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STADT/341: Berlin - Zeitzeuge Tempelhofer Feld (Der Rabe Ralf)


DER RABE RALF
Nr. 174 - Juni/Juli 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Zeitzeuge Tempelhofer Feld
Senator Müllers "Masterplan Tempelhofer Freiheit" verfehlt Mastercharakter

von Janine Behrens



Mit einer Größe von über 300 Hektar ist das Tempelhofer Feld die größte unbebaute Freifläche in der dichtbesiedelten Berliner Großstadt. Das weitläufige Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof nimmt im Hinblick auf die Überwärmung der Stadt mit ausgedehnten Wiesenflächen als Kaltluftentstehungsgebiet, welches in das berlinweite Luftaustauschbahnen-System eingebunden ist, eine besondere Bedeutung für das Stadtklima ein. Doch auch historisch betrachtet ist das Tempelhofer Feld Gedenkort und Zeitzeuge zahlreicher Ereignisse.


Zur Historie

Ursprünglich als militärisches Übungsgelände und Paradeplatz der Berliner Garnison genutzt, blickt das Tempelhofer Feld auf sportgeschichtliche Ereignisse zurück - so trug auf dem Feld der erste Berliner Fußballverein seine Heimspiele aus. Auch wurden dort mehrere Endrundenspiele der Deutschen Fußballmeisterschaft veranstaltet.

Der Ort ist zudem kulturhistorisches Zeugnis der Berliner Luftfahrtgeschichte. Der Ballon Preussen, der am 31. Juli 1901 mit offenem Korb in eine Höhe von 10.800 Metern aufstieg, hielt 30 Jahre lang Weltrekord-Status. Für die Entdeckung der Stratosphäre 1902 war dieses Ereignis aus wissenschaftlicher Sicht bedeutsam. Nachdem 1909 der erste Motorflug auf dem Tempelhofer Feld stattfand, wurde der Flughafen 1928 fertiggestellt und einige Jahre später erweitert. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das Feld unterirdisch zur Herstellung und Wartung der berüchtigten Sturzkampfbomber durch tausende verschleppte Zwangsarbeiter missbraucht. Während der Berlin-Blockade 1948/49 erwies sich der Flughafen als wichtige Versorgungsschnittstelle - Flugzeuge landeten teilweise im 90-Sekunden-Takt. Der Flugbetrieb wurde aufgrund des Baugeschehens am Großflughafen BER im Jahr 2008 eingestellt - ein Volksbegehren, das den weiteren Betrieb des Flughafens Berlin-Tempelhof forderte, scheiterte Anfang April 2008 am Zustimmungsquorum.

Vor nunmehr drei Jahren, im Mai 2010, wurde der Tempelhofer Park für alle Berliner/-innen geöffnet. Seither zieht die Freifläche mit einem ganz eigenen Charme täglich viele Hundert Menschen an. Weil die intransparente Planung des Senats zur Bebauung der Fläche nicht im Interesse der Nutzer/innen des Feldes lag, gründete sich im September 2011 die Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld mit dem Ziel, hier innerstädtischen Freiraum dauerhaft mithilfe eines berlinweiten Volksentscheids zu erhalten.


Masterplan

Dem im Weg könnte der kürzlich durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt veröffentlichte "Masterplan Tempelhofer Freiheit" stehen. Am 6. März stellte Senator Michael Müller (SPD) eben diesen Plan in einer Standortkonferenz vor.

Ein Großteil des Randes des Tempelhofer Feldes soll nach seinen Vorstellungen zugebaut werden. Neue Stadtquartiere mit den unterschiedlichsten Nutzungskonzepten sind geplant. Der Fokus solle ganz klar auf der Entwicklung des Tempelhofer Dammes liegen: Hier soll ein Nebeneinander aus Wohnen und Arbeiten sowie der Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek realisiert werden. Im Quartier am Südring soll Raum für innovative Gewerbe- und Dienstleistungsnutzungen sowie Wohnungsneubau entstehen. Weiterhin sieht der Masterplan den Neubau eines weiteren S-Bahnhofs vor, um die Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr zu verbessern. Ein drittes Quartier ist an der Oderstraße ebenfalls als Wohnquartier angedacht. Im Süden soll zudem eine Grundschule entstehen. Insgesamt sind circa 4700 Wohneinheiten geplant.

