Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

VIELFALT/137: Interview - Vitale Ökosysteme schützen vor den Folgen des Klimawandels (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Dezember 2009: In Sachen Klimawandel

Vitale Ökosysteme schützen besser vor den Folgen des Klimawandels

Gespräch mit Pavan Sukhdev


FRAGE: Sie leiten die internationale TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity - TEEB). Was hat Biodiversität mit Klimawandel zu tun?

PAVAN SUKHDEV: Der Rückgang der Biodiversität und der Klimawandel hängen in zweierlei Weise zusammen: Einerseits trägt die globale Erwärmung wesentlich zum fortschreitenden Artenschwund und zu der Zerstörung von Ökosystemen bei. Nach Berechnungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (www.IPCC.ch) ist der Klimawandel die zweitgrößte Triebkraft für den prognostizierten Biodiversitätsverlust bis zum Jahr 2050. Andererseits besteht eine Kausalität auch in der umgekehrten Richtung. Die Zerstörung von Ökosystemen und insbesondere die anhaltende Abholzung der tropischen Regenwälder führen zu zusätzlichen CO2-Emissionen. In diesen Wäldern ist etwa ein Viertel des gesamten terrestrisch gebundenen CO2 gespeichert, das bei ihrer Rodung freigesetzt würde. Gleichzeitig wird mit der Abholzung der tropischen Wälder auch eine wesentliche CO2-Senke zerstört. Berechnungen zufolge binden diese Wälder bis zu 4,8 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre - und das jährlich!

Vitale Ökosysteme zeigen oftmals eine bessere Stabilität und Anpassungsfähigkeit an die Phänomene des Klimawandels und bieten Menschen besseren Schutz vor dessen Folgen. Beispielsweise verringern intakte Korallenriffe oder Mangrovenwälder die Gefahr für Menschen, die von klimabedingten Extremereignissen ausgeht, z. B. Stürmen oder Fluten. Vor diesem Hintergrund versucht TEEB die ökosystemaren Dienstleistungen, die von einer intakten Natur ausgehen, besser zu erfassen, zu beschreiben die von einer intakten Natur ausgehen, besser zu erfassen, zu beschreiben und deren Bedeutung für unser Wohlergehen aus ökonomischer Perspektive abzuschätzen.

FRAGE: Können Sie das bitte an ein paar Beispielen erläutern?

PAVAN SUKHDEV: Die TEEB-Studie will mit ökonomischen Fakten das Problembewusstsein für den Verlust von Biodiversität und von ökosystemaren Dienstleistungen schärfen. Wir versuchen nicht, einen genauen Geldwert für die Natur zu errechnen, sondern der ökonomischen Dimension des Problems mehr Gewicht zu verschaffen. Dabei geht es um die Konsequenzen für ganze Volkswirtschaften wie auch für den Einzelnen: Mehr als eine Milliarde Menschen sind auf Fisch als wichtigste oder gar einzige Quelle tierischen Proteins angewiesen. Die Lebensgrundlage von etwa 500 Millionen Menschen hängt von lebenden, intakten Korallenriffen ab. Wir erleben weltweit, wie sich die natürlichen Lebensbedingungen für Bienenvölker verschlechtern und damit die Bestäubungskapazität für eine Vielzahl von Lebensmitteln sinkt. Auch wird geschätzt, dass bis zu 50 Prozent der pharmazeutischen Produkte weltweit (mit einem Marktvolumen von etwa 650 Milliarden Dollar pro Jahr) auf natürlichen genetischen Ressourcen beruhen. Die Ermittlung monetärer Werte für einzelne Ökosystem-Dienstleistungen hilft, dass diese bessere Berücksichtigung finden, beispielsweise bei der Bilanzierung des nationalen Volkseinkommens, bei der Raumplanung, bei der Energiepolitik oder bei der Ausgestaltung von Instrumenten für den Naturschutz. Das gilt gleichermaßen für Anreizsysteme wie Ausgleichszahlungen für die Bereitstellung ökosystemarer Dienstleistungen in der Landwirtschaft oder auch für die Belastung umweltschädlicher Handlungen durch Abgaben oder Steuern.

