbeiten. Die Begründung von Baum - Fällaufträgen müsste von ihnen für das WSA verbindlich auf ihre Richtigkeit überprüft werden, damit die Natur endlich geschützt wird. Die Arbeit der vom WSA beauftragten Fremdfirmen sollte vor Ort von weisungsbefugten ökologischen Baumfachleuten überwacht werden.

Im Rahmen der Krisensitzung wegen der Fällungen am Spandauer Schifffahrtskanal am 19. April (unter anderem am Nordufer in Wedding), gegen die die Bürgerinitiative protestiert hat, bestätigte WSA-Amtsleiter Scholz, dass die Ausbildung der im WSA Agierenden "nicht ökologisch geprägt" ist. Die Wasserbauingenieure des WSA wollen immer die Ufermauern freihalten, um sie sehen zu können, falls daran Schäden auftreten sollten. Die Ufervegetation wird als störend beim Blick auf das Bauwerk empfunden. Hier besteht offenbar dringender interner Schulungsbedarf!

Herr Scholz sagte, dass von den WSA-Mitarbeiterinnen die Verkehrssicherungspflicht als "fast sakrosankt". betrachtet wird Denn sie hätten Angst vor den rechtlichen Konsequenzen, die es haben kann, wenn zum Beispiel jemandem ein Baum oder ein Ast auf den Kopf fällt. Da ist es in ihren Augen stets sicherer, Bäume abzuholzen, auch wenn es bei genauerer Betrachtung gar nicht nötig ist.

Zum Teil erhält das WSA heutzutage ökologisch gefärbte Erlasse vom Bundesverkehrsministerium. Auf die Frage, ob Verstöße gegen diese Erlasse im Amt sanktioniert würden, antwortete Amtsleiter Scholz, das sei schwierig, weil es immer plausible Begründungen für vollzogene Handlungen gäbe.

Solange die unnötige Fällung ökologisch wertvoller Bäume und die unnötige Rodung von Sträuchern etc. allerdings rechtlich nicht genauso hart bestraft werden wie Verstöße gegen die Verkehrssicherungspflicht, wird sich an dem anti-ökologischen Handeln des WSA sowie anderer Ämter, Behörden und Unternehmen auf Dauer wohl nichts ändern. Dem Naturschutz wird leider trotz des Klimawandels in den bestehenden Gesetzen nicht ausreichend Rechnung getragen. Hier ist der Gesetzgeber gefragt!


Ausblick

Das WSA hat 2009 angekündigt, im Sommer 2010 mit den Beteiligten des Mediationsverfahrens einen Vertrag über die Gestaltung der Kanalsanierung abzuschließen. Dann muss die BI wohl erneut Spenden sammeln und einen unabhängigen Umweltjuristen beauftragen. Erst die konkrete Ausgestaltung eines für die Zukunft rechtlich bindenden Vertrages darüber, wie die Sanierung des Kanals am Ende aussehen soll, wird zeigen, ob das aufwändige jahrelange Mediationsverfahren letztlich mehr war als nur "Greenwashing".


Was können Sie tun?

Es wäre sehr hilfreich, wenn alle, die für den langfristigen Erhalt des wertvollen Grüns an Bundeswasserstraßen sind, E-Mails schreiben würden. An den obersten Dienstherr des WSA, Bundesverkehrsminister Ramsauer, sowie an Bundesumweltminister Röttgen: peter.ramsauer@bundestag.de norbert.roettgen@bundestag.de

Forderungen:

Für eine ökologische und nachhaltige Klimaschutz- gerechte Pflege der Ufervegetation an Bundeswasserstraßen, unter anderem am Berliner Landwehrkanal!
Gegen die Vernichtung von Bäumen und Büschen an Bundeswasserstraßen im Rahmen von "Pflege"-, Bau- und Sanierungsmaßnahmen, unter anderem am Berliner Landwehrkanal!
Für eine ökologische Strukturreform der Bundesbehörde WSA!

Bitte eine Kopie an das "Bündnis für Stadtnatur" senden (BStadtnatur@web.de), damit wir die Schreiben zählen und sie gegenüber dem Bundesverkehrsministerium, dem Wasserschifffahrtsamt und zuständigen Bundestagsabgeordneten der Opposition anführen können.

Dipl.-Pol. Anuschka Guttzeit
Mitbegründerin der Bürgerinitiative
"Bäume am Landwehrkanal"
a.guttzeit[at]gmx.net

www.baeume-am-Landwehrkanal.de
www.Landwehrkanal-berlin.de
www.buerger-fuer-baeume.com/5vor12.aspx
womblog.de/2010/02/22/politik-auf-dem-holzweg/


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 156, Juni/Juli 2010, S. 6-7
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010