Die Parkanlage, die in der Mitte des Feldes erhalten bleibt, würde dann noch etwa 200 Hektar ausmachen. Ein drei Hektar großes Wasserbecken, das dem Regenwassermanagement dienlich sein soll, soll ab Herbst 2013 realisiert werden.

Das Bauvorhaben könnte die Steuerzahler/-innen bis 2025 schätzungsweise 130 Millionen Euro kosten. In der ersten Bauphase von 2013 bis 2016 sollen unabwendbare Maßnahmen realisiert werden, die eine nachhaltige Entwicklung sicherstellen.


Bilanz und Bewertung

Ohne Zweifel kann die nachhaltigste Entwicklung für Tempelhofer Feld und Stadtklima nur die Nichtbebauung der (Rand-)Fläche sein. Das Feld bietet Flora (z. B. Trockenrasen, Frischwiesen) und Fauna (z. B. Feldlerche, Turmfalke) durch Größe und Weite Schutzraum. Dem äußeren Wiesenring kann eine wichtige Pufferfunktion beigemessen werden. Die geplante Randbebauung wird den Luftaustausch der angrenzenden Stadtquartiere dauerhaft negativ beeinflussen und eine weitere Erwärmung der Innenstadt bedingen, weil das Feld als Kälteinsel wirkt.

In einem Berliner Flächenentwicklungsplan von 2010 heißt es: "Die Möglichkeiten, sich in der Stadt [...] im Grünen zu bewegen, sind deutlich gewachsen. Tendenz: weiter steigend." Angesichts des Raubbaus, der seit Jahren an der Hauptstadt betrieben wird - nämlich jedes Fleckchen Freifläche zu versiegeln, zu versteigern und dann zu bebauen - ist diese Aussage kaum nachvollziehbar. Berlin gilt als die grünste Metropole Europas. Da stellt sich die Frage, wie lange das noch der Fall ist. Die Instandhaltung der Fläche, wie sie ist, würde jährlich 1,8 Millionen Euro kosten, was den Steuerzahler pro Kopf mit etwa 50 Cent im Jahr "belasten" würde.

Auch der angestrebte Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek kann lediglich als Prestige-Projekt des Senats angesehen werden. Berlin verfügt bereits über zwei weitaus zentral gelegenere Standorte: die Amerika-Gedenkbibliothek (Kreuzberg) und die Berliner Stadtbibliothek (Mitte). Effizienter wäre ein Um- und Ausbau der bestehenden Bauten.

Die Frage, inwiefern bei dem geplanten Wohnungsneubau auch Sozialwohnraum berücksichtigt ist, bleibt ungeklärt. Anzunehmen ist, dass, vorbehaltlich einiger Studentenwohnungen, ein dickes Portemonnaie zur Miete oder zum Kauf nötig ist. Auch wenn Wohnungen in Berlin dringend erforderlich sind, darf deren Neubau nicht auf Kosten von Natur und Umwelt geschehen.

Weiterhin zu kritisieren ist, dass Berlin, eine Stadt, die sich in Punkto Bürgerbeteiligung mit Vorbildfunktion schmückt, diese nun per se vorzeitig aushebelt. In dem Wissen, dass die Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld bei Nichtannahme ihres Gesetzentwurfes durch das Berliner Abgeordnetenhaus in einigen Monaten auf einen Volksentscheid zur Bewahrung des Areals in seinem jetzigen, unbebauten Wesen hinwirken will, strebt der Senat die ersten Baumaßnahmen auf dem Feld noch in diesem Jahr an.

Vielmehr entpuppt sich der Charakter des Masterplans also als Attribut eines Desasters. In Anbetracht der historischen Bedeutung des Tempelhofer Feldes stirbt bei dessen Bebauung ein weiterer Zeitzeuge, den mehrere Jahrhunderte geprägt haben.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Drachenfest auf dem Tempelhofer Feld
- Entspannen - auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 174 - Juni/Juli 2013, Seite 7
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2013