FRAGE: Im Vorfeld der Kopenhagener Klimakonferenz wurde ein Update des TEEB-Zwischenberichts vorgestellt, in dem die Korallenriffe und die Abholzung der Wälder im Mittelpunkt standen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Wäldern und Korallen im Meer?

PAVAN SUKHDEV: Die globale Erwärmung ist eine wesentliche Ursache für das Absterben der Korallen. Neue Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass bereits ab einer CO2-Konzentration in der Atmosphäre von etwa 320 ppm die Regenerationsfähigkeit der Korallen erheblich beeinträchtigt wird. Unter der derzeitigen Konzentration von etwa 387 ppm ist ein flächenhaftes Absterben der Korallen sehr wahrscheinlich. Dies bedeutet, selbst wenn man sich auf der Kopenhagener Klimakonferenz auf ein Ziel zur Stabilisierung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 450 ppm einigen würde, wäre die Existenz der Korallenriffe stark gefährdet - und damit des artenreichsten marinen Ökosystems, das Lebensraum für mehr als ein Viertel aller Meeresfischarten ist.

Um der weiteren Erhöhung der CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre entgegen zu wirken, muss das ganze Spektrum der Vermeidungs- und Bindungsmöglichkeiten genutzt werden. Dabei spielt die Emissionsminderung durch technische Reduzierungsmöglichkeiten, eine höhere Ressourceneffizienz und die Umstellung auf regenerative Energieträger eine wichtige Rolle. Darüber hinaus sollte aber auch die Senkenfunktion der Wälder in den Blick genommen werden, die eine enorme CO2-Bindung ermöglichen und einer weiteren Erhöhung der Treibhausgaskonzentrationen aktiv entgegen wirken können. Mit der Vermeidung von Abholzung und der aktiven Wiederaufforstung kann der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zusätzlich gebremst werden. Das hilft auch, Korallenriffe zu erhalten.

FRAGE: Weshalb fordern Sie eine dringende Reform der Bilanzierung des Nationaleinkommens?

PAVAN SUKHDEV: Nach wie vor ist das Ziel einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr als eine hehre Absichtserklärung. Eine Ursache hierfür ist, dass wir mit unzureichenden Indikatoren operieren, wenn es um die Bestimmung gesellschaftlichen Fortschritts geht. Insbesondere das Wachstum des Bruttosozialprodukts - als üblicher Maßstab des gesellschaftlichen Wohlstands - ignoriert den Zustand der natürlichen Lebens- und Produktionsgrundlagen. Folglich verzerrt dieser Indikator die Entscheidungsgrundlage zugunsten anthropogen geschaffener Werte und damit zumeist gegen den Erhalt von Ökosystemen und Artenvielfalt.

Verantwortungsbewusste Entscheidungen können aber nur dann getroffen werden, wenn alle dazu notwendigen Informationen vorliegen. Daher unterstützt TEEB ausdrücklich die Entwicklung von Indikatorensystemen zur Erfassung und Messung von Dienstleistungen der Natur. Und das gilt nicht nur für die Messung des gesellschaftlichen Wohlstands, sondern auch für die Bilanzen der Privatunternehmen, deren Wertschöpfung von der Natur abhängt. In aller Kürze: Nur mit ausreichenden Informationen ist verantwortungsbewusstes Handeln möglich.

FRAGE: Hilft ein ökonomischer Blick auf die Natur, um sie mehr Wert zu schätzen und dann besser zu schützen? Was, glauben Sie, kann die TEEB-Studie bewirken?

PAVAN SUKHDEV: Die zentrale Botschaft von TEEB ist, dass wir den Wert der Biodiversität und der Ökosystem-Dienstleistungen erkennen und anerkennen sollten. Jede Form des Kapitals kann eine Wertschöpfung erzielen. Es wird Zeit, zu erkennen, in welch großem Ausmaß Naturkapital zur Wertschöpfung und zum menschlichen Wohlergehen beiträgt. In politischen Entscheidungen, auch auf internationaler und nationaler Ebene, wird dies jedoch noch zu wenig berücksichtigt. Wir haben das Potenzial der natürlichen Systeme zur Lösung der Probleme in der Wirtschaft, in der Klimapolitik und auch in der Natur selbst bislang weitgehend ignoriert.

Immer wieder werden die verschiedenen Nutzen, die wir aus Ökosystemen ziehen, als "externe Effekte" bezeichnet und behandelt. Warum eigentlich? Weil sie einfach zu groß für unsere etablierten Rechnungen sind? Wir müssen diese Werte in unsere Entscheidungen einbeziehen, wenn wir nicht wider besseren Wissens den allmählichen Verlust unserer Lebensgrundlagen riskieren wollen.

FRAGE: Es dauerte viele Jahre, bis der Klimawandel auf der Tagesordnung erschienen ist. Wird es genauso lange dauern, bis wir den Verlust biologischer Vielfalt anerkennen?

PAVAN SUKHDEV: Meines Erachtens passieren derzeit zwei Dinge. Erstens haben viele Menschen dank des Themas Klimawandel begriffen, dass die Natur unersetzlich ist. Sie ist nicht nur etwas, das man im Urlaub genießt, sondern Grundlage unseres Daseins. Das gestiegene Klimabewusstsein hat auch eine größere Aufmerksamkeit für die Bedeutung von intakten Ökosystemen gebracht.

Zweitens werden wir zukünftig die Auswirkungen des Klimawandels viel stärker als bisher erleben. Wenn sich beispielsweise die Politiker auf der Klimakonferenz in Kopenhagen auf ein Ziel zur Stabilisierung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 450 ppm einigen, werden wir trotzdem einen immensen Rückgang der Korallenriffe erleben. Das wird Widerstand erzeugen. Ich bin optimistisch, dass wir mit der TEEB-Studie die richtigen Botschaften senden - sowohl für die politischen Entscheidungsträger, die Wirtschaft als auch für die Menschen selbst. Der Erhalt der Biodiversität ist keine Frage, die nur Wissenschaftler betrifft, sondern alle Menschen.


PAVAN SUKHDEV

Pavan Sukhdev, Vorsitzender des "Global Markets Centre" der Deutschen Bank in Mumbai, ist derzeit freigestellt, um die "Green Economy Initiative" des Umweltprogramms der Vereinten Nationen zu leiten, die unter anderem die TEEB-Studie zur Ökonomie der Ökosysteme und der Biodiversität umfasst. TEEB wurde 2007 von der EU-Kommission und dem Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben und hat zum Ziel, mit der Vermittlung ökonomischer Werte neue Lösungsansätze für den Naturschutz und die Bewahrung ökosystemarer Dienstleistungen zu erschließen. Die wissenschaftliche Koordination der TEEB-Studie, an der mehr als 100 Wissenschaftler aus 26 Ländern beteiligt sind, erfolgt durch das UFZ.    Christoph Schröter-Schlaack und Augustin Berghöfer


TEEB LÄDT EIN ZU WEITEREN BEITRÄGEN

Anfang September 2009 wurde im Rahmen einer Bundespressekonferenz das Update der TEEB-Studie vorgestellt. Der Endbericht wird voraussichtlich im Sommer 2010 erscheinen. Das TEEB-Team ruft Wissenschaftler und andere Experten auf, durch Hinweise auf bestehende Arbeiten zu den ökonomischen Konsequenzen des Biodiversitätsverlustes zum Projekt beizutragen. Über die TEEB-Webseite ist eine Übermittlung solcher Beiträge zu den einzelnen TEEB-Produkten möglich. Außerdem stehen die Entwürfe der Berichtskapitel für eine Kommentierung auf der Webseite zur Verfügung.

UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Heidi Wittmer
Dept. Ökonomie
Telefon: 0341/235-1629
e-mail: heidi.wittmer@ufz.de
www.teebweb.org


*


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Pavan Sukhdev im Gespräch mit Journalisten während der
Bundespressekonferenz am 2. September 2009 in Berlin.
(www.fotoplusdesign.de)


*


Quelle:
UFZ-Spezial Dezember 2009: In Sachen Klimawandel, S. 22-23
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-1468
E-mail: info@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2009